Tschudi, Johann Jakob von (1818–1889), Naturwissenschaftler und Diplomat

Tschudi Johann Jakob von, Naturwissenschaftler und Diplomat. Geb. Glarus (CH), 25. 7. 1818; gest. Gut Jakobshof (Lichtenegg, NÖ), 8. 10. 1889; evang. HB. Sohn des Kaufmanns Johann Jakob v. T. (1781–1825) und von Anna Maria v. T., geb. Zwicky, Bruder von Friedrich v. T. (geb. Glarus, 1. 5. 1820; gest. St. Gallen/CH, 24. 1. 1886), Vater von →Hugo v. T.; ab 1849 verheiratet mit Ottilie v. T., geb. Schnorr v. Carolsfeld (geb. 6. 12. 1820; gest. 22. 8. 1897). – Nach Besuch des Gymn. in Zürich stud. T. ab 1836 Naturwiss., insbes. Zool. an der phil. Fak. der dortigen Univ., hörte daneben aber auch med. Vorlesungen. 1837 wechselte er an die Akad. von Neuenburg (Neuchâtel); 1838 Dr. phil. in Zürich. T.s Interesse galt zunächst v. a. den lebenden, aber auch den fossilen froschartigen Tieren. Zu Vergleichszwecken besuchte er die naturkundl. Smlgg. in Leiden. Anschließend reiste er nach Paris und schiffte sich 1838 in Le Havre auf einem Handelsschiff ein, um an einer Weltreise teilzunehmen, auf der er für das damals neu gegr. Naturhist. Mus. von Neuenburg v. a. exot. Tiere erwerben sollte. Infolge des chilen. Unabhängigkeitskriegs war T. gezwungen, sich 1838–42 in Peru aufzuhalten. Von dort sandte er Hunderte zoolog. Exponate, darunter Vogelbälge, Säugetierfelle, Insekten sowie Muscheln, nach Neuenburg. 1843 kehrte er nach Europa zurück; 1844 Dr. med. in Würzburg. Kurzzeitig auch bei Alexander v. Humboldt, der T. als Anerkennung für seine wiss. Arbeiten alle seine Mss. und Zeichnungen schenkte, in Berlin tätig, hielt sich T. ab 1845 in Wien auf. Eng mit →Stephan Endlicher befreundet, interessierte er sich dort bes. für die Smlgg. des Wr. Botan. Gartens sowie die umfangreiche brasilian. Smlg. →Johann Natterers. 1848 erwarb er den Jakobshof in der Gmd. Lichtenegg. 1857–59 folgte seine zweite Südamerikareise, die ihn nach Brasilien, Argentinien, Chile, Bolivien und wieder nach Peru brachte. Ab 1860 bereiste er in diplomat. Funktion für die Schweiz die mittleren und südl. peruan. Prov., um die Probleme der Kolonisten zu stud. 1866 wurde er schweizer. Geschäftsträger in Wien, 1868 ao. Gesandter und bevollmächtigter Minister. 1882 beendete er seine diplomat. Tätigkeit und zog sich auf seinen Gutshof in Lichtenegg zurück. Publizist. auf verschiedensten Gebieten der Anthropol., Ethnol., Kulturgeschichte und Sprachforschung aktiv, wurde der Großteil seiner Arbeiten mehrfach aufgelegt. 1837 erschien sein erstes bedeutsames Werk, „Die Monographie der schweizerischen Echsen“ (in: Neue Denkschriften der Allg. Schweizer. Ges. für die gesammten Naturwiss. 1), gefolgt von der „Klassifikation der Batrachier …“, 1838. Seine „Untersuchungen über die Fauna Peruana“ (1844–46) wurden v. a. von Humboldt hoch geschätzt. Seine Reiseskizzen „Peru“ (1846) können mit Recht als ein Klassiker der Südamerika-Literatur bezeichnet werden. Anonym erschien 1849 „Wiens Oktobertage 1848“. 1851 verf. T. gem. mit dem peruan. Geologen Mariano Eduardo de Rivero y Ustáriz die „Antigüedades peruanas“, 1853 erschien „Die Kechua-Sprache“ (3 Bde.). Erwähnenswert sind ebenso seine „Reisen durch Südamerika“ (5 Bde., 1866–69). 1875 veröff. er das altperuan. Drama „Ollanta“. T. war u. a. ab 1845 Mitgl. der Dt. Akad. der Naturforscher Leopoldina, ab 1848 auswärtiges k. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien sowie 1849 k. M. der kgl. bayer. Akad. der Wiss. in München.

Weitere W.: s. u. Almanach Wien 2, 1852, S. 201ff.; Wurzbach; Anders; Langendorf. – Teilnachlässe: Univ.bibl. Basel, Freulerpalast, Näfels, beide CH.
L.: ADB; Almanach Wien 40, 1890, S. 96ff.; HLS; Wurzbach (m. W.); P.-E. Schazmann, J. J. v. T., 1956 (m. B.); F. Anders, J. J. v. T., Schaffhausen 1984 (Kat., m. B. u. W.); H. Bauer, in: Kulturberr. NÖ, Februar 1988, S. 12ff. (m. B.); Nö. Ärztechronik …, bearb. B. Weinrich, 1991; J.-J. Langendorf, Die Große Fahrt, 1996, S. 69ff. (m. B. u. W.); A. Aerni – R. Agstner, Von k.k. Gesandtschaft zur Österr. Botschaft, 2000, S. 35ff. (m. B.); Enz. der Entdecker und Erforscher der Erde 5, 2004; J. Dewulf, Brasilien mit Brüchen, 2007, bes. S. 34ff.; UA, Zürich, CH.
(G. Tuisl)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 492f.
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