Tuvora (Tuwora), Joseph (1811–1871), Journalist

Tuvora (Tuwora) Joseph, Journalist. Geb. Holitsch, Ungarn (Holíč, SK), 17. 11. 1811; gest. Wien, 16. 6. 1871; röm.-kath. Sohn des Wirtschaftsverwalters Joseph T. und der Barbara T., geb. Maysenberger, Bruder von →Franz T.; ab 1842 verheiratet mit Wilhelmine T., geb. Seberg. – T. kam mit zehn Jahren nach Wien und stud. ab 1828 Montanistik an der Bergakad. Schemnitz. Ab 1835 beim Wr. Hauptmünzamt, danach beim Hauptpunzierungsamt (1840 Offizial) tätig, begann er bereits früh journalist. zu arbeiten. Ab 1837 veröff. er in der Z. „Der Humorist“ u. a. seine Buchbesprechungen und Theaterkritiken, ein Jahr später in „Der Wanderer“ und 1840–48 auch in der „Allgemeinen Theaterzeitung“. Daneben versuchte er sich als Schriftsteller und beleuchtete ab Anfang der 1840er-Jahre die sozialen und polit. Zustände in Österr. („Die Mücken“, 1841). I. d. F. knüpfte T. Kontakte zu ung. Oppositionskreisen und arbeitete kurzzeitig in Pest, kehrte aber nach Differenzen bald wieder nach Wien zurück. Dort trat er 1846/47 in Verbindung zu verschiedenen führenden diplomat. Vertretern v. a. Russlands und Frankreichs. Krit. Äußerungen über die höhere Beamtenschaft und die Perspektivlosigkeit des Metternich’schen Systems bewirkten im Oktober 1847 seine Versetzung als Materialverwalter zum Münzamt nach Kremnitz. Bei Ausbruch der Revolution kehrte er nach Wien zurück und trat im April 1848 in die Red. der Ztg. „Der Freimüthige“ ein, auf die er maßgebenden Einfluss nahm; mit einer Aufl. von beinahe 16.000 Stück avancierte sie in den Folgemonaten zu einem der wichtigsten demokrat. Bll. in Wien. T. unterstützte die Forderungen der Demokraten, versuchte diese auch in ländl. Gebieten NÖ zu verankern bzw. gem. mit Leopold Häfner beim sog. Journalistenputsch die Fabrikarbeiter in den Vorstädten für eine sofortige parlamentar. Demokratie zu mobilisieren, wofür sie kurzfristig verhaftet wurden. Ende Juni 1848 nahm er seine Tätigkeit beim „Freimüthigen“ wieder auf, war in der Red. der neu gegr. Ztg. „Der Radikale“ und gehörte – u. a. neben →Karl Tausenau, →Alfred Julius Becher und Ernst Violand – der Führung des Demokrat. Ver. an (T.s spätere Erklärung, er habe sich schon im Juni 1848 von der „radikalen Partei“ zurückgezogen, ist wohl als Schutzbehauptung zu sehen). Anfang Oktober verurteilte T. die Ermordung von Kriegsminister →Theodor Gf. Baillet de Latour und sagte sich von den Demokraten los, wobei ihm seine Gegner vorwarfen, er suche den Schutz von Justizminister →Alexander Frh. v. Bach – mit dem er ab Jänner 1849 auch in Briefverkehr stand – vor der Militärjustiz. Nach Kurzaufenthalten in Leipzig, Dresden und Prag nahm er im Mai 1849 nach seiner Rückkehr nach Wien seine journalist. Tätigkeit wieder auf und veröff. in der „Wiener Zeitung“. Im November 1849 übernahm T. die Leitung einer bereits Mitte März 1849 initiierten Pressekorrespondenz, der Österr. Correspondenz, die die Politik der Regierung in offiziöser Form unterstützen sollte. Die amtl., der Regierung nahestehenden Bll. (darunter auch ausländ. Ztg.) erhielten Nachrichten kostenlos, die unabhängige Presse dagegen nur gegen Bezahlung. Bald nach Gründung erhöhte T. den Wert seiner Correspondenz schlagartig: Er erhielt Zugang zum Telegraphen, wodurch er jahrelang den Austausch von polit. und wirtschaftl. Nachrichten für die Presse mit Hilfe dieser modernen Nachrichtentechnik organisierte. Zuerst wurden Börsenkurse und andere wichtige Wirtschaftstelegramme aus Triest nicht nur Ztg., sondern auch einigen Banken zur Verfügung gestellt, später erhielten die ausländ. Abonnenten ebenso polit. und andere Mitt. telegraph. übermittelt. Damit befand sich T. auf Augenhöhe mit den europ. Nachrichtenagenturen, wie Agence Havas in Frankreich. In der 1. Hälfte der 1850er-Jahre galt T.s Correspondenz als pressepolit. Instrument für die in den Kronländern erscheinenden amtl. Bll., aber noch mehr für die Einwirkung auf die ausländ. Presse. Als die Konkurrenz zunahm, drängte T. ab 1855 Bach vergebl., ihm entweder eine Beamtenstellung zu verschaffen und seine Correspondenz in ein staatl. Unternehmen umzuwandeln oder ihm zu gestatten, sein Nachrichtenunternehmen unter neuem Namen (Wr. Zeitungsnachrichten) und erweitertem Aufgabenkreis nach privaten Grundsätzen führen zu dürfen (unter Beibehaltung ihrer Nähe zur Staatsregierung). In den Folgejahren unternahm T. eine Reihe publizist. Aufgaben im In- und Ausland, 1858/59 hielt er sich für längere Zeit in quasi-diplomat. Mission in Paris auf und schrieb von dort für die „Wiener Zeitung“ sowie für „Die Presse“. Nach der Ablöse Bachs (1859) wurde T. bei der im Herbst 1859 eingeleiteten Neuordnung des amtl. Nachrichtenapparats übergangen, die Österr. Correspondenz musste ihren Dienst Ende Dezember einstellen. Ihre Aufgabe übernahm das neu gegr. Telegraphen-Correspondenz-Bureau. T. kehrte nach Paris zurück und wirkte dort einige Jahre als Korrespondent der Ztg. „Die Presse“. Als im Juli 1864 viele Red. dieses Bl. zur „Neuen Freien Presse“ wechselten, ging T. als polit. Red. zur „Presse“ nach Wien.

Weitere W.: Briefe aus Wien, 2 Bde., 1844; Was nun?, 1866.
L.: Die Presse, 17. (Abendausg.), Neues Fremden-Bl., 18. 6. 1871; Wurzbach; J. A. Helfert, Die Wr. Journalistik im Jahre 1848, 1877, s. Reg.; M. Lunzer, Der Versuch einer Presselenkung in Österr. 1848 bis 1870, 1954, s. Reg.; dies., in: Wr. Geschichtsbll. 13, 1958, S. 8ff.; E. Manas, J. T. als polit. Publizist, phil. Diss. Wien, 1976; W. Häusler, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung, 1979, s. Reg.; E. Dörfler – W. Pensold, Die Macht der Nachricht, 2001, s. Reg.; E. Macho, A. Frh. v. Bach, 2009, S. 57, 164f., 194; AVA, HHStA, beide Wien.
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 67, 2016), S. 21ff.
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