Tyrolt, Rudolf (1848–1929), Schauspieler und Schriftsteller

Tyrolt Rudolf, Schauspieler und Schriftsteller. Geb. Schloss Rottenmann (Stmk.), 23. 11. 1848; gest. Gutenstein (NÖ), 22. 6. 1929; röm.-kath. Enkel des Gewerken und Großgrundbesitzers →Josef Pesendorfer, Sohn des Finanzrats Anton T. (gest. 2. 5. 1888) und seiner Frau Louise T., geb. Pesendorfer (gest. 8. 7. 1910); ab 1875 mit der Schauspielerin Ernestine (Erna) T., geb. Wiehler (geb. Leipzig, Sachsen/D, 1. 6. 1850; gest. Gutenstein, 15. 2. 1930), verheiratet, die anfangs in Berlin und ab 1873 am Wr. Stadttheater wirkte, sich aber nach dessen Brand 1884 von der Bühne zurückzog. – T. absolv. die Grundschule in Kaschau und Pressburg, wo er, unterbrochen durch Aufenthalte am Löwenburgkonvikt (Wien 8) sowie am Stiftskonvikt Melk, auch das Gymn. besuchte und maturierte. Daneben hatte er Gesang- und Klavierunterricht erhalten und war von seinem Lehrer →Gábor Szarvas zur Mitwirkung in Schulauff. ermuntert worden. 1866 ging T. zum Jusstud. nach Graz. Dort lernte der Burschenschafter (Styria, Arminia) u. a. →Guido Lehmann und →Anton Friedrich Mitterwurzer kennen, befreundete sich mit →Peter Ros(s)egger und hatte erste Bühnenauftritte. Er engagierte sich bei der Gründung des Akadem. Lesever., in dessen Studentenvorstellungen er als Regisseur und Darsteller mitwirkte. Kurz nach seiner Prom. zum Dr. phil. 1870 debüt. er am Grazer Landschaftl. Theater und trat bald darauf unter Ignaz Czernitz ein Engagement als Charakterdarsteller und Bonvivant in Olmütz an. 1871 wechselte er an das Brünner Stadttheater unter →Adolf Franckel, ab 1872 spielte er unter →Heinrich Laube am neu erbauten Wr. Stadttheater. T.s Stärke lag in der Gesellschaftskomödie und im Volksstück, das i. d. F. zu seiner eigentl. Domäne wurde. Der Kontrast zwischen seiner kräftigen, behäbig wirkenden Statur und der hohen Stimme mögen ihn früh für das kom. Fach prädestiniert haben, und auch seine Vorliebe für Dialekte (er sprach kaum eine wichtige Rolle in reinem Hochdt.) kam ihm hierin zugute. Erste Erfolge im Volksstück feierte er als Ferdinand Raimund (→Karl Haffner, „Therese Krones“), als Valentin (→Raimund, „Der Verschwender“) und als Rappelkopf (ders., „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“). Ab 1877 war T. auch als Regisseur tätig und gehörte 1879/80 dem Regiekollegium an, das das Stadttheater prov. leitete. In einem von ihm angeregten Anzengruber-Zyklus 1883–84 inszenierte er dessen Bauernkomödien und übernahm selbst die wichtigsten Rollen (Wurzelsepp in „Der Pfarrer von Kirchfeld“, Matthias Ferner in „Der Meineidbauer“, Grillhofer in „Der G’wissenswurm“, Steinklopferhanns in „Die Kreuzelschreiber“, Hauderer in „Doppelselbstmord“). Schon 1882 von Adolf Wilbrandt an das Hofburgtheater engag., debüt. er dort 1884 als Schmock in Gustav Freytags „Die Journalisten“ sowie als Poirier in Émile Augiers und Jules Sandeaus „Herrn Poiriers Schwiegersohn“. 1887 wurde er Hofschauspieler, beantragte jedoch 1888 mangels künstler. Möglichkeiten seine Entlassung und wirkte ab 1889 am neu gegr. Dt. Volkstheater. In einer Reihe von Gastspielverträgen beschäftigt, erlangte er dort seine größte Popularität. Allein die von ihm kreierten Figuren Schalanter (Anzengruber, „Das vierte Gebot“), Papa Schöllhofer (Carl Karlweis, „Das grobe Hemd“) sowie den Briefträger Klemm (Adolph L’Arronge, „Lolos Vater“) spielte er insgesamt über 400-mal auf österr. und dt. Bühnen. Noch 1924 beeindruckte er als alter Grutz in →Karl Schönherrs „Erde“. Kritiker attestierten T. Natürlichkeit, hohe schauspieler. Intelligenz, diagnost. Beobachtungsschärfe und hintergründigen Humor, Raoul Auernheimer bezeichnete ihn als messerscharfen Satiriker. Seit den 1870er-Jahren unterrichtete T. auch; als Prof. an der Schauspielschule des KdM 1884–86 war er u. a. Lehrer von Hedwig Bleibtreu. Er initiierte das sog. Raimundkomitee, das die Renovierung von Raimunds Grab in Gutenstein finanzierte. T. war Mitgl. des Journalisten- und Schriftsteller-Ver. „Concordia“, beteiligte sich an der Gründung der Schlaraffia Vindobona und wurde deren erster „Kanzler“. Er erhielt u. a. das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens (1908) sowie die große Goldene Salvatormedaille der Stadt Wien (1909) und war Ehrenmitgl. des Dt. Volkstheaters. Teilnachlässe befinden sich u. a. in der Österr. Nationalbibl., im Theatermus. und in der Wienbibl. im Rathaus.

Weitere Rollen: Fuhrmann Henschel (G. Hauptmann, Fuhrmann Henschel); Prof. Prutz (F. Wittenbauer, Der Privatdozent); etc. – Publ.: Meister Potier (Lustspiel, gem. m. M. Loebel), 1885; Chronik des Wr. Stadttheaters 1872–84, 1889; Aus dem Tagebuche eines Wr. Schauspielers. 1848–1902, 1904 (m. B. und Rollenverzeichnis); Allerlei von Theater und Kunst, 1909 (m. B.); Vom Lebenswege eines alten Schauspielers, 1914.
L.: NFP, 22. (Abendausg.), 23. 6. 1929; Alth, Burgtheater, s. Reg.bd.; Czeike; Eisenberg 1; Eisenberg, Bühne; Jb. der Wr. Ges.; Kosch, Theaterlex.; Ulrich; Spemanns goldenes Buch des Theaters, 1902, Nr. 1099 (m. B.); J. Bab – W. Handl, Dt. Schauspieler, 1908, S. 206ff.; P. Wilhelm, in: Bühne und Welt 11/1, 1908–09, S. 333ff. (m. B.); Geschichte der k. k. Ges. der Musikfreunde in Wien 2, 1912, S. 169, 327; R. Holzer, Die Wr. Vorstadtbühnen, 1951, S. 451ff.; F.-W. Knapheide, Der Schauspieler Dr. R. T., phil. Diss. Wien, 1965 (m. B.); Tagbl.Archiv, Wien; UA, Graz, Stmk.
(E. Offenthaler)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 67, 2016), S. 31f.
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