Vámbéry, Ármin (Hermann); bis ca. 1858 Wamberger (Vamberger), Beiname Resid effendi (1832–1913), Orientalist und Forschungsreisender

Vámbéry Ármin (Hermann), bis ca. 1858 Wamberger (Vamberger), Beiname Resid effendi, Orientalist und Forschungsreisender. Geb. St. Georgen, Ungarn (Svätý Jur, SK), vermutl. 19. 3. 1832; gest. Budapest (H), 15. 9. 1913; bis 1864 mos., dann evang. HB. Entstammte einer im 18. Jh. aus Bamberg nach Ungarn eingewanderten jüd. Familie. Sohn armer Eltern, Vater von →Rusztem V.; verheiratet mit Kornélia V., geb. Arányi-Rechnitz (gest. Budapest, 7. 11. 1914). – V., der seit seiner Kindheit an einer Lähmung des linken Beins litt, besuchte in Dunaszerdahely die Talmudschule und die evang. Volksschule, in St. Georgen die ersten zwei Gymn.kl. sowie 1846–48 das Benediktinergymn. in Pressburg. Die Schulausbildung konnte V. aus finanziellen Gründen nicht beenden, so arbeitete er als Hauslehrer, bildete sich autodidakt. weiter und erlernte europ. sowie oriental. Sprachen, wobei er sich insbes. dem Türk. widmete. In Wien wurde er Anfang der 1850er-Jahre mit →Joseph Frh. v. Hammer-Purgstall bekannt. 1857–61 von →Josef Baron Eötvös gefördert, erwarb sich V. in Konstantinopel fundierte Kenntnisse über die muslim.-türk. Welt, publ. hist. Stud. und ein „Deutsch-türkisches Taschen-Wœrterbuch“ (1858). Mit Hilfe ung. Emigranten knüpfte er Kontakte zur polit. Elite des Osman. Reichs. Sein Interesse wandte sich den östl. Turkvölkern sowie dem Ursprung des Ung. zu. Mit Unterstützung der MTA kehrte V. schon im Herbst 1861 in die Türkei zurück und bereiste 1863–64 als sunnit. Bettelderwisch verkleidet Zentralasien. Sein Weg führte von Trapezunt über Erzurum, Täbris, Teheran, das Ufer des Kasp. Meers entlang und anschließend bis nach Chiwa, Buchara und Samarkand in Turkestan. Auf der Rückreise begegnete er Nāsir al-Dīn Shāh. 1864 hielt V. in England – u. a. vor der Royal Geographical Society – Vorträge über die wiss. Erkenntnisse seiner Reise, wurde Premierminister Lord Palmerston vorgestellt und veröff. 1864 den Reiseber. „Travels in Central Asia ...“ (dt. „Reise in Mittelasien ...“, 1865). Eine Berufung an die Univ. Oxford lehnte er zwar ab, war aber in späteren Jahren öfter in England; 1889 wurde er sogar von Kgn. Victoria empfangen. Des Weiteren korrespondierte er mit →Theodor Herzl und unterstützte dessen Anliegen am Hof von Konstantinopel. Ab 1865 öff. Lehrer, 1868–70 ao. Prof., ab 1870 o. Prof. für oriental. Sprachen an der Univ. Pest, trat V. 1904 i. d. R. Zu seinen Schülern gehörte u. a. Ignaz Goldziher (→Ignaz Goldzieher). V. publ. seine Werke zumeist sowohl in ung. als auch in engl. und dt. Sprache. Sein wiss. Interesse umfasste beinahe das gesamte Gebiet der Turkol., wobei er insbes. im Bereich der Ethnographie Bleibendes hinterließ („Meine Wanderungen und Erlebnisse in Persien“, 1867; „Skizzen aus Mittelasien“, 1868; „Sittenbilder aus dem Morgenlande“, 1876; „Die primitive Cultur des Turko-Tatarischen Volkes“, 1879; „Das Türkenvolk …“, 1885). V.s hist. und polit. Arbeiten fanden ebenfalls internationale Beachtung, seine Kenntnisse Zentralasiens waren auch für die Politik, das Militär bzw. engl. und ottoman. Geheimdienste von eminenter Bedeutung („Russlands Machtstellung in Asien“, 1871; „Geschichte Bochara’s oder Transoxaniens …“, 1872; „Centralasien und die englisch-russische Grenzfrage“, 1873; „Der Islam im neunzehnten Jahrhundert“, 1875; „Westlicher Kultureinfluss im Osten“, 1906). Gleichfalls beeindruckend ist sein linguist. Œuvre, das sich auf Lexikographie, Etymol. und Texted. erstreckte („Ćagataische Sprachstudien ...“, 1867; „Uigurische Sprachmonumente …“, 1870; „Etymologisches Wörterbuch der turko-tatarischen Sprachen“, 1878; „Alt-Osmanische Sprachstudien“, 1901). V.s Hypothese, das Ung. sei keine finnougr. Sprache, sondern türk. Herkunft („Magyar és török-tatár szóegyezések“, in: Nyelvtudományi Közlemények 8, 1869; „A magyarok eredete“, 1882, dt. „Der Ursprung der Magyaren“, 1882), führte zu heftigen Debatten, die als „ugrisch-türkischer Krieg“ in die Geschichte der Sprachwiss. eingingen. V. und seine Mitstreiter, u. a. →Henrik Marczali und →Aurél Török de Ponor sowie die Finnougristen →Josef Budenz, →Paul Hunfalvy, →Bernát Munkácsi und →József Szinnyei d. J., trugen eine akadem. Auseinandersetzung aus, die – ungeachtet der Tatsache, dass V. letztl. seine Annahme revidierte („A magyarság bölcsőjénél“, 1914) – in Ungarn bis heute auch die breite Öffentlichkeit beschäftigt. V., von dessen bewegtem Leben die 1904 veröff. Memoiren „The Story of My Struggles“ (ung. „Küzdelmeim“, 1905) zeugen, gilt als einer der herausragendsten Orientalisten des 19. Jh. Ab 1860 k. M., ab 1876 o. Mitgl., ab 1893 Ehrenmitgl., ab 1894 Dion.mitgl. der MTA, 1872 Gründungsmitgl., 1889–90 Präs., ab 1890 Ehrenmitgl. der Ung. Geograph. Ges., war V. auch Ehrenmitgl. der Petőfi Ges., der Ung. Ethnograph. Ges., des Oriental. Mus. in Wien und zahlreicher europ. wiss. Ges. Dr. h. c. der Univ. Budapest (1881) und des Dubliner Trinity College (1884), wurde V. 1870 mit dem Sámuel-Preis der MTA ausgez.

Weitere W. (s. auch ÚMÉL; V. A. … és hagyatéka a MTA Könyvtárában): Die Sarten und ihre Sprache, in: Z. der Dt. Morgenländ. Ges. 44, 1890; Aus dem Geistesleben pers. Frauen, ebd. 45, 1891; Die gelbe Gefahr, 1904. – Übers. und Ed.: Die Scheïbaniade, 1885.
L.: Biograph. Lex. Südosteuropas; Katolikus Lex.; M. Életr. Lex. (m. B.); M. Irodalmi Lex. I, II (m. B.); M. Zsidó Lex.; Markó; Szinnyei; ÚMÉL (m. B. u. W.); Wurzbach; B. Munkácsi, in: Ung. Rundschau für hist. und soziale Wiss. 3, 1914, S. 513ff., 4, 1915, S. 88ff., 386ff.; I. Goldziher, in: A MTA elhúnyt tagjai fölött tartott emlékbeszédek 17/6, 1915, S. 147ff.; M. Vámos, Resid efendi, 1966; Gy. Hazai, V. Á., 1976; L. Adler – R. Dalby, The Dervish of Windsor Castle, 1979; V. Á. emlékezete, ed. P. Fodor, 1986; R. Vámbéry, A mennyei Pilvax, 1994, S. 381ff.; Új magyar irodalmi lex. 3, 2. Aufl. 2000; Nemzetközi V. Konferencia I-XI, ed. M. Dobrovits – L. Keller, 2003–14; P. Haber, in: Jüd. Identität und Nation, ed. ders. u. a., 2006, S. 19ff.; The YIVO Enc. of Jews in Eastern Europe, ed. G. D. Hundert, 2008; V. Á. 1832–1913, ed. Gy. Hazai – P. Fodor, 2013; I. Gerelyes, in: Orientalismen in Ostmitteleuropa, ed. R. Born – S. Lemmen, 2014, S. 87ff.; V. Á. (1832–1913) és hagyatéka a MTA Könyvtárában (m. B. u. W., Zugriff 28. 1. 2016).
(Á. Z. Bernád)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 170f.
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