Vančura, Vladislav (1891–1942), Schriftsteller, Filmregisseur und Arzt

Vančura Vladislav, Schriftsteller, Filmregisseur und Arzt. Geb. Freiheitsau, Schlesien (Háj ve Slezsku, CZ), 23. 6. 1891; gest. Prag, Protektorat Böhmen und Mähren (Praha, CZ), 1. 6. 1942 (hingerichtet); evang. AB. Sohn des Beamten und Wirtschaftsverwalters Václav Vojtěch V. (geb. Časlau, Böhmen / Čáslav, CZ, 1856) und von Marie Svobodová Vančurová (geb. Kluky, Böhmen / CZ, 1863), Cousin des Schriftstellers Jiří Mahen (eigentl. Antonín V., geb. Časlau, 12. 12. 1882; gest. Brünn, Protektorat Böhmen und Mähren / Brno, CZ, 22. 5. 1939, Suizid); ab 1921 mit der Ärztin Ludmila Vančurová, geb. Tuhá (geb. 14. 1. 1897; gest. Praha, CZ, 7. 12. 1983), verheiratet. – V. besuchte 1902–04 das Gymn. auf der Prager Kleinseite und in Beneschau und war kurze Zeit Buchhändlerlehrling in Hohenmauth. In Prag lernte er Photographieren und schloss ein kurzes Stud. an der Kunstgewerbeschule an, nachdem er zum Stud. an der Kunstakad. nicht zugelassen worden war. Auf Wunsch der Familie maturierte V. 1915 in Prag-Neustadt. Ein Jahr stud. er Jus und arbeitete bei der landwirtschaftl. Central-Ges., danach setzte er seine Ausbildung an der med. Fak. fort (Dr. med. 1921). 1921 eröffnete er gem. mit seiner Frau eine Praxis in Zbraslav. V. war als Arzt bis Ende der 1920er-Jahre tätig, danach wirkte er als freischaffender Künstler. 1920 wurde er Mitgl. und 1. Vors. des kommunist. Künstlerver. U. S. Devětsil, verbrachte mehrere Auslandsaufenthalte (Paris, Kairo, Moskau) und hielt sich auch wiederholt in der Karpaten-Ukraine auf. 1929 wurde er als Unterzeichner des „Manifests der Sieben“ gegen die Bolschewisierung aus der kommunist. Partei ausgeschlossen. In den 1930er-Jahren nahm V., ein Vertreter des Poetismus, weiterhin am öff. und künstler. Leben als Mitgl. mehrerer Ver. (u. a. Filmges. Československá filmová společnost, 1937–38 1. Vors.; Schriftstellerver. Obec českých spisovatelů) teil und arbeitete auch bei der AB Film als Regisseur. Nach 1939 war er Mitgl. der illegalen Organisation Národní revoluční výbor inteligence, wurde im Mai 1942 verhaftet und nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich ohne Gerichtsverfahren erschossen. V.s Werke zählen zu den bedeutendsten der tschech. Zwischenkriegsliteratur. Für seine Prosa ist v. a. die gewichtige Rolle des Erzählers und die signifikante Verwendung einer archaischen Sprache, die zur Monumentalisierung und Pathetisierung der Realität beitragen soll, kennzeichnend. In seinem vom Expressionismus beeinflussten Frühwerk schildert er Schicksale von sozial Schwachen („Pekař Jan Marhoul“, 1924; „Pole orná a válečná“, 1925; „Poslední soud“, 1929); groteske Züge nimmt seine Erzählweise in der Novelle „Rozmarné léto“ (1926) an, die, von seinem Freund Josef Čapek illustriert, ein Bestseller und 1967 von Jiří Menzel verfilmt wurde. V.s experimentelles Prosawerk „Hrdelní pře aneb přísloví“ (1930) ist erneut im kleinstädt. Milieu angesiedelt. In den 1930er-Jahren nimmt der epische Charakter seiner Werke zu und V. setzt wiederholt die Retrospektive als Gegenbild zur Gegenwart ein. Eine Liebe schildert V. in der im Mittelalter handelnden Geschichte „Markéta Lazarová“ (1931, dt. „Marketa und Miklas“, übers. Josef Hahn, 1968), die ein großer Erfolg wurde. Der Roman „Konec starých časů“ (1934) handelt von einem Lebenskünstler aus der Vorkriegszeit. Die realist. Darstellungsweise ist auch in seinem Spätwerk tragend, u. a. im Bildungsroman „Tři řeky“ (1936), mit einem Bauernsohn als Protagonisten, oder im ersten Tl. der unvollendeten Familiensaga „Rodina Horvatova“ (1938). Sein Geschichtsbuch „Obrazy z dějin národa českého“ (2 Bde., 1939–40) galt als Symbol des Widerstands. V. ist weiters Autor mehrerer Dramen („Učitel a žák“, 1927; „Jezero Ukereve“ mit einem antikolonialist. Thema, 1935), von Drehbüchern („Před maturitou“, 1932; „Marijka nevěrnice“, 1934; „Láska a lidé“, 1937) und von Kinderbüchern („Kubula a Kuba Kubikula“, 1931, dt. „Peterpetz und Peter Petermichel“, übers. Eva Švorčiková, 1963). Außerdem ließ er sich von der Avantgardebewegung sowie vom Prager Strukturalismus inspirieren und betätigte sich als Theoretiker und Kritiker auf den Gebieten Literatur, Theater, Film und bildende Kunst. Posthum erhielt er den Titel Nationalkünstler (1947) und den Řád Bílého lva za vítězství bzw. den Řád Tomáše Garrigua Masaryka I. Kl. (1992).

Weitere W. (s. auch V. V. mezi dramatem a divadlem): Spisy V. V., 8 Bde., 1932–36; Dílo V. V., ed. J. Mukařovský – I. Olbracht, 8 Bde., 1946–50; Spisy V. V., 7 Bde., 1984–89; Brusič nožů (dt. Der Messerschleifer, übers. G. Just, 1985), in: Luk královny Dorotky, 1932. – Nachlass: Literární archiv PNP, Praha, CZ.
L.: LČL; Internationale Literatur 12, 1942, Nr. 6, S. 125; J. Kodíček, in: The Central European Observer 19, 1942, Nr. 12, S. 191; Panoráma 21, 1945–46, Nr. 3–4, S. 92, 117f., 154; J. Pistorius, in: Kritický měsíčník, 1946, S. 61ff.; V. ve fotografii, 1954 (m. B.); M. Kundera, Umění románu, 1960; Z. Kožmín, Styl V. prózy, 1968; M. Grygar, Rozbor moderní básnické epiky, 1970; V. V. mezi dramatem a divadlem, 1973 (m. W.); L. Vančurová, Dvacet šest krásných let, überarb. 2. Aufl. 1974; M. Blahynka, V. V., 1978 (m. B.); J. Holý, Práce a básnivost, 1989; B. Fučík, in: Čtrnáctero zastavení, 1992, S. 117ff. (m. B.); E. Thiele, in: V. V., Der Bäcker J. Marhoul, 2000, S. 199ff.; I. Klimeš, in: Obrazy času – Bilder der Zeit, 2003, S. 160ff.; Lex. der Weltliteratur, Fremdsprachige Autoren L–Z, ed. G. v. Wilpert, 4. neubearb. Aufl. 2004; R. A. Chitnis, V. V.: the Heart of the Czech Avant-garde, 2007; T. G. Winner, The Czech Avant-Garde Literary Movement Between the World Wars, 2015, s. Reg.
(V. Petrbok)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 175f.
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