Vetsera, Helene Freifrau von; geb. Baltazzi (1847–1925), Private

Vetsera Helene Freifrau von, geb. Baltazzi, Private. Geb. Marseille (F), 1847; gest. Wien, 1. 2. 1925 (begraben: Payerbach, NÖ); ab 1882 röm.-kath. Tochter des Bankiers Theodor Baltazzi (geb. 1788 oder 1798; gest. 4. 6. 1860), der seine Lehrjahre in Paris und London verbrachte, und der Elizabeth (Elza) Sarell (1823–1863), Schwester u. a. der Pferdesportler und Rennstallbesitzer Heinrich (Henry) Baltazzi (geb. 5. 8. 1858; gest. 17. 2. 1929), Alexander Baltazzi (geb. 16. 5. 1850; gest. Wien, 24. 11. 1914), dessen Hengst Kisber 1876 das Derby in Epsom und den Grand Prix de Paris gewann, Aristides Baltazzi (geb. Konstantinopel, Osman. Reich / İstanbul, TR, 13. 1. 1853; gest. Wien, 24. 10. 1914), 1897–1907 Abg. im RR, und Hector Baltazzi (geb. Therapia/İstanbul, TR, 21. 9. 1851; gest. Wien, 2. 1. 1916), Mutter von →Maria Alexandrine Freiin v. V., Ladislaus (Lazi) Frh. v. V. (geb. Paris, F, Jänner 1865; gest. Wien, 18. 12. 1881; begraben: Payerbach), der beim Wr. Ringtheaterbrand verunglückte und an den Folgen starb, sowie von Franz Albin (Feri) Frh. v. V. (geb. 29. 11. 1872; gest. 22. 10. 1915; begraben: Payerbach); ab 1864 mit dem österr. Diplomaten →Albin Frh. v. V., in 2. Ehe mit dem kgl. brit. Gesandten in Persien Alison verheiratet. – Die aus Venedig stammende Familie Baltazzi wanderte Mitte des 18. Jh. nach Smyrna ein und zog 1848 nach Konstantinopel, wo Theodor Baltazzi im Stadttl. Pera ein imposantes Haus erbaute. Den großen Reichtum der Familie begründete er, indem er als finanzieller Berater von Sultan Abdülmecid I. im Zuge einer Pacht die Mautgebühren für die Galata-Brücke über das Goldene Horn einnahm. Der Pachtvertrag ging nach seinem Tod noch für mehrere Jahre auf seine Familie über. Baltazzi hinterließ zudem neben Liegenschaften in Österr., Ungarn und am Bosporus Wertpapiere und Obligationen in Mio.höhe. Nach dem Tod beider Eltern V.s wurde der Freund der Familie und damalige Legationssekr. der österr. Botschaft in Konstantinopel Albin V. Vormund aller Baltazzi-Kinder. 1864 heiratete er sein Mündel, V. Die Ehe entsprang von beiden Seiten rationalen Beweggründen und wirkte sich günstig auf Albin V.s Karriere aus. V. ihrerseits wusste durch die Heirat ihre Geschwister abgesichert. Nachdem sie anfangs ihren Ehemann an seine wechselnden Dienstorte begleitet hatte, blieb sie ab Ende der 1860er-Jahre mit den gem. Kindern in Wien-Leopoldstadt wohnhaft und versuchte – als gesellschaftl. ehrgeizig geltend –, Zugang zum Wr. Hochadel und zu dessen Festlichkeiten zu erlangen. Vom sozialen Aufstieg zeugt die Übersiedelung der Familie 1880 in ein Barock-Palais in altadeliger Umgebung in der Salesianergasse in Wien-Landstraße, wo V. im bald als Palais V. bekannten Haus Empfänge, Bälle und Soireen organisierte. Sie besuchte mit ihren Töchtern zahlreiche Veranstaltungen der oberen Ges., und letztl. verhalf auch der Pferdesport, in dem die Baltazzi-Familie eine führende Stellung in der Donaumonarchie hatte, zum Eintritt in die adelige Ges.; V. war selbst eine gute Campagnereiterin. Nach dem Tod Albin V.s und nachdem sie bereits ihren Sohn Ladislaus V. verloren hatte, fiel V. nach dem Verlust eines weiteren Kinds, Maria Alexandrine Freiin v. V., aufgrund der Umstände in gesellschaftl. Ungnade. In ihrer „Denkschrift“ unternahm sie Rechtfertigungsversuche, sie habe weder von der Liaison zwischen Kronprinz →Rudolf und ihrer Tochter gewusst noch diese gefördert. Diese, im Sommer 1889 im Selbstverlag bei →Johann N. Vernay veröff., wurde unmittelbar nach Erscheinen konfisziert. Dennoch druckten ausländ. Z., u. a. der Pariser „Le Temps“, zumindest Tle. ab. 1891 erwarb V., deren Muttersprache Engl. war, eine Villa in Payerbach, die sie in ein Herrenhaus umbauen ließ und nach 1918 wieder verkaufte. Aufgrund ihrer sozialen Einstellung genoss die Adelige in Payerbach hohe Wertschätzung. So kaufte sie u. a. Lehrmittel für die Schule und beschenkte jedes Jahr zu Weihnachten arme Schulkinder. Das Wr. Palais gab V. 1897 auf und zog in eine große Mietwohnung in der Technikerstraße in Wien-Wieden. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs verlor sie durch die Inflation einen Großtl. ihres Vermögens und lebte danach in bescheidenen Verhältnissen.

Weitere W.: Das Drama von Mayerling. Der Tod des Kronprinzen Rudolf u. der Baronesse Mary V., 1921. – Teilnachlass der Familie V.: Österr. Nationalbibl., Wien.
L.: B. Hamann, Rudolf, Kronprinz und Rebell, 1978, s. Reg.; H. Baltazzi-Scharschmid – H. Swistun, Die Familien Baltazzi-V. im k. Wien, 1980, passim; H. Swistun, Mary V. Gefährtin für den Tod, 1999, passim; K. Unterreiner, in: G. Markus – dies., Das Original-Mayerling-Protokoll der H. V.: „Gerechtigkeit für Mary“, 2014, S. 7ff.; G. Markus, ebd., S. 13ff. (m. B.); R. R. Novak, Das Mayerling-Netz, 2015, S. 155ff.; M. Lindinger, Sonderlinge, Außenseiter, Femmes fatales. Das „andere“ Wien um 1900, 2015, S. 186ff.; Denkschrift der Baronin H. v. V. über die Katastrophe in Mayerling und den dabei erfolgten Tod ihrer Tochter Mary V., ed. E. v. der Planitz, o. J.; Website Worldhistory. Personen der Weltgeschichte (m. B., Zugriff 17. 6. 2016); AVA, HHStA, beide Wien.
(K. Bergmann-Pfleger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 257f.
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