Violand, Ernst Franz Salvator Ritter von (1818–1875), Revolutionär und Jurist

Violand Ernst Franz Salvator Ritter von, Revolutionär und Jurist. Geb. Wolkersdorf (NÖ), 20. 2. 1818 (nicht 1821); gest. Peoria, IL (USA), 5. 12. 1875; röm.-kath. Nachfahre von Kaufleuten aus Savoyen mit Geschäftshäusern in Wien und Augsburg; Urenkel des 1766 in den erbl. Reichsritterstand erhobenen Franz Ritter v. V., Enkel von Ignaz Ritter v. V., Beamter im Straßenbauressort, Sohn von Franz Ritter v. V. (gest. 1851), Wegmeister und Straßenbau-Inspizient an der Brünner Straße, und dessen Frau Maria v. V., geb. Rohr; ab 1852 verheiratet mit Marie Seibert. – V. besuchte 1828–34 das Wr. Piaristengymn. und stud. nach Absolv. der phil. Jgg. (1835–36) Rechtswiss. an der Univ. Wien (1836–40, u. a. bei →Anton Josef Frh. Hye v. Glunek und →Joseph v. Kudler); 1844 Dr. iur. Ab 1842 wirkte er als Auskultant am Nö. Landrecht, wo er Bekanntschaft mit →Andreas Frh. v. Stifft d. J. schloss. 1845 veröff. er im Jg. 2 der Z. „Der Jurist“ den Aufsatz „Gegenbemerkung …, die Onerierung des Fideikommiß-Dritteils betreffend“. V. beteiligte sich aktiv an der Märzrevolution von 1848 und wirkte in allen revolutionären Körperschaften Wiens mit (Akadem. Legion, polit. Zentralkomitee der Nationalgarde Mai 1848, ab Anfang Juni 1848 Sicherheitsausschuss, Gründungsmitgl. des Ver. der Volksfreunde / Demokrat. Ver., Abg. zum konstituierenden RT). Daneben publ. er in den Z. „Der Radikale“ und „Die Reform“. Zusammen mit →Hans Kudlich, →Anton Füster und Josef Goldmark war V. prominenter Wortführer der Reichstagslinken. Er stellte Anträge auf Aufhebung der Feudallasten sowie Abschaffung des Adels, der Titel und Orden und lehnte das Dankvotum an die Italienarmee unter →Johann Josef Wenzel Gf. Radetzky v. Radetz ab. Nach den Augustunruhen („Praterschlacht“) interpellierte V. die Regierung. In der damaligen Verfassungsdebatte setzte er sich für eine Verknüpfung der Entschädigungsfrage in der von Kudlich initiierten Grundentlastung mit einer Gesetzsanktionierung nach dem Prinzip der Volkssouveränität ein. V. war maßgebend in der Dreierkomm. des Verfassungsausschusses zur Beratung der Grundrechte tätig. Im September 1848 trat er für einen Kontakt mit Ungarn ein und beteiligte sich an der Organisation des Bauernfackelzugs für Kudlich. Während der Oktoberrevolution gehörte er dem Permanenzausschuss des RT an. Nach der Auflösung des RT im März 1849 floh V. gem. mit Kudlich über Schlesien nach Leipzig, Hamburg und Kiel. 1849–50 publ. er – angeregt von Lorenz (v.) Steins (konservativem) Werk „Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs“ (1842, 2. Aufl. 1848) und parallel zu dessen „Geschichte der socialen Bewegungen in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage“ (3 Bde., 1850) – bedeutende polit. und (erste) soziale Analysen der Revolution in Österr. V.s Verwendung des Begriffs der „socialen Demokratie“, die für und durch das „Proletariat“ „mittelst Gewalt“ und „Diktatur“ herzustellen sei, belegen (auch polizeil. beobachtete) Kontakte zur Londoner Emigration (Gründung einer Weltges. der revolutionären Kommunisten durch Marx, Engels, Anhänger Blanquis und radikale Chartisten im April 1850). V.s Begriffsbildung ist im Vorwort der „socialen Geschichte“ mit Jänner 1850 datiert, d. h. vor Marxʼ „Klassenkämpfen in Frankreich“ und der „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund“ formuliert. Ein Hochverratsprozess gegen V. endete Mitte März 1856 mit der Verhängung der Todesstrafe in absentia (unter Aberkennung von Adelsprädikat und Doktorat). Um die Jahreswende 1850/51 emigrierte V. über New York nach Virginia, wo er als Tabakhändler und Zigarrenfabrikant tätig war, später übte er diesen Beruf in Peoria aus (1866–68 auch Versicherungsagent). V. war in der dt. sozialist. Turnerbewegung aktiv und arbeitete auch an Heinrich Börnsteins „Anzeiger des Westens“ mit. Im Sezessionskrieg 1861–65 fungierte er als Quartiermeister eines Kav.rgt. der Unionstruppen. 1867 wurde V. amnestiert.

Weitere W.: Enthüllungen aus Oesterr. jüngster Vergangenheit, 1849; Die sociale Geschichte der Revolution in Oesterr., 1850 (Neuausg.: Die soziale Geschichte der Revolution 1848, ed. W. Häusler, 1984, m. B.).
L.: Adlgasser; Wurzbach; H. Reschauer – M. Smets, Das Jahr 1848, 1–2, 1872, passim; H. Börnstein, Fünfundsiebzig Jahre in der Alten und Neuen Welt 1–2, 1881, passim; H. Traub, in: MIÖG 36, 1915, S. 96ff.; C. Witte, Refugees of Revolution. The German Forty-Eighters in America, 1952, s. Reg.; W. Häusler, in: Jb. des Inst. für Dt. Geschichte 6, 1977, S. 181ff.; ders., in: Die demokrat. Bewegung in Mitteleuropa im ausgehenden 18. und frühen 19. Jh., ed. O. Büsch, 1980, S. 404ff.; ders., in: Revolution, Demokratie, Nation. Fragen an das Sturmjahr 1848, ed. R. Reimann – Th. Mader, 1999, S. 9ff.; ders., in: „Dürfenʼs denn das?“ Die fortdauernde Frage zum Jahr 1848, ed. S. P. Scheichl – E. Brix, 1999, S. 57ff.; Biograph. Lex. zur Geschichte der demokrat. und liberalen Bewegungen in Mitteleuropa 2/2, ed. H. Reinalter, 2011, S. 109ff.; Th. Stockinger, Dörfer und Deputierte, 2012, s. Reg.; W. Häusler, in: Haus? Geschichte? Österreich? Ergebnisse einer Enquete über das neue hist. Mus. in Wien, ed. Th. Winkelbauer, 2016, S. 235ff.; UA, Wien; Pfarre Wolkersdorf, NÖ.
(W. Häusler)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 289f.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>