Visconti Ermes Marchese, Literaturkritiker und -theoretiker. Geb. Mailand, Hg.tum Mailand (Milano, I), 15. 3. 1784; gest. Crema, Lombardo-Venetien (I), 21. 1. 1841; röm.-kath. Aus einer vermögenden Familie stammend. – V. stud. Phil. an der Univ. Pavia, u. a. beim Schriftsteller und Übers. Vincenzo Monti. Danach trat er in die Mailänder Stadtverwaltung ein, wobei er weiterhin seine phil.-ästhet. Stud. vertiefte, die ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der ästhet.-phil. Reflexion über die romant. Poesie im Zuge der sog. Romanticismo-Classicismo-Debatte machten. 1818 wurde er Mitarb. der Mailänder Reformgruppe um die Z. „Il Conciliatore“, für die er 17 Beitrr. verf. und die von der österr. Verwaltung durch häufige Zensurierung in ihrer Entfaltung stark behindert wurde. V. besprach u. a. die erste italien. Ausg. von Schillers Dramen in der Prosaübers. durch Pompeo Ferrario und widmete sich mit unterschiedl. Akzenten insbes. der „Jungfrau von Orleans“ sowie der „Braut von Messina“. Sein nachfolgender programmat. Essay „Idee elementari sulla poesia romantica“ (in: Il Conciliatore 1, November–Dezember 1818, im selben Jahr auch als Separatdruck erschienen) gilt als Schlüsseldokument der frühen Diskussion über zeitbezogene Ästhetik und Nationalkultur in Italien; er wurde u. a. von Goethe in seinem Essay „Klassiker und Romantiker in Italien, sich heftig bekämpfend“ (1820) herangezogen und in Frankreich durch Claude-Charles Fauriel und Stendhal sehr positiv aufgenommen und verbreitet. Paride Zajotti hingegen bezog in einer Besprechung in der von der österr. Regierung finanzierten „Biblioteca Italiana“ (Bd. 13, 1819) polem. gegen V. und die „romantische Sekte“ Position. V.s Interesse für Schiller, das er mit →Silvio Pellico teilte, wirkte u. a. auf die dramat. Vorstellungen von →Alessandro Manzoni, mit dem er eng befreundet war und dessen „Conte di Carmagnola“ er 1820 hrsg. Auch auf Manzonis Erstfassung des epochalen Romans „I Promessi Sposi“ mit dem Titel „Fermo e Lucia“ (1824) nahm V. bedeutenden Einfluss. Nach einer dezidierten Hinwendung zum Katholizismus um 1827 zog sich V. aus den öff. Debatten weitgehend zurück, widmete sich fortan intensiv der Lektüre von Kants Werken, die insbes. in der Schrift „Saggi di Ermes Visconti intorno ad alcuni quesiti concernenti il bello“ (1833) Niederschlag fand, ferner Stud. zur Grammatik sowie zu spirituell-religiösen Fragen.