Vitzthum von Eckstädt, Karl Friedrich Gf. (1819–1895), Diplomat und Schriftsteller

Vitzthum von Eckstädt Karl Friedrich Gf., Diplomat und Schriftsteller. Geb. Dresden, Sachsen (D), 13. 1. 1819; gest. ebd., 16. 10. 1895. Sohn des sächs. Oberstallmeisters Karl Gf. V. v. E. und dessen Frau Elisabeth; ab 1875 verheiratet mit der verwitweten Leonia Gfn. Lanckorońska. – Nach dem Stud. der Rechtswiss. in Göttingen und Leipzig begann V. seine Laufbahn am Justizamt Dresden, wechselte aber schon 1842 ins Min. für auswärtige Angelegenheiten. 1845 Legationssekr. der kgl. sächs. Gesandtschaft in Berlin, kam er ab Oktober 1847 an die Gesandtschaft in Wien, wo er die Revolution von 1848 miterlebte, die er ablehnte. Nichtsdestoweniger stellte er Ende Oktober 1848 dem nach Wien gekommenen sächs. Abg. der Frankfurter Nationalversmlg. Robert Blum einen Pass zu dessen Rückkehr aus, wovon dieser keinen Gebrauch machte und standrechtl. erschossen wurde, ein Ereignis, das von V. durchaus gebilligt wurde. 1852 wechselte V. von Wien, wo er sich gesellschaftl. gut integriert hatte, als sächs. Geschäftsträger nach St. Petersburg, verließ dieses jedoch schon im Sommer 1853 in Richtung London, wo er bis September 1867 zuerst als Ministerresident und ab 1857 als Gesandter sowie bevollmächtigter Minister wirkte. Zwar gelang es ihm dank seines zuvorkommenden Auftretens und seiner guten Sprachkenntnisse auch dort, rasch Kontakte zu den maßgebl. Politikern zu knüpfen, doch war es ihm als Angehörigen der von ihm so titulierten „kleinen sächsischen Diplomatie“ nur selten mögl., tatsächl. Einfluss auf den Gang der Ereignisse zu nehmen. In der dt. Frage präferierte er eine andere Lösung als der sächs. Ministerpräs. →Friedrich Ferdinand Gf. Beust, der die Mittelstaaten in Dtld. als Gegengewicht gegen die Hegemonialmächte Österr. und Preußen installieren wollte. V. – ein Anhänger der alten Reichsidee, der Preußen als Störer der dt. Einheit empfand – hoffte dagegen auf ein von Österr. wie Preußen unabhängiges, aber beide umschließendes „dt. Vaterland“. Nach 1866 und 1871 begann er sich jedoch mit den Realitäten abzufinden und akzeptierte die Reichsgründung unter preuß. Dominanz. Als 1866 der von V. befürchtete „deutsche Bruderkrieg“ ausbrach und Sachsen an der Seite Österr. in den Kampf zog, erreichte die Nachricht von der Schlacht bei Königgrätz V. in Wien. Durch die Niederlage war V.s Position in Sachsen bei seiner bekannt negativen Einstellung gegenüber Preußen schwierig geworden; er ging zwar nach London zurück, doch wurde er im September 1867 von seinem Posten abberufen. Beust war bereits Ende 1866 in österr. Dienste getreten, er riet V., es ihm gleichzutun. Im Mai 1868 wurde V. zum österr.-ung. Gesandten beim kgl. belg. Hof ernannt, ein Posten, der mit seinen früheren Stellungen nicht vergleichbar, doch der einzige damals verfügbare war. Außerdem sollte er von Brüssel aus seine Kenntnisse der brit. Politik bei den anstehenden wirtschaftl. Verhh. einbringen, aber zugleich den Kontakt mit Frankreich pflegen. Die hochgesteckten Erwartungen auf eine ersprießl. Tätigkeit V.s erfüllten sich jedoch nicht. Dazu kam, dass er 1869/70 auch im Inland von liberalen Politikern angegriffen wurde, die ihm vorhielten, er sei „zu teuer“ und nehme zu viel Urlaub, Angriffe, auf die er, dem ein anderes Amtsverständnis als das der bürgerl. Liberalen eigen war, äußerst scharf reagierte. Nach 1871 zog sich V. auf seine direkten Amtsgeschäfte als (minder bedeutsamer) Gesandter am belg. Hof zurück. Die mit der geplanten Versetzung an den span. Hof in Madrid verbundene Prestigeerhöhung scheiterte an den innenpolit. Wirren dieses Landes. Darüber hinaus mit der generellen polit. Entwicklung Österr.-Ungarns nicht einverstanden, verließ er 1874 den diplomat. Dienst und lebte fortan als Privatier, teils in Paris, teils in Baden-Baden, schließl. wieder in Dresden. V. war auch literar. tätig, wobei ihm allg. ein eleganter Stil bescheinigt wurde. Neben Ged., die er unter Ps. veröff. oder in seine übrigen Werke einstreute, einer literaturwiss. Arbeit über Shakespeare und einer Smlg. naturwiss. Aufsätze, die zwar gedruckt, aber nicht veröff. wurde, befasste er sich vordringl. mit hist. bzw. zeitgeschichtl. Themen, für die er auch Archivstud. betrieb.

W.: Die Geheimnisse des sächs. Cabinetts. Ende 1745 bis Ende 1756 ..., 2 Bde., 1866; Maurice Comte de Saxe et Marie-Josèphe de Saxe ..., 1867; Zur Geschichte des Türkenkrieges 1683. Die Beteiligung der kursächs. Truppen an demselben, 1883; Berlin und Wien ... 1845–52, 1886; St. Petersburg und London ... 1852–64, 2 Bde., 1886; Shakespeare und Shakspere, 1888; London, Gastein, Sadowa 1864–66, 1889; Denkwürdigkeiten 1866–73, 1894 (nur als Ms. gedruckt).
L.: ADB; O. Lorenz, Staatsmänner und Geschichtsschreiber des 19. Jh., 1896, S. 194ff.; R. Gf. V. v. E., Beitrr. zu einer Vitzthumschen Familiengeschichte, 1935, S. 322ff.; H. Rumpler, in: Bausteine zur Geschichte Österr., 1966, S. 208ff.; HHStA, Wien; UA, Leipzig.
(P. Urbanitsch)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 301f.
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