Vivenot, Alfred Ritter von (1836–1874), Offizier und Militärhistoriker

Vivenot Alfred Ritter von, Offizier und Militärhistoriker. Geb. Wien, 6. 8. 1836; gest. ebd., 9. 7. 1874 (begraben: Weidling, NÖ). Enkel von →Dominik Edler v. V. (s. u. Rudolph Ritter v. V. d. Ä.), Sohn von →Rudolph Ritter v. V. d. Ä. und Josefine v. V., geb. Freiin (Metzger) v. Metzburg (geb. Lemberg, Galizien / L’viv, UA, 9. 11. 1810; gest. Mauer, NÖ / Wien, 16. 7. 1838), Halbbruder von →Rudolph Ritter v. V. d. J. (s. u. Rudolph Ritter v. V. d. Ä.) und von FML Oscar Ritter v. V. (1859–1932); ab 1860 mit Mathilde Englerth (geb. 5. 5. 1838) verheiratet. – Nach sorgfältiger Erziehung im Elternhaus besuchte V. 1848–50 die Genie-Akad. und trat 1853 als Kadett in das Kürassierrgt. Nr. 7 ein. 1855 Lt. im Ulanenrgt. Nr. 10, diente er ab 1857 im IR Nr. 28 sowie ab 1859 im Husarenrgt. Nr. 2; 1859 kehrte er als Hptm. 2. Kl. zum IR Nr. 28 zurück. In diesem Jahr war er als Adj. →Ferdinand Frh. v. Augustin zumindest nominell zugeteilt, fand jedoch rasch Verwendung als Prof. an der Theresian. Militärakad. und erhielt danach kurzzeitig einen Posten bei →Johann Gf. v. Rechberg u. Rothenlöwen für Tätigkeiten im Staatsarchiv. Nach einer einjährigen Beurlaubung wurde V. 1861 zum IR Nr. 35 transferiert und 1864 zum Hptm. befördert. Nach der Niederlage Österr. in der Schlacht bei Königgrätz 1866 diente V. bei der Besatzungsarmee der Festung Josefstadt, die nach dem Rückzug der österr. Hauptarmee über die Donau von dieser abgeschnitten war. V. wurde beauftragt, durch das von den Preußen besetzte Gebiet wichtige Nachrichten insbes. an →Ludwig Benedek v. Felsö-Eör zu überbringen. Darüber hinaus legte er dem Festungskmdt. einen Plan für ein Freiwilliges Jägerkorps vor, das hinter den preuß. Linien operieren sollte. Dafür erhielt er alsbald eine Instruktion und begann einen höchst erfolgreichen „Volkskrieg“ mit seinem „Fliegenden Korps“, das schließl. auf über 500 Mann anwuchs. Dieses Korps unternahm u. a. Brückensprengungen, führte nächtl. Überfälle aus und zerstörte Feldtelegraphen der preuß. Armee. V. wollte diesen Partisanenkrieg auch in Preuß.-Schlesien weiterführen, doch beendete der Waffenstillstand diese Aktion. 1867 Dr. phil. an der Univ. Leipzig, wandte sich V. von da an wiss. Arbeiten zu. 1870 ging er in diplomat. Mission nach Münster, Stuttgart und Leipzig und bereiste 1871, nachdem er dem Gen.stab zugeteilt worden war, zum Zweck der Verfassung von Stimmungsberr. mehrere dt. Länder. Aus der geheimen Aktenlage geht hervor, dass Österr.-Ungarn die Absicht hatte, im Rahmen bewaffneter Vermittlung in den Dt.-Französ. Krieg einzutreten. Nach dessen Ende wurde V. kurzfristig der Intendanz des Kriegsmin. zugewiesen, aber noch 1871 beim IR Nr. 35 i. d. R. versetzt. 1872 wirkte er als Legationsrat im Min. des Äußern. 1874 wurde er wieder dem Gen.stab zugeteilt. Diese Funktionen hatte er auch der früheren Protektion durch Erzhgn. →Sophie zu verdanken, deren Freundeskreis er angehörte. V. war ein vehementer Anhänger der großdt. Lösung und des Neoabsolutismus des Ministerpräs. →Felix Prinz zu Schwarzenberg. In Friedenszeiten konnte sich V. geschichtswiss. Arbeiten zuwenden. Sein hist. Œuvre als Autodidakt ist umfassend anerkannt. V.s Hauptwerk, das er gem. mit Heinrich Ritter v. Zeißberg hrsg., sind die ersten beiden Bde. „Quellen zur deutschen Kaiserpolitik“, 1873–74. Darüber hinaus verf. er biograph. Werke zu Personen der österr. Außen- und Militärpolitik zur Zeit des →Franz Maria Frh. v. Thugut, der französ. Revolution und des Kongresses von Rastatt 1797–99. V. kritisierte in seinen Werken v. a. die preuß. Kriegsführung, aber auch die Haltung Preußens insbes. bei der 2. poln. Teilung scharf. 1866 mit dem Ritterorden der Eisernen Krone III. Kl. ausgez., war er u. a. Ritter des kgl. portugies. Christus-, des Albrechts- und Ritter I. Kl. des großherzogl.-hess. Ludwigordens.

Weitere W. (s. auch Wurzbach; John): Erzhgn. Sophie v. Österr., in: Köln. Volksztg., 2. 6. 1872.
L.: WZ, 10. 7. 1874; ADB; Wurzbach (m. W.); Annette von Vivenot, Geschichte der Familie v. V., 1902, S. 67ff.; A. John, A. v. V., phil. Diss. Wien, 1935 (m. W.); E. Seeliger, Maulwürfe des Völkerringens, 1940, S. 95ff.; W. Heydendorff, Österr. und Preußen im Spiegel österr. Geschichtsauffassung, 1947, s. Reg.; H. v. Srbik, Geist und Geschichte vom dt. Humanismus bis zur Gegenwart 2, 1951, S. 97f.; A. Lhotsky, Österr. Historiographie, 1962, S. 189; H. Mast, in: Österr. Militär. Z., Sonderh. 1, 1966, S. 21ff.; F. Walter, in: Schicksal eines Hauses, 1984, S. 19ff.; HHStA, Wien.
(P. Broucek)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 303f.
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