Vörösmarty Mihály, Schriftsteller und Übersetzer. Geb. Nyék Puszta (Kápolnásnyék, H), 1. 12. 1800; gest. Pest (Budapest, H), 19. 11. 1855; röm.-kath. Aus einer verarmten kleinadeligen Familie stammend, Sohn des Gutsverwalters Mihály V. (geb. Stuhlweißenburg/Székesfehérvár, H, 15. 9. 1764; gest. Pest, 1817) und dessen Frau Anna V., geb. Csáthy (gest. 15. 9. 1834), Vater des Juristen, Staatssekr. und Vizepräs. der Kurie Béla V. (geb. Pest, 23. 4. 1844; gest. Budapest, 9. 10. 1904) und der Hof- und Sternkreuzordensdame Ilona V., ab 1867 Ehefrau von →Kálmán Széll v. Duka u. Szentgyörgyvölgy; ab 1843 verheiratet mit Laura (Eleonóra) V., geb. Csajághy v. Csajág (geb. Csép, H, 20. 2. 1825; gest. Kápolnásnyék, 13. 2. 1882). – Nach dem Schulbesuch in Nyék Puszta (1807–11), des Zisterziensergymn. in Stuhlweißenburg (1811–16) sowie des Piaristengymn. in Pest (1816–17) stud. V. 1817–20 Phil., ab 1820 Jus an der Univ. Pest. 1822–23 Konzipient in Görbő, legte er 1824 in Pest die Advokatenprüfung ab, übte jedoch den Beruf des Rechtsanwalts nicht aus. 1818–24 arbeitete er als Erzieher von →Miklós Perczel v. Bonyhád, →Mór Perczel v. Bonyhád und Sándor Perczel v. Bonyhád. 1824 schloss V. mit →Franz v. Deák, →Pál Szemere und →Ferenc Toldy Bekanntschaft. 1827–32 war er Red. der im Verlag von →János Tamás Trattner v. Petróza erschienenen wiss. Z. „Tudományos Gyűjtemény“ und deren literar. Beibl. „Koszorú“; 1837–43 red. er gem. mit Toldy und József Bajza die Z. „Athenaeum“, eines der wichtigsten gesellschaftspolit. und literar. Foren der Reformzeit in Ungarn, sowie 1837–40 deren Beibl. „Figyelmező“, in dem Literatur- und Theaterkritiken veröff. wurden. Als Mitgl. des Ver. zum Schutz der ung. Ind. (Védegylet), 1842–47 Präs. des Nationalen Kreises (Nemzeti Kör) und ab 1847 Vizepräs. des Oppositionskreises (Ellenzéki Kör) war V. maßgebl. an der Organisierung reformoppositioneller Intellektuellennetzwerke beteiligt. 1848/49 LT-Abg., 1849 Mitgl. des Appellationsgerichts, war er nach der Niederschlagung der Revolution auf der Flucht und versteckte sich in der Prov. 1850 stellte er sich den Behörden, wurde jedoch im selben Jahr von →Julius Jacob Frh. v. Haynau begnadigt. Gesundheitl. angeschlagen und mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfend, zog er sich neuerl. in die Prov. zurück, wo er in Csép, Baracska und schließl. Pusztanyék von seiner Landwirtschaft lebte. Wegen der besseren ärztl. Versorgung zog V. mit seiner Familie 1855 nach Pest, wo er jedoch kurz darauf verstarb. V. gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der ung. Romantik. Sowohl sein lyr. Werk als auch seine Epen und Dramen gehören zum engsten Kanon der ung. Literatur und wurden in zahlreiche Sprachen übers. Mit dem Epos „Zalán futása“ (1825; dt. „Zaláns Flucht“, Übers. Georg Kosztka, o. J.), als dessen typolog. Palimpseste u. a. Vergils „Aeneis“ und James Macphersons „Ossian“ verortet werden können, setzte er nicht nur der ung. Landnahme 896 ein literar. Denkmal, sondern erschuf auch eine ung. Mythol. Im Märchendrama „Csongor és Tünde“ (1831; dt. u. a. „Csongor und Tünde“, Übers. Jenő Mohácsi, 1938, 2. Aufl. 1953) sind die Protagonisten in der räuml. Dichotomie eines Feenlands und der realen Welt auf der Suche nach dem ewigen Glück. Das Stück beeindruckt durch zahlreiche intertextuelle Verweise, die von ung. Volksmärchen und Erz.liedern sowie Motiven aus „Tausendundeine Nacht“ über Shakespeares „Sommernachtstraum“, Goethes „Faust“ bis hin zu Mozarts „Zauberflöte“ und den Wr. Zauberpossen reichen. In der Ode „Szózat“ (1836; dt. „Mahnruf“, Übers. Hans Leicht, in: Ung. Dichtung aus fünf Jhh., ed. György Mihály Vajda, 1970) stellt V. die Geschichte der Ungarn als unablässiges, selbst den Niedergang in Kauf nehmendes emanzipator. Streben nach nationaler Freiheit bzw. Unabhängigkeit dar; sie gehört neben →Ferenc Kölcseys „Himnusz“ (1823) sowie →Sándor Petőfis „Nemzeti dal“ (1848) zu den wirkungsmächtigsten identitätskonstituierenden Texten der ung. Literatur. Das 1843 von →Béni Egressy vertonte Ged. war eine literar. Antwort auf die von Herder in den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (1784–91) geäußerte Vermutung über den Untergang der Magyaren bzw. ihrer Sprache. V.s lyr. Schaffen stand ab den 1840er-Jahren im Zeichen einer Gedankenlyr., die ihm einerseits durch das Aufgreifen von Themen wie Vernunft, Demokratie und Fortschrittskritik die Überschreitung des engen nationalen Kontextes ermöglichte („A Guttenberg-albumba“, 1839; dt. u. a. „Ins Gutenberg-Album“, Übers. Günther Deicke, in: Ung. Dichtung aus fünf Jhh., ed. Vajda, 1970; „Gondolatok a könyvtárban“, 1844; dt. u. a. „Gedanken in der Bibliothek“, Übers. Deicke, ebd.), zugleich jedoch die Möglichkeit der komplexen poet. Aufarbeitung des gescheiterten Freiheitskampfs von 1848/49 nicht ausschloss („Előszó“, 1850; dt. „Vorwort“, Übers. Deicke, ebd.). V.s letztes Ged., die von einer visionsartigen Assoziationsfolge dominierte Rhapsodie „A vén cigány“ (1854; dt. „Der alte Zigeuner“, Übers. Deicke, ebd.), gehört ebenfalls zu den Höhepunkten der ung. Romantik. Durch seine Shakespeare-Übers. („Julius Caesar“, 1839; „König Lear“, 1854) spielte V. auch als Literaturvermittler eine wichtige Rolle. V. war ab 1830 o. Mitgl. der MTA und 1836 Gründungsmitgl. der Kisfaludy-Ges. Für seine Verdienste erhielt er den Marczibányi-Anerkennungspreis der MTA (1828), den Dramen-Preis der MTA (1833) sowie den Großen Preis der MTA (1834, 1839, 1842).