Voigtländer, Peter Wilhelm Friedrich Ritter von (1812–1878), Optiker, Mechaniker und Industrieller

Voigtländer Peter Wilhelm Friedrich Ritter von, Optiker, Mechaniker und Industrieller. Geb. Wien, 17. oder 19. 11. 1812; gest. Braunschweig, Dt. Reich (D), 7. 4. 1878; evang. AB. Enkel des Tischlers und Instrumentenmachers Johann Christoph V. (geb. Leipzig, Sachsen/D, 19. 11. 1732; gest. Wien, 27. 6. 1797), der 1756 in Wien eine Werkstatt eröffnet und schnell den Ruf eines führenden Konstrukteurs mechan., mathemat. sowie geodät. Instrumente wie Nivelliergeräte, Astrolabien, Kompasse und Pantographen erworben hatte, Sohn von →Johann Friedrich V. und Franziska Amalie V., geb. Tiedemann (geb. 22. 10. 1780; gest. 7. 8. 1861), der Tochter des Stuttgarter Optikers Johann Heinrich Tiedemann, Vater von →Friedrich Wilhelm Ritter v. V., Stiefvater des Physikers, Mathematikers und Komponisten Hans Sommer, eigentl. Hans Zincke(n) (geb. Braunschweig, 20. 7. 1837; gest. ebd., 26. 4. 1922); in 1. Ehe verheiratet mit Anna V., geb. Salvaterra (geb. I, 1818; gest. Wien, 6. 5. 1844), ab 1845 mit Nanny Sommer, verwitwete Zincke(n), geb. Langenheim (1813–1902). – V. besuchte die Normalhauptschule St. Anna (1821–24) und die Realschule des polytechn. Inst. in Wien (1825–27). Danach folgte eine vierjährige Ausbildung im väterl. Betrieb, der sich eine Wanderschaft durch den Dt. Bund, die Schweiz, Frankreich und England anschloss. Nach seiner Rückkehr nach Wien arbeitete er als Geselle in der Werkstätte seines Vaters. 1837 wurde er Teilhaber und übernahm die Leitung des Unternehmens, das zunächst unter der Bezeichnung Friedrich Voigtländer & Compagnie, ab 1839 unter Voigtländer & Sohn firmierte. Der entscheidende Schritt zum international agierenden Unternehmen der opt. Ind. gelang V. 1840, als er gem. mit →Josef Petzval das erste wiss. berechnete Photoobjektiv herstellte. Das Doppel-Objektiv verfügte über eine Lichtstärke von 1:3,7 und deklassierte damit konkurrierende Objekte aus französ. Produktion bei Weitem. Die relativ kurze Belichtungszeit (45 Sek. bei Sonnenschein) ebnete den Weg der Porträtphotographie, verstärkte damit die Nachfrage nach Photographien und gab im aufgeheizten Innovationsklima der phototechn. Pionierjahre entscheidende Impulse für die Entstehung einer Photoind. und wirtschaft. Ab 1849 wurden die Objektive in Braunschweig hergestellt, das Wr. Stammhaus löste V. 1868 auf (in Wien und Braunschweig waren 1862 ca. 70 Mitarb. beschäftigt). Ein international ausgerichtetes Vertriebssystem stellte den Absatz der Produkte aus dem Haus V. sicher. Die bes. Fertigungsqualität garantierte trotz des hohen Preisniveaus eine kontinuierl. Nachfrage (Ende 1861 wurde das 10.000. Objektiv hergestellt). Im Produktionsprogramm verloren feinmechan. Artikel bald an Gewicht; der vorzügl. Ruf des Unternehmens basierte zusehends auf seinen Kompetenzen bei der Produktion von Photoobjektiven und Ferngläsern. Die Porträtobjektive V.s definierten ein Vierteljh. lang den Ind.standard. Als Ende der 1850er-Jahre die Nachfrage nach leistungsfähigen Objektiven für die Architektur- und Landschaftsphotographie einsetzte, wurden die bahnbrechenden Arbeiten im Bereich der Weitwinkelphotographie jedoch von Innovatoren wie John Ross, John Henry Dallmeyer und Emil Busch geleistet. Der von der Opt.-Astronom. Anstalt C. A. Steinheil in München entwickelte richtungsweisende und zudem kostengünstige Aplanat wurde ab 1865 als Modell „Periskop“ von V. in Lizenz produziert, was den relativen Bedeutungsverlust und einen Mangel an Innovationsfreude des Braunschweiger Unternehmens geradezu symbolhaft dokumentiert. Gegenüber neuen Ideen und Entwicklungen zeigte sich V. wenig aufgeschlossen. Sein ausgeprägter, an den Arbeiten von Petzval orientierter technolog. Konservativismus verhinderte Anfang der 1870er-Jahre die Umsetzung der zukunftsweisenden, auf Steinheil basierenden opt. Berechnungen seines Stiefsohns, zumal sich das bewährte Erfolgsrezept im Bereich der Porträtobjektive weiterhin lukrativ gestaltete. V. zog sich 1876 aus der Fa.leitung zurück und übergab diese seinem Sohn. Er war Gründer der Voigtländerschen Militärstiftung (1864) und der Marie-Valerie-Stiftung (1868), 1868 stiftete er der Photograph. Ges. in Wien die V.-Medaille. In Braunschweig war er im Ver. für Concert-Musik und dem Ver. zur Förderung der Smlgg. des Städt. Mus. mäzenat. tätig. Er erhielt zahlreiche Ehrungen: u. a. Herzogl. Braunschweig. Kommerzienrat (1864), Ritter des Franz Joseph-Ordens (1864), preuß. Kronen-Orden IV. Kl. (1864), Ritterkreuz des mexikan. Guadalupe-Ordens (1865), Ritterkreuz I. Kl. des hess. Verdienstordens Philipps des Großmütigen (1865), herzogl. Sachsen-Ernestin. Hausorden (1865), Ritterkreuz des kgl. schwed. Wasa-Ordens (1865), Orden der Eisernen Krone III. Kl. (1868). V. wurde 1865 in den Adelsstand, 1868 in den Ritterstand erhoben.

L.: ADB; Poggendorff 1, 3; Wurzbach; H. Harting, Zur Geschichte der Familie V., ihrer Werkstätten und ihrer Mitarb., 1925 (m. B.); M. v. Rohr, in: Z. für Instrumentenkde. 45, 1925, S. 436ff., 470ff.; Voigtländer Post, 1956, Sondernr. (m. B.); I. Erdmann, in: Tradition. Z. für Fa.geschichte und Unternehmerbiographie 7, 1962, H. 1 und 4 (m. B.); C. Grabenhorst, Voigtländer & Sohn. Die Fa.geschichte von 1756 bis 1914, 2002 (m. B.); evang. Pfarre AB Wien-Innere Stadt; Mitt. Irene Nawrocka, Wien.
(C. Grabenhorst)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 333f.
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