Wahrmund, Adolf (1827–1913), Orientalist

Wahrmund Adolf, Orientalist. Geb. Wiesbaden, Hg.tum Nassau (D), 10. 6. 1827; gest. Wien, 15. 5. 1913; evang. AB. Aus einfachen Verhältnissen stammend. Vater von →Ludwig W. und der Emailmalerin Auguste W. (geb. Wien, 25. 4. 1862; gest. ebd., 13. 3. 1936). – W. stud. nach dem Gymn. 1845–48 in Göttingen evang. Theol., klass. Philol. und oriental. Sprachen. 1848 kam er nach Österr., wo er bis 1852 zuerst in Vbg., später in Wien als Hauslehrer arbeitete. 1853 erhielt er eine Stelle an der Hofbibl., die er mit Ende 1860 kündigte. 1862 habil. er sich für arab. Sprache und Literatur an der Univ. Wien. Dort lehrte er regelmäßig Arab., Pers., Osman.-Türk., Tatar. und Uigur. bis zum Wintersemester 1909/10, wobei er ab 1902 der älteste Doz. der Univ. war, jedoch nie eine Professur erlangte. Ab 1871 war er an der Oriental. Akad. tätig, wo er 1884 zum o. Prof. für die arab. Sprache ernannt wurde. Gleichzeitig lehrte W. auch an der k. k. Öff. Lehranstalt für Oriental. Sprachen, deren Leiter er 1885–1900 war. Seine frühen Publ. waren der klass. Philol. gewidmet, wobei er sich bes. für griech. Geschichte interessierte und auch als Übers. von „Diodor’s von Sicilien Geschichts-Bibliothek“ (1866–69) hervortrat. Seine orientalist. Werke zeigen W. als praxisorientierten Philologen, der wenig wiss. Stud. im eigentl. Sinn, sondern hauptsächl. Lehr- und Wörterbücher verf. Seine drei umfangreichen Lehrbücher zur arab., pers. und osman.-türk. Sprache waren für ihre Zeit didakt. vorbildl. aufgebaut und fanden in mehrfachen Aufl. weiteste Verbreitung. Bis heute von Bedeutung ist sein „Handwörterbuch der neu-arabischen und deutschen Sprache“ (3 Tle., 1870–75, 2. Aufl. 1887, 3. Aufl. 1898), das sowohl bezügl. Umfang und Anordnung als auch wegen der Berücksichtigung des modernen Wortschatzes im dt.sprachigen Raum neue Maßstäbe setzte. Es wurde bis Ende des 20. Jh. oftmals nachgedruckt und erschien 2012 in einer Online-Ausg. Im Gegensatz zu vielen zeitgenöss. Orientalisten beherrschte W. die drei zentralen lebenden oriental. Sprachen nicht nur theoret. Für Arab. und Pers. war er sogar Dolmetscher und u. a. für den Hof tätig. Auch seine Lehrtätigkeit an der Univ. Wien spiegelt sein Interesse an zeitgenöss. Themen wider. Sein philolog. fundierter, aber praxisnaher Unterricht wurde sehr geschätzt. Einige seiner zahlreichen Schüler wurden später namhafte Orientalisten, unter ihnen →Eduard Glaser, Jan Rypka und →Friedrich Kraelitz v. Greifenhorst. Neben philolog. Werken verf. W. eine Reihe von vordergründig kultur- und religionshist. Schriften, die für die Orientalistik bedeutungslos blieben, in der Entwicklung des „wissenschaftlichen Antisemitismus“ jedoch eine umso wichtigere Stellung einnehmen. Aufbauend auf seinen in „Babylonienthum, Indienthum und Christenthum“ (1882) entwickelten rassist. Ideen publ. er 1887 „Das Gesetz des Nomadenthums und die heutige Judenherrschaft“ (3. Aufl. 1919, Reprint 2010), das ihn zu einem der einflussreichsten Theoretiker des dt.sprachigen Antisemitismus werden ließ. Seine Thesen über die räuberischen und arbeitsscheuen Nomadenvölker richteten sich gegen Araber und Juden gleichermaßen. Deren unsteter Charakter schließe Staatsgründungen aus, weshalb sie auf nicht-semit. Wirtsvölker angewiesen seien und diese nachhaltig schädigten. Als Antithese zu den Nomaden dienen W. die sesshaften Arier, unter denen auch die modernen Perser als erfolgreiche Kämpfer „gegen den Semitengeist“ idealisierend hervorgehoben werden. W.s Werke fanden in der österr. Presse reichl. Erwähnung, wo er etwa als „ein unentwegter Kämpfer für Deutschtum und Ariertum“ gewürdigt wurde. Seine Ideen beeinflussten u. a. den antisemit. Publizisten Theodor Fritsch sowie →Adolf Hitler, der in seinen frühen Reden das Bild des „jüdischen Parasiten- und Nomadentums“ verwendete. W. schrieb für mehrere Z., darunter die vom Allg. Richard Wagner-Ver. hrsg. „Bayreuther Blätter“, wo er nicht nur die jüd. Weltverschwörung thematisierte, sondern auch vor den Gefahren warnte, die dem Abendland aus China drohten. Dtld. und Österr. waren für W. die einzig mögl. Retter in dieser „universellen Katastrophe“, wobei er eine „grausame“ Lösung bei „unerwünschten Rassen“ durchaus in Betracht zog. W.s strikt antisemit. Gesinnung ist in vielen seiner belletrist. Werke ebenfalls spürbar, bes. in „Fabeln und Parabeln und andere Zeitgedichte“ (1896). Auch die im Orient lokalisierten Werke wie „Abbasa. Trauerspiel“ (1894) dienen v. a. dazu, gleichnishaft zu zeigen, dass Juden bzw. Nomaden in allen Kulturen eine zerstörer. Rolle spielten und nur durch Falschheit und Faulheit auffielen. W. war Träger des osman. Mecidiye-Ordens und des pers. Sonnen- und Löwenordens.

Weitere W. (s. auch Procházka): Prakt. Hdb. der neu-arab. Sprache, 1861; Prakt. Hdb. der osman.-türk. Sprache, 1869; Prakt. Hdb. der neu-pers. Sprache, 1875; Der Kulturkampf zwischen Asien und Europa. Ein Beitr. zur Klarlegung des heutigen Standes der Oriental. Frage, 1887.
L.: Oesterr. Volksfreund, 3. 5. 1896 (m. B.); Österreichs Illustrierte Ztg. 16, 1907, S. 851f. (m. B.); A. Hein, „Es ist viel ‚Hitlerʻ in Wagner“. Rassismus und antisemit. Dt.tumsideol. in den „Bayreuther Blättern“ (1878–1938), 1996, S. 89, 415; W. Bihl, Orientalistik an der Univ. Wien …: Die Prof. und Doz., 2009, S. 34; K. Henning, Der gründerzeitl. Antisemitismus in Wien am Beispiel von A. W., phil. DA Wien, 2009; E. Prokosch, in: Mediterranean Language Review 20, 2013, S. 1ff.
(St. Procházka)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 423f.
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