Waibel (Waibl), Johann Georg (1828–1908), Politiker und Arzt

Waibel (Waibl) Johann Georg, Politiker und Arzt. Geb. Dornbirn (Vbg.), 28. 8. 1828; gest. ebd., 22. 10. 1908; röm.-kath. Sohn des Gastwirts und Gmd.kassiers Andreas W. (geb. Dornbirn, 1. 12. 1802; gest. ebd., 22. 3. 1877) und dessen Frau Regina W., geb. Höfle (geb. Dornbirn, 9. 10. 1805; gest. ebd., 5. 11. 1844); ab 1883 verheiratet mit seiner Nichte Aurelia W. (1853–1903). – W. besuchte erst die Privatfortbildungsschule des Lehrers Franz Martin Kalb, dann das Gymn. in Feldkirch und 1846–48 das Lyceum in Salzburg. 1849–50 stud. er in München Phil. und Naturwiss. sowie Med., letzteres Stud. setzte er 1850–52 in Berlin und 1852–56 in Wien fort; 1856 Dr. med. und Dr. chir. in Wien. I. d. F. praktizierte er am AKH, ehe er 1859 nach Vbg. zurückkehrte und vorerst in Höchst eine Praxis eröffnete. Ab 1861 Gmd.arzt in Tschagguns, zog er 1863 nach Dornbirn, wo er 1866–69 als Stadt- und Gerichtsarzt fungierte. W. war ein Freund des – von klerikaler Seite stark angefeindeten – Schriftstellers →Franz Michael Felder und engagierte sich auf Seite der Liberalen. Ab 1864 Vorstand des 1862 gegr. Dornbirner Turnver., wurde er 1867 zum Mitgl. des Gmd.ausschusses und 1869 zum Bgm. von Dornbirn gewählt. Anders als die meisten Bgm. seiner Zeit begriff er sein Amt nicht als Ehrenamt, sondern bezog dafür ein Gehalt und betrieb nebenher weiter seine Praxis. Als Bgm. war er v. a. Repräsentant der liberalen Fabrikanten und Großindustriellen, mit deren Hilfe er zahlreiche liberale bzw. dt.nationale Ver. unterstützte und etwa eine 1876 eröffnete Turnhalle finanzierte. W. war auch Vorstandsmitgl. des 1868 gegr. Ver. der Verfassungsfreunde in Vbg. und gründete Ende 1869 gegen kirchl. Widerstände das erste kommunale Gmd.bl. Vbg. als Gegengewicht zum klerikalen Informationsmonopol durch die Kanzel. Seine konsequent antiklerikale Haltung – überliefert ist seine wiederholte Weigerung, an Fronleichnamsprozessionen teilzunehmen – führte zu permanenten Angriffen gegen seine Person. Als W. seine Nichte heiraten wollte, kam es wegen eines zunächst verweigerten kirchl. Ehedispenses zum Konflikt, da W. mit einer seit 1868 mögl. Zivilehe drohte; letztl. konnte W. die Erlaubnis doch erlangen und kirchl. heiraten. Auch Schulfragen entzweiten die Liberalen und die klerikalen „Kasiner“; so setzte W. gegen klerikale Widerstände eine vierklassige Unterrealschule durch. Vor der Gmd.ratswahl 1888 wurde im christl.sozialen Kasino von Dornbirn sogar ein „Todesmarsch für Dr. Waibel“ gespielt. W. saß 1878–97 als Vertreter der Vbg. Liberalen bzw. Dt.-Freisinnigen im AH des RR. Als 1884 die Einführung des Elfstundentags debattiert wurde (1885 wurde das Gesetz verabschiedet), brachte er für die Vbg. Fabrikanten eine ablehnende Petition ein. 1890–1908 vertrat er zudem die Liberalen im LT. In seine Amtszeit als Bgm., die erst mit seinem Tod endete, fiel 1901 die Stadterhebung. W. war Mitgl. der Geograph. Ges. in Wien und 1867–69 Vorstand des Ver. der Ärzte in Vbg. Er erhielt 1884 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens.

L.: WZ, 22. 9. 1884; Adlgasser; J. Engel, in: Achter (XXXI.) Jahresber. der k. k. Oberrealschule in Dornbirn ..., 1909, S. 19ff. (m. B.); L. Herburger, Dr. J. G. W., sein Leben und Wirken, 1909 (m. B.); J. Martin, in: Heimat. Vbg. Monatshe. 7, 1926, S. 99ff.; H. Martin, in: Feierabend 10, 1928, F. 33, S. 210f.; H. Amrhein, in: Die Gartenstadt Dornbirn, 1951, S. 167ff. (m. B.); W. Bundschuh, Bestandsaufnahme: Heimat Dornbirn 1850–1950, 1990, s. Reg. (m. B.); M. Stoppel, in: Dornbirner Schriften 1995, Nr. 19, S. 3ff. (m. B.); H. Weitensfelder, „Römlinge“ und „Preußenseuchler“. Konservativ-Christl.soziale, Liberal-Dt.nationale und der Kulturkampf in Vbg., 1860 bis 1914, 2008, s. Reg.; M. Lanzinger, Verwaltete Verwandtschaft. Eheverbote, kirchl. und staatl. Dispenspraxis im 18. und 19. Jh., 2015, S. 322ff.; UA, Wien; Pfarre Dornbirn-St. Martin, Vbg.
(P. Melichar)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 425f.
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