Waldmann, Israel (1881–1940), Jurist, Funktionär und Publizist

Waldmann Israel, Jurist, Funktionär und Publizist. Geb. Czortków, Galizien (Čortkiv, UA), 10. 3. 1881; gest. Jerusalem, Palästina (Yerushalayim, IL), 1940. Nach Absolv. des Gymn. in Lemberg stud. W. Rechtswiss. in Wien (nicht nachweisbar), wo er im zionist. Studentenver. Bar-Kochba aktiv war. Nach seiner Rückkehr nach Galizien war er in Tarnopol als Anwalt tätig und schrieb daneben für die poln.sprachige zionist. Z. „Przyszłośź“ und deren Nachfolgebl. „Wschód“. W. gehörte 1903 zu den Befürwortern des gescheiterten sog. Uganda-Programms, in dessen Rahmen ein Tl. Brit.-Ostafrikas als Zufluchtsstätte für verfolgte Juden dienen sollte. Später spielte er eine Schlüsselrolle in der Etablierung jüd. Turnver. in Galizien. Anlässl. der RR-Wahlen von 1907 und 1911 unterstützte er die Entscheidung der Zionisten zur Aufstellung eigener Kandidaten in Galizien, obwohl er selbst nicht auf dem Stimmzettel aufschien. Als einer der wenigen zionist. Funktionäre, die auch Ukrain. sprachen, gelang es W. im Zuge der Wahlkampagnen für →Heinrich Gabel und Arthur Mahler viele Stimmen aus der ukrain. Landbevölkerung zu sichern. Während des 1. Weltkriegs lebte W. in Wien, wo er enge Kontakte zu ukrain. Nationalisten pflegte. Auch nach Kriegsende blieb W. ein Befürworter der ukrain. Sache, während die meisten galiz. Zionisten sich in dem nun aufflammenden blutigen Konflikt zwischen Polen und Ukrainern von ihrer zwischenzeitl. polit. Liaison mit den Ukrainern distanzierten und eine neutrale Position einnahmen. Nichtsdestotrotz fungierte W. Ende 1918 als Leiter der jüd. Selbstwehr in Lemberg und deklarierte sich gegenüber dem lokalen ukrain. Militärkmdo. als parteilos, verstieß prakt. jedoch mehrmals gegen diese Haltung. Im Jänner 1919 vertrat W. Ostgalizien auf der Konferenz des jüd. Nationalkomitees. Auch dieses nahm offiziell eine neutrale Position im poln.-ukrain. Krieg ein, doch stand W. schon in Verhh. mit ukrain. Vertretern in Wien bezügl. der Schaffung eines Min. für jüd. Angelegenheiten in der kurzlebigen Westukrain. Volksrepublik. W., der bereits als Beauftragter für jüd. Schulen fungierte, machte seine Zusage für einen betreffenden Führungsposten vom Einverständnis seiner zionist. Gesinnungsgenossen abhängig, die wiederum fürchteten, W.s ukrainophile Einstellung könnte ihre neutrale Position gefährden. Sie stießen sich zudem daran, dass er ihre Direktiven während der Verhh. weitgehend ignoriert hatte. Die Frage erübrigte sich, als die Region wenig später von der poln. Armee erobert wurde. 1921 begleitete W. den ukrain. Repräsentanten zu den sowjet.-poln. Friedensverhh. in Riga, im darauffolgenden Jahr wurde er in die Wr. Rechtsanwaltsliste eingetragen. Als man 1924 den jüd. Studenten Stanisław Steiger fälschlicherweise bezichtigte, hinter einem missglückten Anschlag auf den poln. Präs. Stanisław Wojciechowski in Lwów zu stehen, gelang es W. nicht, seine ukrain. Kontaktpersonen in Berlin und Wien zu einem Eingeständnis zu bewegen, dass die Tat – wie in den betreffenden Kreisen bekannt – von einer ukrain. Gruppe begangen worden war. Daraufhin legte W. bei der Gerichtsverh. seine diesbezügl. Informationen offen, wodurch Steiger (dessen Verteidiger übrigens W.s früherer Opponent →Nathan Löwenstein v. Opoka war) entlastet wurde und freikam. Dies bedeutete zugleich das Ende von W.s Zusammenarbeit mit der ukrain. Nationalbewegung. Ab den 1920er-Jahren war W. in Wien neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in der zionist. Bewegung (Ver. der Freunde für das arbeitende Palästina, Verband radikaler Zionisten) aktiv. Im März 1938 meldete er sich von Wien nach Brno ab und lebte i. d. F. endgültig in Palästina, wo er bereits seit 1934 einen Wohnsitz hatte und u. a. Präsidiumsmitgl. der Hitachduth Olej Germanija we Olej Austria (Vereinigung der Einwanderer aus Dtld. und Österr.) war.

W.: Was will Pilsudski?, in: Der österr. Volkswirt 18, 1926, Nr. 34.
L.: Enc. Jud.; N. Gelber, Toldot ha-tenu’ah ha-tsiyonit be-Galitsyah 1875–1918, 1955, s. Reg.; L. Plaschkes, in: Mitt.bl. der Hitachduth Olej Germanija we Olej Austria 4, 1940, Nr. 39/40, S. 6, 12 (Parte); E. Mendelsohn, Zionism in Poland … 1915–26, 1981, s. Reg.; A History of Polish Jewry during the Revival of Poland, ed. I. Lewin, 1990, s. Reg.; J. Shanes, in: Jews, Sports, and the Rites of Citizenship, ed. J. Kugelmass, 2007, S. 75ff.
(J. Shanes)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 442f.
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