Walterskirchen, Robert Frh. von (1839–1920), Politiker

Walterskirchen Robert Frh. von, Politiker. Geb. Pressburg, Ungarn (Bratislava, SK), 20. 2. 1839; gest. Klagenfurt (Klagenfurt am Wörthersee, Ktn.), 12. 6. 1920 (begraben: Krumpendorf am Wörthersee, Ktn.); röm.-kath. Sohn des Off. und 1841 als Rtm. außer Dienst gestellten Besitzers der steir. Herrschaft Ober-Thal und Plankenwarth Wilhelm Frh. v. W. (geb. Wolfsthal, NÖ, 23. 7. 1808; gest. Graz, Stmk., 2. 10. 1884) und dessen Frau Maria Freifrau v. W., geb. Gfn. Zichy (geb. Pressburg, 2. 2. 1811; gest. Graz, 8. 3. 1901), Neffe des Herrschaftsbesitzers und Mitgl. des AH Georg Wilhelm Frh. v. W. (geb. Wolfsthal, 26. 9. 1796; gest. Pressburg, 25. 5. 1865), Cousin von →Ernst Frh. v. W. (s. u. Franz Xaver Gf. v. W.) sowie des Diplomaten Otto Frh. v. W. (geb. Wolfsthal, 19. 6. 1833; gest. Wien, 16. 11. 1912), unehel. Vater seiner Haushälterin und Erbin Cajetana Hatzenbichler, ab 1910 verheiratete Hasenbichler (geb. Trofeng, Stmk., 8. 12. 1867; gest. Krumpendorf/Krumpendorf am Wörthersee, Ktn., 24. 8. 1952), Onkel 2. Grades von →Franz Xaver Gf. v. W., Schwager des Herrschaftsbesitzers und AH-Mitgl. sowie Mitgl. des böhm. LT Eduard Gf. Pálffy v. Erdőd (geb. Venedig, Lombardo-Venetien / Venezia, I, 18. 9. 1836; gest. Schloss Hradischt, Böhmen / Zámek Hradiště, CZ, 12. 6. 1915). – Nach dem Militärdienst 1856–58 als Kav.off. (1858 Lt.) und der Teilnahme als Freiwilliger am Krieg gegen Preußen 1866 lebte W. in Graz und in den 1870er-Jahren in Kapfenberg, wo er ein kleines Gut bewirtschaftete. Dort war er zu Beginn der 1870er-Jahre u. a. Obmann des Ortsschulrats und beteiligte sich führend am Aufbau des dt.liberalen Ver.- und des landwirtschaftl. Genossenschaftswesens im Mürztal. Seine polit. Laufbahn begann W. 1871 als Abg. zum steir. LT, dem er bis 1877 angehörte. Dort engagierte er sich bes. in Schulfragen, v. a. die Zurückdrängung des Einflusses der kath. Kirche betreffend (1872 Interpellation zur Frage des Religionsunterrichts und der Möglichkeit, dass dieser auch durch andere Personen als Priester gehalten werden könne). Darüber hinaus galt sein Interesse vorrangig wirtschaftl. Angelegenheiten. In das AH wurde er 1873 als dt.fortschrittl. Kandidat gewählt und hatte 1879 keinen ernstl. Gegenkandidaten. Im Wr. Parlament war W. einer der prominentesten Redner der Dt.fortschrittlichen, wich aber vielfach von der offiziellen Parteilinie ab. Er gehörte mehreren Ausschüssen an, so v. a. dem volkswirtschaftl. (1873–79) sowie ab 1876 dem Ausgleichsausschuss. Mehrfach wurde er als stmk. Mitgl. in die Delegation gewählt. Er trat als bes. scharfer Kritiker des bestehenden Verhältnisses zu Ungarn hervor und setzte sich für eine aktive Veränderung der Beziehungen zwischen den beiden Reichshälften ein, wobei er in der Neuverh. des Ausgleichs vergebl. eine deutl. höhere Beteiligung Ungarns an den gem. Ausgaben verlangte. Auch lehnte W. die Okkupation Bosnien-Herzegowinas ab, in der er die Gefahr eines weiteren Machtverlusts der Dt. und einer Slawisierung der Monarchie sah, musste sich aber hier nachträgl. für seine Zustimmung zum 60-Mio.-Kredit von 1878 in der Delegation rechtfertigen. Im selben Zusammenhang ist auch W.s Widerstand gegen die Bewilligung des neuen Wehrgesetzes zu sehen, der im Juli 1880 zum Bruch mit der Vereinigten Fortschrittspartei und der Gründung einer rein steir. Partei gem. mit acht weiteren Mandataren führte. Der innerparteil. Gegensatz beruhte aber auch auf W.s scharfer Kritik an der für ihn unsolidar. Haltung der dt.böhm. dominierten Parteiführung gegenüber den übrigen Deutschen Österr. Die Fixierung der Partei auf die „böhmische Frage“ verhindere eine ganzheitl. Vertretung und Verteidigung der Stellung der Deutschen in Österr., so W.s grundsätzl. Kritik. In sozialen Fragen stand W. am linken Rand der Partei und befürwortete die gesetzl. Einrichtung von Arbeiterkammern. Wegen der Ablehnung des von ihm unterstützten Antrags →Georg Lienbachers (Zentrum-Klub) auf eine Erweiterung des Wahlrechts per Zensussenkung durch den Klub der Vereinigten Linken, trat er im März 1882 zurück. Nach der Wiederwahl im Mai resignierte er neuerl. im September desselben Jahres nach scharfen Wählerprotesten wegen seiner Beteiligung an der versuchten Gründung einer Dt. Volkspartei in Wien. Bei der Nachwahl trat er nicht mehr an, worauf das Mandat an →Franz v. Sprung ging. Anschließend zog sich W. – mit Ausnahme einer viel kommentierten Rede vor dem Wr. Wähler-Ver. im Jänner 1885 zur polit. Lage (veröff. in der „Neuen Freien Presse“ vom 20. 1. 1885 bzw. als Separatabdruck) – aus der aktiven Politik zurück. Als Mitbesitzer der steir. Herrschaft Ober-Thal und Plankenwarth sowie von Grundstücken in Graz ökonom. unabhängig, kaufte W. im Mai 1882 die sog. Nakonighube in Pritschitz am Wörthersee und erweiterte diese bis in die Mitte der 1890er-Jahre zum Gut W. Bis ins hohe Alter blieb W., der ab den 1880er-Jahren als Funktionär in Ruder- und Segelver. tätig war, sportl. aktiv. Auch gehörte er 1882 dem Gründungsausschuss der Wr. Freiwilligen Rettungsges. an.

Weitere W.: Aus der Budget-Debatte des stmk. LT 1876, (1877); Zur Abrüstungs-Frage, 1880; Rechenschaftsber. des Abg. R. Frh. v. W. ... an seine Wähler 1880, in: Reine Hände, 1880; Rechenschaftsber. des Abg. R. Frh. v. W. ... an seine Wähler 1881, 1881; Rede des Baron W., gehalten ... in Rottenmann am 12. September 1882, 1882.
L.: NFP, 17. 6. 1920; Adlgasser; Hahn, 1873, 1879; Die W. zu Wolfsthal 1–3, 1892–1903; D. Harrington-Müller, Der Fortschrittsklub im AH des österr. RR 1873–1910, 1972, s. Reg.; S. Schneidinger, in: Carinthia I, 191, 2001, S. 653ff. (m. B.); J. Kwan, Liberalism and the Habsburg Monarchy. 1861–95, 2013, s. Reg.; Pfarre Klagenfurt-St. Egid, Ktn.
(F. Adlgasser)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 474f.
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