Wegener, Alfred (1880–1930), Meteorologe und Geophysiker

Wegener Alfred, Meteorologe und Geophysiker. Geb. Berlin, Deutsches Reich (D), 1. 11. 1880; gest. Grönland (KN), Mitte November 1930; evang. Sohn des Theologen und Altphilologen Richard Wegener (1843–1917) und der Anna Wegener, geb. Schwarz (1847–1919), Bruder u. a. des Meteorologen Kurt Wegener (1878–1964); ab 1913 verheiratet mit Else (Elisabeth) Wegener, geb. Köppen (1892–1992), Tochter des Meteorologen Wladimir Peter Köppen. – Nach dem Besuch des Köllnischen Gymnasiums (Matura 1899) studierte W. Meteorologie und Astronomie an der Universität Berlin mit zwei Auswärtssemestern in Heidelberg (1900) und Innsbruck (1901). 1905 Dr. phil., erhielt er eine Anstellung am königlich-preußischen Aeronautischen Observatorium Lindenberg. Dort begann er mit meteorologischen Studien, die zu grundlegenden Forschungen der Atmosphärenphysik wurden, u. a. zur Thermodynamik der Atmosphäre, Schallausbreitung, zu Luftwogen, Haloerscheinungen, Luftspiegelungen, Leuchtenden Nachtwolken, Dämmerungsbögen („Beobachtungen der Dämmerungsbögen und des Zodiakallichtes in Grönland“, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse 135, Abteilung 2a, 1926), zur Schichtung der Atmosphäre sowie zu Tromben. Ab 1904 Mitglied im Berliner Verein für Luftschiffahrt, stellte er gemeinsam mit seinem Bruder bei einer Ballonfahrt 1906 mit 52,5 Stunden einen Weltrekord im Dauer-Freiballonflug auf. 1906–08 nahm er an der Dänemark-Expedition in die noch unbekannten Küstenregionen Nordost-Grönlands teil. Die dort ausgeführten Drachen- und Ballonaufstiege waren die ersten systematischen Atmosphärensondierungen in polaren Gebieten. Bedeutsam waren zudem seine topographisch-geologischen Geländeaufnahmen zwischen 80°45’ und etwa 79° N, die den Beginn einer Landesaufnahme darstellten. Bis 1912 erfolgten insgesamt 19 Freiballonfahrten, davon 14 mit W. als Ballonführer. 1909 habilitierte sich W. als Privatdozent für praktische Astronomie, meteorologische und kosmische Physik an der Universität Marburg an der Lahn. 1912–13 unternahm er seine 2. Grönlandexpedition und durchquerte das Land gemeinsam mit dem Polarforscher Johan Peter Koch an seiner breitesten Stelle. Von Bedeutung waren ihre meteorologischen und glaziologischen Forschungen an der Überwinterungsstation Borg. Im 1. Weltkrieg diente W. zunächst an der Westfront und wurde nach zweimaliger Verwundung Leiter von Feldwetterwarten auf dem Balkan; 1916 tit. Professor. Nach dem Krieg lehrte er für kurze Zeit als Professor an der deutschen Universität in Dorpat. Zurück in Marburg, führte er Aufsturzexperimente zur Simulation der Genese der Mondkrater durch Meteoriteneinschläge durch. 1919–24 war er Leiter der Abteilung für theoretische Meteorologie an der Deutschen Seewarte in Hamburg und zugleich ao. Professor an der dortigen Universität. 1924 folgte W. einem Ruf als o. Professor der Meteorologie und Geophysik an die Universität Graz. Bereits zuvor hatte er eine „Denkschrift über Inlandeis-Expeditionen nach Grönland“ (in: Deutsche Forschung 2, 1918) erarbeitet, in der die Ziele einer Grönlandexpedition und die Notwendigkeit einer Vorexpedition dargelegt wurden. Die Vorexpedition (1929) diente v. a. dazu, verschiedene neuartige Ausrüstungsgegenstände hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit zu erproben sowie einen Aufstiegsgletscher zu finden, über den im folgenden Jahr 100 t Expeditionsgepäck von der Fjordküste auf das Inlandeis transportiert werden konnten. Bahnbrechend waren die ersten Eisdickemessungen mittels Reflexionsseismik. Bei Ankunft der Hauptexpedition 1930 fand man die Küste, anders als im Jahr zuvor, noch nicht eisfrei vor, was die Anlandung und den Beginn der Expedition erheblich verzögerte. Mit dem Ziel, unter allen Umständen die Arbeitsfähigkeit der 400 km weit im Landesinneren gelegenen Station Eismitte zu sichern, die im Expeditionsplan eine zentrale Bedeutung einnahm, startete W. zu fortgeschrittener Jahreszeit eine letzte Versorgungsfahrt. Auf dem Rückweg kam er bei Dauerdämmerung und Temperaturen unter minus 50 °C ums Leben. Die Ergebnisse dieser Expedition wurden von Kurt W. herausgegeben („Wissenschaftliche Ergebnisse der Deutschen Grönland-Expedition Alfred Wegener“, 7 Bde., 1933–40). W.s bedeutendste Leistung war die Entwicklung der Kontinentaldrifttheorie. Sein Buch „Die Entstehung der Kontinente und Ozeane“ erlebte vier Auflagen (1915, 1920, 1922, 1929), wobei er jede von Grund auf neu bearbeitete. Erst nach Entdeckung der Ozeanbodenspreizung 1960 wurde seine Theorie akzeptiert und zum Modell der Plattentektonik weiterentwickelt. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater veröffentlichte er 1924 „Die Klimate der geologischen Vorzeit“, womit die moderne Paläoklimatologie begründet wurde. W. war ab 1925 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

Weitere W.: s. Wutzke, 1998.
L.: H. Benndorf, in: Gerlands Beiträge zur Geophysik 31, 1931, S. 337ff. (mit Bild); H. P. Cornelius, in: Verhandlungen der Geologischen Bundesanstalt, 1931, S. 159f.; A. Kopff, in: Astronomische Nachrichten 242, 1931, S. 263f.; H. v. Ficker, in: Meteorologische Zeitschrift 48, 1931, S. 241ff.; K. Wegener, in: Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereins für Steiermark 69, 1932, S. 92ff.; E. Wegener, A. W. Tagebücher, Briefe, Erinnerungen, 1960; U. Wutzke, Durch die weiße Wüste. Leben und Leistungen des Grönlandforschers und Entdeckers der Kontinentaldrift A. W., 1997 (mit Bild); U. Wutzke, in: Berichte zur Polarforschung 288, 1998 (mit Bild und W.); U. Wutzke, Klima, Krater, Kontinente. Das Leben des Grönlandforschers und Entdeckers der Kontinentaldrift A. W., 2015 (mit Bild); Geologische Bundesanstalt, Wien; UA, Graz, Steiermark.
(U. Wutzke)   
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)