Weiß, Johanna (1874–1932), Vereinsgründerin, Politikerin und Hausgehilfin

Weiß Johanna, Vereinsgründerin, Politikerin und Hausgehilfin. Geb. Mureck (Stmk.), 15. 5. 1874; gest. Wien, 11. 11. 1932; röm.-kath. Tochter des Schuhmachermeisters Josef W. und dessen Ehefrau Maria W., geb. Deutsch. – Als knapp 14-Jährige begann W. ihren berufl. Weg als Dienstbotin in verschiedenen Wr. Haushalten, zuletzt war sie als Wirtschafterin bei der Familie v. Meysenbug tätig. Als Hausgehilfin lernte sie die harten Arbeits- und Lebensbedingungen ihres Berufsstands und die ungenügende sozialrechtl. Absicherung durch die damaligen Gesinde- bzw. Dienstbotenordnungen kennen. Zusammen mit der Kath. Reichsfrauenorganisation Österr. (KRFOÖ) gründete sie 1909 eine Interessensvertretung für Hausgehilfinnen, den Verband christl. Hausgehilfinnen (heute: Berufsverband christl. Arbeitnehmer im hauswirtschaftl. Dienst) in Wien, dessen Leitung sie 1911 übernahm. 1917 erfolgte die Schaffung eines Reichsverbands als Zusammenschluss aller in der Zwischenzeit entstandenen Landesverbände, an dessen Spitze sie bis zu ihrem Tod stand. Dieser wurde 1938 durch die Nationalsozialisten aufgelöst. W. errichtete 1912 das erste „Durchzugsheim“ für arbeitslose Hausgehilfinnen, eine vorübergehende Wohnmöglichkeit für Unterkunftslose. Der Verband bot kostenlose Stellenvermittlung, eine Krankenkasse, eine Sparsektion und ein Altersheim für erwerbsunfähige Hausgehilfinnen („Stanislaushaus“) mit Speisehaus und Dienstmädchenschule in der Steindlgasse in Wien 1. Heime für pensionierte Hausgehilfinnen wurden in Linz, Baden, Authal bei Graz und Salzburg errichtet. 1917 erschien der „Erste österreichische Dienstmädchenkalender“ und ab 1919 informierte die verbandseigene Z. „Die Hausgehilfin“, deren Schriftleitung W. bis 1922 innehatte, über sozialpolit. Fragen. 1925 wurde ein Erholungs- und Rekonvaleszenzheim in der Hinterbrühl erworben, ein Rechtskonsulent beriet die Hausgehilfinnen kostenlos. W. zählte 1918 zu den ersten Mitgl. der Caritas Socialis, trat der religiösen Frauengemeinschaft als interne Schwester allerdings dann nicht bei. 1918 wurde sie Bez.leiterin des christl.sozialen polit. Ver. Frauenrecht in Wien 4 und im Folgejahr Mitgl. des Arbeitsausschusses des allg. christl. Frauentags in Wien. Gem. mit →Hildegard Burjan arbeitete W. am „Hausgehilfengesetz“, das der Nationalrat 1920 verabschiedete und damit wichtige sozialpolit. Forderungen dieses Berufsstands erfüllte. Es reduzierte die tägl. Arbeitszeit der Dienstboten auf elf Stunden und räumte ihnen das Recht auf einen freien Nachmittag pro Woche ein. Auch eine Krankenversicherung und eine bescheidene Altersfürsorge waren vorgesehen, ebenso das Recht auf eine bezahlte Urlaubswoche pro Jahr. Erstmals wurde den Dienstnehmern eine gesetzl. Kündigungsfrist zugestanden, eine angemessene Verpflegung und Unterkunft sowie eine Abfertigung nach zehnjähriger Dienstzeit. 1919–21 saß W. als christl.soziale Arbeiterinnenvertreterin im nö. LT. 1922 gehörte sie als Verbandsvertreterin dem Kath. Komitee für Mädchenschutz und Gefährdetenfürsorge an sowie überhaupt dem erweiterten Vorstand der KRFOÖ. 1929 wurde sie Fürsorgerätin.

L.: Die Hausgehilfin 14, 1932, H. 12, S. 1ff. (m. B.), 15, 1933, H. 2, S. 1f.; Frauen-Briefe, 1932, Nr. 84, S. 3 (m. B.); A. Motzko, J. W., 1957 (m. B.); L. Reichhold, Geschichte der christl. Gewerkschaften Österr., 1987, s. Reg.; M. Kronthaler, Die Frauenfrage als treibende Kraft. H. Burjans innovative Rolle im Sozialkatholizismus und Polit. Katholizismus ..., 1995, s. Reg.; M. Kronthaler, Prägende Frauen der steir. Kirchengeschichte, 2000, S. 30 (m. B.); Biograph. Hdb. des NÖ LT 1861–1921, 2005; M. Sohn-Kronthaler, in: frau.macht.kirche, ed. M. Sohn-Kronthaler – H. Kaindl, 2006, S. 147f. (m. B.); M. Sohn-Kronthaler – A. Sohn, Frauen im kirchl. Leben, 2008, S. 30f.; biografiA. Lex. österr. Frauen 3, 2016; M. Sohn-Kronthaler, in: K. Schmidlechner u. a., Geschichte der Frauen in der Stmk., 2017, s. Reg.; Pfarre Mureck, Stmk.
(M. Sohn-Kronthaler)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 90f.
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