Weiß (Weiss), Josephine (Josefine); geb. Maudry (1805–1852), Tänzerin, Ballettmeisterin, Choreographin und Pädagogin

Weiß (Weiss) Josephine (Josefine), geb. Maudry, Tänzerin, Ballettmeisterin, Choreographin und Pädagogin. Geb. Wien (?), 1805; gest. Wien, 18. 12. 1852; röm.-kath. Adoptivmutter des Tänzers Franz W., geb. Vonderhart (geb. Klosterneuburg, NÖ, 19. 3. 1832); verheiratet mit →Eduard W. – Als Tänzerin war W. ab 1815 Mitgl. des Horscheltschen Kinderballetts im Theater an der Wien, 1820–26 dann Mitgl. des Ballettensembles des Kärntnertortheaters sowie 1841–44 Ballettmeisterin am Theater in der Josefstadt, das zu dieser Zeit über ein Ballettensemble und ein Kinderballett verfügte. Bes. Erfolge erzielte W. mit Tänzen in Zauberpossen, romant.-kom. Singspielen, Zauberspielen und Parodien, etwa in „Wastl oder Die böhmischen Amazonen“ (Franz Xaver Told, Musik →Anton Emil Titl, 1841), „Die Bestürmung von Saida“ (Told, Musik Carl Binder, Titl und →Franz v. Suppé, 1841), „Der Zauberschleier oder Maler, Fee und Wirthin“ (Told, Musik Titl, 1842), „Das grüne Band“ (verschiedene Autoren, Musik Suppé, 1842), „Der Todtentanz“ (Told, Musik Titl), das eine Paraphrase auf das Ballett „Giselle“ war, oder „Aline oder Wien in einem anderen Weltteil“ (→Adolf Bäuerle, Musik →Wenzel Müller, 1843). W. stud. aber auch Erfolgsballette ein wie Armand Vestris’ „Die Fee und der Ritter“ für ein Gastspiel von Helene Schlanzovsky (1841). 1844–51 unternahm sie mit einem von ihr geleiteten Kinderballett ausgedehnte Tourneen. Nach Gastspielen in Pest-Buda, Pressburg, Brünn und dt. Städten debüt. das Ensemble 1845 unter dem Namen Les Danseuses Viennoises an der Opéra de Paris, noch im selben Jahr erfolgte ein Gastspiel im Londoner Her Majesty’s Theatre, wo Queen Victoria einigen Vorstellungen beiwohnte. 1846 kam es zum Debüt in New York, daran schlossen sich Gastspiele in mehr als 20 Städten Nordamerikas und auf Kuba an. 1849 nach London zurückgekehrt, gastierte W. mit dem Ensemble in Paris, Lyon, Turin, Mailand und in dt. Städten. 1851 gab sie Vorstellungsserien im Wr. Kärntnertortheater, im Theater an der Wien (35 Vorstellungen) und dem Theater in der Josefstadt (36 Vorstellungen). Nach ihrem Tod wurde das Ensemble aufgelöst. Mit den Eltern des bis zu 50 Mitgl. umfassenden Ensembles – fast ausschließl. Mädchen zwischen fünf und zwölf Jahren – wurden Verträge ausgehandelt, wonach sie monatl. eine bestimmte Summe erhielten, die Kinder aber vollständige Verpflegung, Reisespesen, Bekleidung, Unterricht und „moralische“ Ausbildung. Im Laufe der Reisen wurden auch Kinder der Gastländer als Mitgl. aufgenommen. Für das immer berühmter werdende Ballett baute W. ein eigenes Repertoire auf. Dieses bestand v. a. aus Charaktertänzen, dazu zählten „L’Allemande“, „La Hongroise“, „Pas des fleurs“, „Pas des amours“, „Polka“, „Les Moissonneurs“, „Hornpipe“, „Pas suisse“, „Tarantella“, „Tyrolienne“, „Cracovienne“, „Linzer Tanz“, „Pas polonais“ und „Jaleo de Xérès“. Gerade dieser Tänze wegen löste das Ensemble bei den Auswanderern in Amerika große Begeisterung aus. Die Tänze wurden entweder als Einlagen oder als Nummernreihe gegeben. Der Erfolg des Balletts leitete sich auch aus einer bislang nicht gekannten Exaktheit der Ausführung ab. Diese beschämte die Kräfte mancher Opernhäuser derart, dass etwa die Pariser Oper trachtete, W. und zehn der Tänzerinnen als separates Corps de ballet zu engag. Heute oft des „Missbrauchs“ von Kindern bezichtigt, erweist sich das Wirken von W. balletthist. jedoch von enormer Bedeutung. Abgesehen davon, dass es nationale Tänze weiter popularisierte, erlangte die einheitl. gekleidete Gruppe als eine in exakter Gleichförmigkeit sich bewegende Körperschaft innerhalb der Werkanlage eines Balletts selbstständige Größe. War der dramaturg. Baustein „Gruppe“, deren Mitgl. auch äußerst komplizierte Konfigurationen ausführten, in der Werkanlage der Ballette schon längst vorhanden, so erlangte sie erst mit W.ʼ Kinderballett durch die Präzision der Ausführung ihre bis heute bleibende Bedeutung.

L.: Wurzbach; I. Guest, The Romantic Ballet in Paris, 1966, S. 238ff.; I. Guest, The Romantic Ballet in England, 1972, S. 117ff.; M. G. Swift, Belles and Beaux on Their Toes: Dancing Stars in Young America, 1980; Gautier on Dance, ed. I. Guest, 1986, S. 155ff.; R. Raab, Biograph. Index des Wr. Opernballetts von 1631 bis zur Gegenwart, 1994; F. Crisp, Scandalous and Delightful. The Viennese Children 1840–50, 2013; Pfarre St. Johann Nepomuk, Wien.
(G. Oberzaucher-Schüller)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 93f.
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