Weisz, Alexander (1884–um 1950), Journalist

Weisz Alexander, Journalist. Geb. Csácsó, Ungarn (Čačov, SK), 18. 10. 1884; gest. New York City, NY (USA), um 1950; mos. Sohn des Müllers Josef W. und der Sofie W., geb. Lövenrosen (gest. 20. 1. 1934); ab 1915 verheiratet mit Stefanie W., geb. Kohn (geb. 20. 8. 1886; gest. 15. 8. 1923), in 2. Ehe ab 1933 mit Sabine W., geb. Arzt. – W. absolv. 1905 das dt. Staats-Obergymn. in Ung. Hradisch und begann danach ein Jusstud. in Wien, das er aber nach der ersten Staatsprüfung 1907 aus finanziellen Gründen aufgeben musste. I. d. F. arbeitete er kurz als Stenograph und Gehilfe von ausländ. Pressekorrespondenten in Wien. 1911 wurde W. Red. der Ztg. „Die Zeit“, wechselte jedoch bald zum Montagsbl. „Der Morgen“. Schon damals zeigte er großes Interesse für wirtschaftl. Themen und war neben seiner journalist. Tätigkeit auch selbst in größere Geschäfte involviert. 1916 wurde er auf Vorschlag Carl Colberts Chefred. der neu gegr. Tagesztg. „Der Abend“. Das Bl., das seit 1917 als einziges eine offen pazifist. Haltung vertrat, wurde zweimal wegen seiner polit. Ausrichtung eingestellt. Im Frühjahr 1917 begann der große Aufschwung der Ztg., als sie die Malversationen bei Kriegslieferungen enthüllte, in deren Mittelpunkt der Dir. der Allg. Depositenbank, Dr. Josef Kranz, stand. Auch der Beginn der russ. Oktoberrevolution trug dazu bei, da „Der Abend“ den Sieg der Bolschewiki unter Lenin begrüßte. Ebenso schlug sich das Bl. beim größten Massenstreik während des Kriegs im Jänner 1918 auf die Seite der Streikenden, worauf die Regierung im März mit einem Verbot „auf Kriegsdauer“ reagierte (die Wiederzulassung im Juni wurde mit Zugeständnissen erkauft). Wegen seines populären Stils war das Bl. bei Arbeitern noch stärker verbreitet als die „Arbeiter-Zeitung“, polit. stand es zeitweilig sogar der KPÖ und danach dem linken Parteiflügel der Sozialdemokrat. Arbeiterpartei nahe. Der große Erfolg basierte auf W.’ journalist. und organisator. Talent als kaufmänn. Leiter; in dieser Doppelfunktion war er damals der bestbezahlte Journalist Wiens. 1920–23 enthüllte „Der Abend“ etl. wirtschaftl. Skandale, die zu zahlreichen Anklagen und Verurteilungen führten. Dass W. selbst in den Inflationsjahren waghalsige Spekulationsgeschäfte an der Börse tätigte, gehört zu den Widersprüchen seiner Person. Auf ihn geht auch der Aufbau einer erfolgreichen Vertriebsorganisation für den Straßenverkauf des „Abends“ zurück. Aufgrund der Konkurrenz zu neu gegr. Boulevardbll. („Der Tag“, „Die Stunde“) sank die Aufl. ab 1923 jedoch beträchtl. W.’ daraufhin geforderte Reformmaßnahmen wurden von der Familie Colbert und Teilen der Red. als zu weit gehend abgelehnt und im Februar 1926 wurde er überraschend der Chefred. enthoben. Zu schwerwiegenden Differenzen kam es zwischen W. und dem Ges. eines großen Annoncenbüros über den Inseratenvertrag des „Abends“. Dieser beschuldigte W., vom Bankier Camillo Castiglioni und einigen anderen Unternehmen hohe Summen erpresst und als Gegenleistung negative Artikel unterdrückt oder abgemildert zu haben. W. wurde verhaftet und im April 1926 zu sieben Monaten Kerker verurteilt, wodurch die Glaubwürdigkeit des Bl. erschüttert wurde. Um die Existenz seiner Ztg. nicht zu gefährden, appellierte Colbert sofort an die Führung der Sozialdemokrat. Arbeiterpartei und der „Abend“ firmierte fortan als deren Bl. Erfolglos kämpfte W. jahrelang um eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Moral. geächtet und i. d. F. auch finanziell ruiniert, machte er in erster Linie Colbert und die sozialdemokrat. Partei dafür verantwortl. Noch vor Antritt der Haftstrafe übernahm W. im Oktober die Gerichtsz. „Das Tribunal“ und gründete nach seiner Freilassung im Juli 1927 mit Hilfe →Arthur Seyss-Inquarts die WS „Der Turm“; die angestrebte Übernahme des ehemaligen Békessy-Bl. „Die Stunde“ gelang ihm nicht. Beide Z. dienten v. a. dem persönl. Kampf gegen Colbert und die sozialdemokrat. Parteiführung, die zahlreiche Presseklagen gegen ihn einbrachten. Von Juli 1927 bis Anfang Mai 1932 fungierte W. als Hrsg. der Tagesztg. „Freiheit!“, die den Aufstieg der Heimwehren zu fördern suchte, jedoch von der Bewegung nicht als Parteiorgan anerkannt wurde. Die Ztg. wurde wegen Überschuldung eingestellt und W. ein weiteres Mal wegen fahrlässiger Krida verurteilt. Im Herbst 1932 leitete W. drei weitere kurzlebige Bll., vom Frühjahr bis zum Herbst 1933 war er in der Red. mehrerer, von Hans Habe gegr. Heimwehrbll. tätig. Danach scheint W. bis 1938 keiner Ztg.red. mehr angehört zu haben. Vermutl. Ende April 1938 von der Gestapo in Schutzhaft genommen, gelang ihm im Juni des Jahres mit seiner Familie die Ausreise über die Schweiz nach Nizza. Nach der Besetzung Frankreichs durch die dt. Armee flüchtete er Ende Juli 1941 nach New York.

L.: AZ, 7.–9., Der Abend, 9. 2. 1926; AZ, 12.–18. 4. 1926, 6. 8. 1927; Neues Wr. Journal, 20. 10. 1927; Freiheit!, 11. 7. 1928; Das Kleine Bl., 5. 9. 1929; Der Abend, 10. 11. 1932; 51. Jahresber. des k.k. dt. Staats-Obergymn. in Ung.-Hradisch … 1904–05, 1905, S. 56ff., 64, 75; W. Rosar, Dt. Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluss, 1971, S. 53ff.; IKG, MA 35, UA, Ver. für Geschichte der Arbeiterbewegung, WStLA, alle Wien; Mitt. Barbara Sauer, Wolf Erich Eckstein, beide Wien.
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 100f.
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