Wellner, Georg (1846–1909), Konstrukteur und Flugtechniker

Wellner Georg, Konstrukteur und Flugtechniker. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 19. 3. 1846; gest. Auen (Schiefling am See, Ktn.), 7. 9. 1909 (begraben: Wr. Zentralfriedhof); röm.-kath. Sohn des Landesadvokaten Dr. Anton W. und seiner Frau Marie, geb. Taschek; ab 1877 mit Marianne W., geb. Krones, verheiratet. – W. absolv. das Altstädter Gymn. in Prag, wo er 1863 maturierte. Nach seinem Maschinenbaustud. am dt. polytechn. Inst. in Prag (1863–67) war er bis 1868 im Büro der Maschinenfabrik Breitfeld & Evans Konstruktionszeichner und 1868–72 als Ing. Leiter der mechan. Werkstätte und Gießerei der Baumwollspinnerei in Schlan. Hier wurden eine Gießerei und eine Gasanstalt errichtet und W. war an der Entstehung und dem Bau der Klarkohlenroste Patent Bolzano beteiligt. Danach war er als Konstrukteur in der Maschinenbau AG vormals Ruston & Co. (1872–76) mit Baukonstruktionen wie Sheddächern für die große Gießerei und der Dachkonstruktion des tschech. Nationaltheaters befasst. Damals wandte er sich auch der Dampfmaschinensteuerung zu und veröff. mehrere einschlägige Artikel. Aus seiner Beschäftigung mit der besseren Energieausnutzung resultierte ein 1875 zum Patent angemeldeter Doppelkessel. Durch Vermittlung von →Gustav Schmidt in Prag und →Friedrich Arzberger in Brünn begann W. im Februar 1876 als Doz. an der TH in Brünn zu lehren, wo er noch im selben Jahr ao. Prof. für theoret. Maschinenlehre und Maschinenkde. wurde; 1880 o. Prof., 1880–82, 1882–83, 1887–89 Dekan der Maschinenbauschule, 1886–89 Prof. des Maschinenbaus sowie 1883/84 und 1891/92 Rektor. Zudem wurde er 1884 zum Prüfungskoär. für das Dampfkessel- und Dampfmaschinenwärterpersonal und für Lokomotivführer und Schiffsmaschinisten in Mähren ernannt. Zahlreiche Stud.reisen führten ihn zu diversen (Welt-)Ausst. Um sich seinen Forschungen besser widmen zu können, ließ sich W. 1906 frühzeitig pensionieren. Noch knapp vor seinem Pensionsantritt wurde W. im Zuge nationaler Hochschulunruhen derart verletzt, dass er einseitig erblindete. Nach Wien übersiedelt, ging er seinen Stud. nach, deren Abschluss das Buch „Die Flugmaschinen“ (1910) bildete. Zu Beginn seiner Tätigkeit hatte sich W. v. a. mit Maschinenbautechnik befasst und Abhh. über die Theorie des Ovalwerks, über Dampfkesselfeuerungen, Kohleroste, über Voreilungsplattenschieber, über Umsteuerung mit einem Exzenter ohne Kulisse etc. verf. Große Verdienste erwarb er sich durch seine prakt. Stud. und Versuche mit Luftschrauben und Tragflächen. Von →Friedrich v. Lössl besorgte er sich eine aerodynam. Waage, mit der er den Auftrieb gewölbter Flächen erforschte, und wies wie Otto Lilienthal auf deren Auftriebsmöglichkeit gegenüber ebenen Flächen hin. In seiner Schrift „Ueber die Möglichkeit der Luftschifffahrt“ (in: Techn. Bll., 1876, selbstständig 1880, 2. Aufl. 1883) trat W. für den dynam. Flug ein. Um die Tragkraft von Flächen zu stud., nutzte er die Eisenbahn und machte 1892–93 bei Fahrten auf der Strecke Brünn–Střelitz Messungen. 1893 ließ er eine seiner bekanntesten Erfindungen patentieren, das „Segelrad“, dem später der „Ringflieger“ (dt. Patent 1902, engl. Patent 1903) folgte, ein Vorläufer der Hubschrauberidee. Ausgedehnte Luftschraubenversuche im Freien folgten 1895 und 1896 in der Zuckerfabrik Zborowitz, bei denen der Antrieb durch ein Lokomobil oder eine Dampflokomotive erfolgte; Schraubendurchmesser von bis zu 4,25 m wurden getestet. Mit seiner Waage- und Pendelmethode errechnete W. bereits 1896, dass sich mit einem PS ein Auftrieb von rund 20 kg erzielen lässt. 1900 konstruierte er einen Rauch-Strömungskanal, mit dem Luftstromlinien gegen Körper verschiedener Gestalt sichtbar gemacht werden konnten. Die Bahnen mit unterschiedl. Widerstandskörpern hielt er photograph. fest. Nach Gründung des Flugtechn. Ver. in Mähren 1909 wurde W. dessen Vizepräs. Ferner war er Vizepräs., dann Ehrenmitgl. des Österr. Flugtechn. Ver. 1882–83 gehörte HR W. als Abg. dem böhm. LT an.

Weitere W. (s. auch Keimel): Die Ausführbarkeit dynam. Flugmaschinen, in: Z. für Luftschiffahrt und Physik der Atmosphäre, 1891, H. 3/4, 7/8, 10, 1892, H. 3, 1893, H. 3/4; Versuche über den Luftwiderstand gewölbter Flächen …, in: ZÖIAV 45, 1893; Versuche mit größeren Luftschrauben, ebd. 48, 1896; Krit. Bemerkungen über die Theorie und Bauart der neueren Gaskraftmaschinen und des Diesel-Motors, ebd. 50, 1898; Der dynam. Flug, 1899 (Nachdruck 2011); Apparat zum Sichtbarmachen der Fadenlinien bei Luftwiderstandserscheinungen, in: FS der k. k. TH in Brünn …, 1899.
L.: Tagesbote (Brünn), 1. 7. 1928; ZÖIAV 45, 1893, S. 625f.; Flug- und Motortechnik, 1909, Nr. 25, S. 1, Nr. 26, S. 1ff.; Allg. Sport-Ztg. 30, 1909, S. 1191f., 1258; Österreichs Illustrierte Ztg. 18, 1909, S. 1184f. (m. B.); L. Kliment, in: Mitt. des dt. Ing.-Ver. in Mähren, 1910, Nr. 3, S. 59ff.; R. Keimel, in: FLUG-Informationen, 2004, F. 3/4, S. 14ff. (m. W.); Digitalizované pobytové přihlášky pražského policejního ředitelství (konskripce) 1850–1914 (online); Pfarre Schiefling am See/Škofiče, Ktn.
(R. Keimel)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 106f.
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