Wenckheim (Wenkheim), Béla Baron (1811–1879), Politiker

Wenckheim (Wenkheim) Béla Baron, Politiker. Geb. Pest (Budapest, H), 16. 2. 1811; gest. Budapest (H), 7. 7. 1879; röm.-kath. Spross einer ursprüngl. aus Franken stammenden Adelsfamilie. Enkel des k. FML Franz Xaver Baron W. (geb. 1736; gefallen 1794 in der Schlacht bei Courtrai, B), der 1776 den österr. Frh.stand und 1781 das ung. Indigenat mit Baronat erhielt, Sohn von József Baron W. (s. u.) und dessen Ehefrau Terézia Baronin W., geb. Baronesse Orczy v. Orczi; ledig. – W. besuchte das Piaristengymn. in Pest, stud. bis 1827 ebd. Jus und absolv. anschließend ein Praktikum an der kgl. Tafel. In Vertretung seiner verwitweten Mutter, einer Magnatin, nahm er 1830 am RT in Pressburg teil und wurde zur Leitfigur der liberalen Jugend. Nach einem halbjährigen Praktikum im Kom. Arad legte er 1831 in Pest die Advokatenprüfung ab und trat als Vizenotar in den Verwaltungsdienst des Kom. Bekesch. 1832 zum Tafelrichter befördert und 1837 zum 2. Vizegespan gewählt, wurde er als Kom.deputierter in den RT von 1839/40 entsandt. Dort schloss er sich der liberalen Opposition an und begann sich in der Landeskomm. für die Strafrechtsreform zu engag. In der folgenden Legislaturperiode legte W. sein Ablegatenmandat schon bald nach Eröffnung der Verhh. im November 1843 nieder, um mit seinem Wechsel an die Magnatentafel die Opposition des liberalen Hochadels zu stärken. Diese Politik wurde von ihm auch auf dem RT von 1847/48 fortgesetzt. Nach Niederlegung des Vizegespansamts 1840 widmete er sich v. a. der Pferdezucht sowie der Errichtung von Entwässerungsanlagen und fungierte ab 1846 als Präs. der Kőrös-Regulierungs-Ges. Während der Revolution wurde er im April 1848 zum Obergespan des Bekescher Kom. ernannt, war von Juni bis Oktober auch prov. Obersthofmeister des Palatins Erzhg. →Stephan Victor und nahm wiederholt an den Sitzungen des Oberhauses teil. Anfang 1849 konstituierte sich unter seinem Vorsitz ein operativer Verteidigungsausschuss in der Kom.verwaltung, auch ein Honvéd-Baon. wurde von ihm selbst rekrutiert und finanziert. Nach der militär. Niederlage ging W. in die Emigration, aus welcher er 1850 (nach der Amnestie und Aufhebung der Konfiskation seiner Güter) zurückkehrte. Nach rund zehnjähriger Abstinenz vom öff. Leben gründete er gem. mit →Ágoston v. Trefort 1861 den Landwirtschaftsver. des Bekescher Kom. und fungierte als dessen erster Präs. 1860–62 sowie 1865–67 erneut Obergespan, setzte er sich an der Magnatentafel für die Annahme der von →Franz v. Deák verf. staatsrechtl. Adressentwürfe ein. In der Ausgleichsregierung von →Julius Gf. Andrássy d. Ä. erhielt W. im Februar 1867 das Schlüsselressort des Innenmin. Wegen einer schweren Erkrankung trat er jedoch im Oktober 1869 zurück. Nach seiner Genesung wurde er zuerst mit der Leitung der Zentralen Landeskomm. für Pferdezucht betraut. In dieser Funktion veranlasste er die Umwandlung des staatl. Gestüts Kisbér in eine Landeszentrale für Vollblutzucht. Im Mai 1871 kehrte er als in Wien residierender ung. Minister am kgl. Hoflager in die Regierung zurück. Nachdem er von März bis Oktober 1875 als Übergangsministerpräs. fungiert hatte, erlangte er bei den folgenden RT-Wahlen eine überwältigende Mehrheit, welche den störungsfreien Zusammenschluss der bisher allein regierenden Deák-Partei mit dem oppositionellen Linkszentrum garantierte. Während der Bosnienkrise war er in der Regierung von →Kálmán Tisza v. Borosjenő Ende 1878 wieder kurzzeitig Innenminister. W. war an Sport interessiert und förderte neben dem Reit- auch den Rudersport und die Leichtathletik. Ab 1869 Geh. Rat und ab 1871 Kanzler des St. Stephans-Ordens, erhielt er 1869 das Großkreuz des Leopold-Ordens, 1875 jenes des Ordens der hll. Mauritius und Lazarus sowie jenes des St. Stephans-Ordens. 1870 wurde er mit dem osman. Mecidiye-Orden ausgez. Sein Vater József Baron W. (geb. Hermannstadt, Siebenbürgen / Sibiu, RO, 22. 9. 1778; gest. Pest, 1. 3. 1830; röm.-kath.) war in 1. Ehe mit Mária Baronin W., geb. Baronesse Orczy v. Orczi, verheiratet, in 2. Ehe ab 1807 mit deren Cousine Terézia Baronin W., geb. Baronesse Orczy v. Orczi. Nachdem er erst eine militär. Laufbahn eingeschlagen hatte, stud. József W. Jus an der Wr. Univ. und der Rechtsakad. in Pressburg, wo er 1796 die öff. jurist. Abschlussprüfung ablegte. Nach einem Praktikum in der dortigen Kom.verwaltung und an der kgl. Tafel in Pest übernahm er 1800 von seiner verwitweten Mutter die Bewirtschaftung der Familiengüter im Kom. Bekesch. Seine Initiativen zur Hebung der Landwirtschaft sowie sein Einsatz als Off. in den 1809 gegen Napoleon I. mobilisierten Insurrektionskorps der Kom. Bekesch und Torontal wurden mit zweimaliger Wahl zum Kom.deputierten in den RT nach Pressburg (1805 und 1811/12) honoriert. Obschon ein Förderer der nationalen ung. Kultur, stützte er die restaurative Regierungspolitik, die mit absolutist.-bürokrat. Methoden die ung. Verfassungstraditionen sistierte. Als kgl. Koär. ging József W. 1823 im Kom. Neuburg gegen den Steuerwiderstand der Adelsopposition mit militär. Gewalt vor. 1819–24 Obergespan-Stellv. des Kom. Karasch-Sewerin, bekleidete er 1825–30 die Obergespanswürde im Kom. Arad. Auf dem RT 1825–27 saß er an der Magnatentafel und legte der ab Jänner 1828 in Pest tagenden ao. RT-Deputation im Wirtschaftsausschuss ein ausführl. Elaborat über die Förderung der Landwirtschaft und des Handels in Ungarn vor.

W.: József W.: Gondolatok aʼ Magyar Országi hanyatló Ló-tenyésztetésnek hellyre-állitásáról ... / Ideen über eine Wiederherstellung der verfallenen Ung. Pferde-Zucht ..., 1815 (Reprint 1988).
L. (tw. auch für József W.): M. Életr. Lex.; Pallas; Szinnyei; ÚMÉL; Wurzbach; M. Zsilinszky, Br. W. B. emlékezete, 1880; B. Göndöcs, W. B. emlékzete, 1889; É. Somogyi, in: Brennpunkt Mitteleuropa, ed. U. Burz u. a., 2000, S. 265ff.; L. Izsák u. a., Magyar miniszterelnökök 1848–2002, 2002, S. 32ff.; J. E. Héjja, Békés vármegye archontológiája és prozopográfiája 1715–1848, 2009, s. Reg.; B. Pálmány, A reformkori magyar országgyűlések történeti almanachja 1825–48, 1–2, 2011, s. Reg.; A. Szilágyi, in: Az indigenák, ed. M. I. Szijártó, 2017, S. 135ff. – József W.: I. Ress, Kapcsolatok és keresztutak, 2004, s. Reg.
(I. Ress)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 114ff.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>