Wengraf, Moriz (Moritz) (1830–1891), Journalist

Wengraf Moriz (Moritz), Journalist. Geb. Nikolsburg, Mähren (Mikulov, CZ), 26. 11. 1830; gest. Wien, 7. 6. 1891; mos. Sohn von Joachim Moriz W. und Helene W., Vater des Literatur- und Theaterkritikers Dr. Richard Leo W. (geb. Wien, 30. 11. 1875; gest. ebd., 11. 5. 1923), Onkel von →Edmund W.; verheiratet mit Johanna W., geb. Eisenschitz (geb. 28. 5. 1855; gest. 2. 12. 1923). – W. absolv. das Gymn. in Nikolsburg und inskribierte danach angebl. an der phil. bzw. jurid. Fak. der Univ. Wien. Seine Interessen galten zunächst der Geschichte und Kunstgeschichte und seine ersten journalist. Arbeiten erschienen in dt. Z. Ende der 1850er-Jahre wandte er sich vollends dem Journalismus zu. Von Anfang an galt sein bes. Interesse der Frage, wie Österr. unter Einschluss von Ungarn als Gesamtstaat erhalten werden könne. Im „Frankfurter Journal“ bekämpfte er die offizielle Auffassung, die ung. Verfassung von 1848 habe ihre Geltung vollständig eingebüßt, wodurch Gespräche mit den ung. Liberalen auf den Weg gebracht werden sollten. Eine Zeit lang schrieb er auch Artikel für die Ztg. „Der Wanderer“. Von März 1861 bis Mitte Juli 1862 leitete er die neu gegr. Tages-Ztg. „Mährischer Correspondent“ in Brünn und gründete mit seinem Freund Aimé de Wouwermans die als zuverlässig geltende „Parlamentarische Correspondenz“ (von September 1862 bis zum Verbot Ende Jänner 1863 unter dem Titel „Wiener Post“). Danach war er für kurze Zeit Mitarb. der Wr. „Neuesten Nachrichten“. Im Herbst 1862 folgte er einer Einladung der steir. „Autonomisten“ nach Graz und fungierte ab Februar 1863 als Chefred. des „Telegraphen“, Sprachrohr dieser Gruppierung um →Moriz v. Kaiserfeld und →Karl Rechbauer. W. trat entschieden für die Ablöse →Anton v. Schmerlings und für Verhh. mit den ung. Liberalen über einen tragfähigen staatsrechtl. Kompromiss ein. Viele von ihm verf. Leitartikel erregten großes Aufsehen. Er setzte sich vehement für den Ausgleich ein, worin er von seinem langjährigen Freund →Adolf Fischhof unterstützt wurde. Nach dem Verkauf des „Telegraphen“ 1867 legte W. die Chefred. nieder und übersiedelte nach Wien. I. d. F. wurde sein Name des Öfteren im Zusammenhang mit wirtschaftl. Unternehmungen und Projekten genannt: So gehörte er als Aktionär oder Verw.R. zeitweilig mehreren AG an und erwarb sich auch ein gewisses Vermögen. Im Jänner 1871 beteiligte er sich mit 50 % an der von →Eduard Hügel 1855 gegr. „Wiener Stadt- und Vorstadt-Zeitung“ bzw. „Konstitutionellen Vorstadt-Zeitung“, deren redaktionelle Leitung aber immer mehr auf W. überging. Das Bl. gehörte in den 1860er- und frühen 1870er-Jahren zu den populärsten Wr. Ztg. und konnte sich als demokrat.-liberales Bl. unter W. auch gegen wachsende Konkurrenz behaupten. Zum einen gelang es ihm, einige bedeutende Mitarb. zu gewinnen, zum anderen scheiterten Hügel und er aber in dem Bemühen um eine Verständigung zwischen Liberalen und der Arbeiterbewegung. Die seit 1868 erscheinende Beil. „Wiener Arbeiter-Zeitung“, die für eine Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterschaft durch bildungs- und sozialpolit. Initiativen und solche zum Arbeiterschutz eingetreten war, wurde im Oktober 1872 eingestellt. Im März 1872 brachte W. seinen Anteil in die Steyrermühl Papierfabriks- und Verlags-Ges. AG ein und wurde im Gegenzug Aktionär der Steyrermühl AG und Mitgl. des Verw.R., die, nachdem sie auch Hügels Anteile übernommen hatte, Alleineigentümerin der „Vorstadt-Zeitung“ wurde (ab 1888 „Oesterreichische Volks-Zeitung“). Diese nahm aufgrund des Wegfalls der Inseratensteuer und infolge des Ausbaus des „Kleinen Anzeigers“ einen neuerl. wirtschaftl. Aufschwung. Die letzten Jahre seiner Tätigkeit waren überschattet vom überraschenden Entzug der Trafikverschleißlizenz (1883) für die „Vorstadt-Zeitung“ sowie das „Neue Wiener Tagblatt“ durch die nö. Statthalterei. Nach der Ablöse von →Moritz Széps als Chefred. des „Neuen Wiener Tagblatts“ wurde W. im Oktober 1886 dessen Nachfolger. Im Privatleben war W. als Wohltäter bekannt und erwarb sich im Rahmen des Journalisten- und Schriftsteller-Ver. „Concordia“, dessen Mitgl. er ab 1868 war, bzw. der „Concordia“-Pensionskasse, deren Ausschuss er 1870–80 angehörte, große Verdienste.

L.: Tagespost (Graz), 29. 9. 1866; Oesterr. Volks-Ztg., WZ, 8., NFP, NWT, 8., 10., Wr. Allg. Ztg., 9., Die Presse, 10. 6. 1891; Eisenberg 1; Stern–Ehrlich, S. 184, 198ff.; Wurzbach; Proceß G. Ritter v. Schönerer – NWT, 1888; Österr.-Ung. Buchdrucker-Ztg. 19, 1891, S. 245; A. Loibl, Die Stellung der „Konstitutionellen Vorstadt-Zeitung“ zur sozialen Frage 1855–78, phil. Diss. Wien, 1950.
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 119
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