Wertheim, Ernst von (1864–1920), Gynäkologe

Wertheim Ernst, Gynäkologe. Geb. Graz (Stmk.), 21. 2. 1864; gest. Wien, 15. 2. 1920 (Ehrengrab: Zentralfriedhof); röm.-kath. Enkel von →Zacharias W. (s. u. Theodor W.), Sohn von →Theodor W. und Marie W., geb. Peters, Neffe u. a. von →Gustav W. und →Wilhelm W. (beide s. u. Theodor W.); verheiratet mit Maria W., geb. Palt (1883–1956). – W. stud. ab 1882 Med. an der Univ. Graz, wo er u. a. die geburtshilfl.-gynäkolog. Vorlesungen von →Carl v. Helly hörte; 1888 Dr. med. 1888–89 vertiefte er als Ass. von →Rudolf Klemensiewicz seine Ausbildung. Nach einer Hospitation bei dem Internisten →Otto Kahler an der II. Med. Klinik in Wien sowie bei →Rudolf Chrobak an der II. Univ.-Frauenklinik wurde W. 1890 Ass. an der Frauenklinik der dt. Univ. Prag unter →Friedrich Schauta. 1892 habil. er sich mit einer Arbeit über „Die aszendirende Gonorrhoe beim Weibe“ und folgte seinem Chef nach Wien, wo Schauta 1891 die I. geburtshilfl.-gynäkolog. Klinik übernommen hatte. 1897 wurde W. Primararzt und Vorstand der neu eröffneten Bettina-Stiftung des Kn.-Elisabeth-Spitals; 1899 ao. Prof. In der Bettina-Stiftung operierte er 1898–1909 rund 500 Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebs nach seiner Methode der erweiterten abdominalen Freund᾽schen-Operation, die später als W.-Operation bezeichnet wurde. Dabei erfolgten durch W. systemat. Hysterektomien unter Mitnahme der Parametrien und der regionären Lymphknotenstationen. Seine Erfahrungen veröff. er 1911 als „Die erweiterte abdominale Operation bei Carcinoma colli uteri“. Ab 1900 entbrannte der „Drüsenstreit“ zwischen den Vertretern der abdominalen Schule und ihrem Protagonisten W. sowie der vaginal-operativen Schule Schautas. Beide Operationstechniken wurden später von →Georg August Wagner als die „königlichen Operationen“ bezeichnet, wobei die Radikaloperation bis heute eng mit dem Namen W. verbunden ist. Der aufkommenden Strahlentherapie des Zervixkarzinoms stand W. krit. gegenüber. Er empfahl früh ein differenziertes Vorgehen bei den operablen Fällen. 1910 wurde W. auf den Lehrstuhl für Geburtshilfe und Gynäkol. sowie zum Leiter der II. Wr. Univ.-Frauenklinik als Nachfolger →Alfons v. Rosthorns berufen. W. stand bis 1920 dieser Klinik, die später den Ehrennamen „Wertheim-Klinik“ erhielt, vor, während die I. Univ.-Frauenklinik als „Schauta-Klinik“ in die Geschichte der Frauenheilkde. und Geburtshilfe einging. Zu den wiss. Leistungen W.s zählen seine Beitrr. zur Gonorrhoe, die Entwicklung der erweiterten abdominalen Hysterektomie, die Optimierung der Technik der vaginalen Bauchhöhlenoperationen sowie die intravaginale Vaginofixatio des Uterus, d. h. die plast. Verwendung des Uterus beim Uterusprolaps. Darüber hinaus entwickelte er eine Reihe von Operationsinstrumenten. So bezeichnet man noch heute verschiedene Parametrienklemmen als W.-Klemmen. Ebenso verbesserte bzw. beschrieb er Vaginal- sowie Arterienklemmen. Seine bekanntesten Schüler waren Paul Werner, Wagner und →Wilhelm Weibel. W. war Vors. der Österr. Ges. für Gynäkol. und Geburtshilfe (1903, 1911/12, 1915/16 und 1919) und gem. mit Ernst Bumm Red. der Z. „Archiv für Gynäkologie“. 1911 erhielt er das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens. Seit 2002 wird der E. W.-Preis jährl. für Verdienste um die operative gynäkolog. Onkol. verliehen.

Weitere W. (s. auch Fritz): Die Technik der vaginalen Bauchhöhlen-Operationen, 1906 (gem. m. Th. Micholitsch); Die operative Behandlung des Prolapses mittelst Interposition und Suspension des Uterus, 1919.
L.: NWT, 16., NFP, 16., 17., Neues Wr. Journal, 17. 2. 1920; Lesky, s. Reg. (m. B.); W. Weibel, in: Archiv für Gynäkol. 113, 1920, S. IIIff.; W. Weibel, in: Zentralbl. für Gynäkol. 44, 1920, S. 281ff.; J. Halban, in: WMW 70, 1920, Sp. 409ff.; W. Latzko, ebd., Sp. 545ff.; W. Weibel, Die gynäkolog. Operationstechnik der Schule E. W., 1923; P. Werner – J. Sederl, Die W.sche Radikaloperation bei Carcinoma colli uteri, 1952; H. Fritz, Personalbibliographien von Prof. der I. und II. Univ.frauenklinik und der III. geburtshilfl. Klinik in Wien ... 1875–1905, med. Diss. Erlangen-Nürnberg, 1971, S. 54ff. (m. W.); H. Janisch – A. Schaller, in: WKW 100, 1988, S. 130ff.; A. Schaller, Die W.-Klinik, 1992; M. David – A. D. Ebert, in: Geburtshilfe und Frauenheilkde. 70, 2010, S. 205f.; UA, Wien (m. B.); UA, Graz, Stmk.
(A. D. Ebert – M. David)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 142
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>