Wertheim, Theodor (1820–1864), Chemiker

Wertheim Theodor, Chemiker. Geb. Wien, 24. 12. 1820; gest. ebd., 6. 7. 1864; mos., ab 1854 röm.-kath. Sohn von Zacharias W. (s. u.) und Johanna W., geb. Baruch (1792–1864), Bruder u. a. von Gustav W. und Wilhelm W. (beide s. u.), Vater u. a. von →Ernst W.; ab 1860 verheiratet mit Marie W., geb. Peters, der Schwester von →Karl Ferdinand Peters. – Nach Absolv. des Gymn. und der phil. Jgg. (ab 1836) in Wien begann W. ein Med.stud. an der dortigen Univ., wechselte jedoch 1839 an die Univ. Berlin, wo er bis 1840 med. Vorlesungen hörte und sich dann mit anorgan. Chemie und Experimentalphysik befasste. 1843 kehrte er nach Wien zurück, ging aber noch im selben Jahr nach Prag, um seine Kenntnisse in organ. Chemie bei →Josef Redtenbacher zu vertiefen. 1848 wechselte er zu →Johann Gottlieb an das Joanneum in Graz. 1850 erhielt er ohne Habil.verfahren eine Priv.Dozentur an der Univ. Wien. Nach kurzfristigen Tätigkeiten im patholog.-chem. Laboratorium im AKH, an der Geolog. Reichsanstalt und in seinem Privatlaboratorium in der Rossau wurde W. schließl. 1851 von →Andreas Frh. v. Baumgartner an die Tabakfabrikendion. nach Hainburg berufen, wo er ein chem. Laboratorium einrichtete und ein neues Verfahren zur Herstellung von Schnupftabak entwickelte. Dabei ersetzte er einerseits die bisher verwendete Pottasche durch Soda und erreichte andererseits durch das Weglassen des Weinzusatzes eine Reduzierung der Herstellungskosten. Nach Aufenthalten bei Robert Bunsen in Heidelberg (1853), wo er die gasometr. Methode kennenlernte, und München (1854) folgte W., da ihm aufgrund seines Religionbekenntnisses eine Professur in Österr. versagt blieb, 1854 einem Ruf als o. Prof. an die Univ. Pest, wo er sich bes. um die Errichtung eines wiss. Laboratoriums verdient machte und das Conydrin entdeckte. Wegen der Sprachvorschriften an den ung. Univ. ging W. zunächst zurück nach Wien und 1861 als o. Prof. an die Univ. Graz; 1862/63 Dekan der phil. Fak. In Graz verbesserte er v. a. die wiss. Forschungsmöglichkeiten, nicht zuletzt durch die Anschaffung eines neuen Dampfapparats, und förderte die Entwicklung des Fachs organ. Chemie. 1864 kehrte er nach Wien zurück. W. hatte bereits unter Redtenbacher analyt. Untersuchungen des sog. flüchtigen Knoblauchöls durchgeführt. Dabei gelangen ihm die Isolation von Diallylsulfid und der Nachweis der engen Verwandtschaft des Knoblauchöls zum Senföl. Weiters befasste er sich mit Piperin, Chinin, dem Blyth᾽schen Narkotin, mit Salzlake und Coniin. Seine Beitrr. erschienen insbes. in den „Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse“ und in den „Annalen der Chemie und Pharmacie“. 1848 wurde W. zum k. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien gewählt, 1862 Dr. phil. h. c. der Univ. Graz. Ab 1854 war er k. M. der Ges. der Ärzte. Sein Vater Zacharias W. (geb. Wien, 5. 7. 1780; gest. ebd., 31. 12. 1852; mos.) stud. ab ca. 1798 Med. an der Univ. Wien; 1802 Dr. med. Danach vertiefte er seine Kenntnisse u. a. in Göttingen. 1809 kehrte Zacharias W. nach Wien zurück und wirkte zunächst während einer Typhusepidemie im Grenzgebiet zu Ungarn. 1816 wurde er Primararzt im Israelit. Spital in Wien. Sein „Versuch einer medicinischen Topographie von Wien“ (1810) galt lange Zeit als Standardwerk betreffend die med. Versorgung sowie die med. Einrichtungen in Wien. Zacharias W. war ab 1838 Mitgl. der Ges. der Ärzte in Wien. W.s Bruder, der Dermatologe Gustav W. (geb. Wien, 28. 10. 1822; gest. ebd., 8. 1. 1888; mos., ab 1859 röm.-kath.), Vater von →Camilla Jellinek, ab 1859 verheiratet mit Wilhelmine (Minna) W., geb. Walcher (gest. Baden, NÖ, 4. 3. 1901), stud. nach Besuch des Schottengymn. ab 1840 Med. an der Univ. Wien. 1847 Dr. med. sowie 1852 Dr. chir. und Dr. obstet., wirkte er zunächst im Israelit. Spital in Wien, ehe er ab 1854 in der von ihm errichteten Privat-Heil-Anstalt für Hautkranke in Wien-Wieden, ab 1858 in Dr. W.᾽s Privatheilanstalt in Wien-Josefstadt praktizierte; 1861 Habil. für Dermatol. 1865 übernahm er die Stelle des Primararztes am Krankenhaus Rudolfstiftung, 1876 wurde er auch zum ao. Prof. für Dermatol. und Syphilis an der Univ. Wien ernannt. Wiss. interessierte er sich bes. für Letztere. Darüber hinaus entwickelte Gustav W. eine neue, in Fachkreisen rasch anerkannte Heilmethode bei Bartflechten. Angefeindet wurde er schon zu Lebzeiten wegen seiner vivisektor. Versuche zu den Auswirkungen von siedendem Wasser und brennendem Terpentin auf die Haut von Hunden. Er war ab 1854 Mitgl. der Ges. der Ärzte. Ein weiterer Bruder, Wilhelm W. (geb. Wien, 5. 3. 1815; gest. Tours, F, 20. 1. 1861, Suizid; mos.), stud. nach Besuch des Schottengymn. ab 1833 Med. in Wien; 1839 Dr. med. Noch im selben Jahr ging er nach Berlin, um im Laboratorium von Eilhard Mitscherlich seinen naturwiss. Interessen, insbes. der Physik, nachzugehen. 1840 übersiedelte er nach Paris, wo er sich v. a. der Experimentalphysik zuwandte. Um 1850 kehrte er nach Wien zurück. Da ihm dort wie seinem Bruder Theodor eine Univ.karriere versagt blieb, ging er erneut nach Paris; 1853 Dr. ès sciences. 1854 erhielt er eine Anstellung als Examinateur d᾽entrée an der École polytechnique. 1855 fungierte er als Jurymitgl. bei der Pariser Ind.ausst. Zuletzt depressiv, beging er Suizid. Bleibende Verdienste erwarb er sich auf den Gebieten der Elastizität der Metalle, Gläser, Hölzer, einiger Mineralien, aber auch des Gewebes des menschl. Körpers sowie der Akustik. 1848 wurde er zum k. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien gewählt.

W.: s. Wurzbach; Kernbauer. – Gustav W.: s. Wurzbach. – Wilhelm W.: s. Almanach; Wurzbach.
L.: Die Presse, 7. (Parte), Tagespost (Graz), 8. (Parte), 13. 7. 1864; Almanach Wien 15, 1865, S. 232ff.; Poggendorff 2–3; Wininger; Wurzbach (m. W.); H. Wittmann – E. Ziegler, Die Entwicklung der chem. Wiss. an der Univ. Graz 1850–1982, 1985, s. Reg., bes. S. 45ff.; A. Kernbauer, Das Fach Chemie an der phil. Fak. der Univ. Graz, 1985, s. Reg., bes. S. 34ff. (m. W.); UA, WStLA, beide Wien; UA, Graz, Stmk.; UA, Berlin, D. – Zacharias W.: Wurzbach (s. u. Wilhelm W.); WMW 3, 1853, Sp. 27f.; Allg. Z. des Judentums 17, 1853, S. 69f.; UA, Wien. – Gustav W.: NWT, 9., NFP, 10. 1. 1888 (Parte); ADB; Lesky, s. Reg.; Wurzbach (s. u. Wilhelm W., m. W.); K. H. Tragl, Chronik der Wr. Krankenanstalten, 2007, S. 270; Pfarre Unsere Liebe Frau zu den Schotten, UA, beide Wien. – Wilhelm W.: Die Presse, 4. 2. 1861; Almanach Wien 11, 1861, S. 176ff. (m. W.); Wurzbach (m. W.).
(D. Angetter)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 144f.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>