Wertheimer von Wertheimstein, Josephine Edle; geb. Gomperz (1820–1894), Salonière und Mäzenin

Wertheimer von Wertheimstein Josephine Edle, geb. Gomperz, Salonière und Mäzenin. Geb. Brünn, Mähren (Brno, CZ), 19. 11. 1820; gest. Wien, 16. 7. 1894; mos. Tochter des Großhändlers und Vizepräs. der Brünner HK Philipp Gomperz (geb. 1. 8. 1782; gest. Brünn, 30. 7. 1857) und von Henriette Gomperz, geb. Auspitz (geb. 19. 12. 1792; gest. Wien, 30. 4. 1881), Schwester von Minna Gomperz (geb. Brünn, 7. 9. 1827; gest. Wien, 27. 10. 1886), →Sophie Freifrau v. Todesco, →Max v. Gomperz, →Julius v. Gomperz und →Theodor Gomperz, Mutter von Franziska Edle W. v. W. (s. u.); ab 1843 verheiratet mit →Leopold Ritter W. v. W. – W. besuchte das Brünner Erziehungsinst. für Mädchen. Da ihr Ehemann für das Haus Rothschild die Repräsentationspflichten übernommen hatte, kam W. ebenfalls eine bes. gesellschaftl. Rolle zu. Sie führte einen Salon, der Treffpunkt der Liberalen Wiens war. Zu ihren Freunden gehörten u. a. →Alexander Moritz Baumann, →Eduard v. Bauernfeld und →Josef Dessauer. Während der Unruhen 1848 hielt sich die Familie in Brünn auf. W., die u. a. an einer Lähmung der Beine und an Depressionen litt, bereiste mit ihren Kindern Kurorte in ganz Europa; Aufenthalte u. a. in Brighton und Dieppe 1857 blieben jedoch wirkungslos. In Paris traf sie Prosper Mérimée, →Moritz Hartmann und Iwan Turgenjew. Kuren in Hořička 1858, 1859 und 1863 brachten schließl. Linderung. Die in ihrer Ehe unglückl. W. stürzte nach dem Tod ihres Sohns in eine tiefe Krise. 1870 kaufte ihr Mann die Arthaberʼsche Villa in Döbling, in der W. fortan mit ihrer Tochter, ihrer Mutter und ihrer Schwester Minna lebte. Sie erholte sich, verf. 1870/71 zahlreiche Ged. sowie ein Novellenfragment und führte wieder einen Salon. Zu ihren Gästen zählten u. a. →Adolf Exner, →Theodor Meynert, die Brüder Lieben, →Ernst v. Fleischl-Marxow, →Franz Brentano, →Eduard Hanslick, →Ernst Frh. v. Plener, →Anton Bettelheim, →Joseph Hellmesberger d. J., →Theodor Leschetitzky, Anton Rubinstein, →Moritz v. Schwind und →Ferdinand Frh. v. Saar, den sie auch finanziell unterstützte. Ab 1871 bestand ein intensiver Kontakt mit dem späteren Dir. des Hofburgtheaters Adolf v. Wilbrandt und seiner Frau, der Schauspielerin Auguste Wilbrandt-Baudius. W. war Mäzenin von Feruccio Busoni, der als 10-jähriges Wunderkind bei ihr auftrat. Neben der Villa gab es ein Gartenhaus für Gäste, in dem Bauernfeld 1890 starb, und die sog. Böhm-Mühle, in der 1874–77 →Emilie Exner und →Siegmund v. Exner-Ewarten wohnten. Während der Wintermonate befand sich W. oft mit ihrer Tochter auf Reisen. Mehrmals besuchten sie in München Franz v. Lenbach, der beide porträtierte. Die Sommermonate verbrachten sie in Gastein, Ischl und Aussee, wo sie 1892 →Hugo Hofmann v. Hofmannsthal kennenlernten. W. gründete zum 80. Geburtstag →Franz Grillparzers ein Frauenkomitee, das das Kapital sammelte, aus dessen Zinsen alle drei Jahre der Grillparzer-Preis vergeben wurde. W.s Tochter, die Salonière und Mäzenin Franziska Edle W. v. W. (geb. Hietzing, NÖ/ Wien, 17. 8. 1844; gest. Wien, 19. 1. 1907), wurde ab 1853 vom Hauslehrer Dr. Wessel erzogen und nahm als begabte Malerin mit →Ella v. Lang Unterricht bei →August Eisenmenger, jedoch führte eine Erkrankung zu einer dauerhaften Einkrümmung ihrer Hände. Franziska W., die als eines der schönsten Mädchen Wiens galt, verlobte sich 1868 mit →Adolf Lieben, löste jedoch die Verbindung nach ein paar Monaten wieder. Brentano, →Joseph Unger, der Architekt Julius Boskowitz und →Ernst Frh. v. Plener wurden ebenfalls von ihr abgewiesen. Als sich ihr phys. wie psych. Leiden verstärkte, unternahm Franziska W. zahlreiche Behandlungsversuche: 1884 fuhr sie mit ihrer Tante Minna nach Paris zu Jean-Martin Charcot, 1887 vermittelte ihr Lenbach Otto Fürst v. Bismarcks Leibarzt Ernst Schwenninger. Auch →Richard Frh. v. Krafft-Ebings Therapie blieb ohne Erfolg sowie die Behandlungen von Dr. Alexander Hollaender, der das Sanatorium in Hacking führte. Der Tod der Mutter und 1906 der Suizid v. Saars, mit dem sie ab 1870 eine enge Freundschaft verband, verschlechterten ihren Zustand dramat. →Josef Breuer konstatierte eine Geisteskrankheit. In ihrem Testament vermachte sie die Villa, in der eine Volksbibl. eingerichtet werden sollte (heute Bez.mus. Döbling), und den sie umgebenden Park der Öffentlichkeit.

W.: Briefe an, von und um J. v. W., ed. H. Gomperz, 1933. – Nachlass: Wienbibl. im Rathaus, Wien.
L. (tw. auch für Franziska W. v. W.): NFP, 17. 7. 1894 (Parte), 3. 1. 1905; Die Neuzeit 34, 1894, S. 301; J. v. Gomperz, Jugend-Erinnerungen, 2. Aufl. 1903, S. 12ff.; Th. Gomperz, Essays und Erinnerungen, 1905, S. 10; F. Ewart, Zwei Frauen-Bildnisse, 1907; R. Holzer, Villa W., 1960; J. Bartl, Villa W. – Vom geistigen Treffpunkt zum musealen Gedenkraum, phil. DA Wien, 1990, S. 16ff., 88ff.; R. Wagner, Heimat bist du großer Töchter, 1992, S. 108ff.; E. Kobau, Rastlos zieht die Flucht der Jahre … J. und F. v. W. – F. v. Saar, 1997 (m. B.); K. Rossbacher, Literatur und Bürgertum, 2003, S. 104ff., 138ff., 409ff.; G. Gaugusch, Wer einmal war. A–K, 2011, S. 974; biografiA. Lex. österr. Frauen 3, 2016; A. Peterle, in: The Place to be. Salons als Orte der Emanzipation, ed. W. Hanak, Wien 2018, S. 70ff. (Kat.). – Franziska W. v. W.: Illustrierte Kronen Ztg., 31. 1. 1907; Biograph. Jb. 12, 1909, S. 510; Czeike; H. Peham, Die Salonièren und die Salons in Wien, 2013, S. 143ff.
(R. Müller)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 147f.
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