Wesselski, Albert (Franz Maria) (1871–1939), Journalist, Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Volkskundler

Wesselski Albert (Franz Maria), Journalist, Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Volkskundler. Geb. Wien, 3. 9. 1871; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 2. 2. 1939; röm.-kath. Sohn des Realschulprof. Franz W. und von Franziska W., geb. Reinkenhof; verheiratet mit Maria W., geb. Salzmann. – Nach Absolv. des Gymn. stud. W. 1892–95 an der phil. Fak. der Univ. Wien bei →Franz Brentano und Robert Zimmermann. 1902–06 war er beim stmk. Landesbauamt in Graz tätig. Unzufrieden mit seiner Anstellung, widmete er sich fortan dem Journalismus und der wiss. sowie übersetzer. Tätigkeit. Ab 1907 wirkte er vorerst als Schriftleiter der „Tetschen-Bodenbacher Zeitung“, dann in Salzburg als Chefred. der „Neuesten Nachrichten“ (1915–16), anschließend bis Sommer 1918 in gleicher Funktion bei den „Innsbrucker Nachrichten“. Danach übersiedelte er nach Prag und arbeitete zuerst als Red. bei der „Deutschen Zeitung Bohemia“, 1919–35 als deren Hauptschriftleiter. Daneben war er auch polit. aktiv: vor 1914 als Anhänger des gemäßigten Flügels der Dt.freiheitl. Partei (u. a. im Dt. Volksrat für Böhmen), nach 1918 als Mitgl. der Dt.demokrat. Freiheitspartei. Im Sinne einer nationalliberalen – gegenüber dem neuen tschechoslowak. Staat krit., jedoch loyalen – Einstellung formierte W. die „Bohemia“ um. V. a. konzentrierte er sich, als Kenner der Weltliteratur und polyglotte Persönlichkeit, auf die Forschung. Er widmete sich eingehend der Stoffgeschichte und dem Erzählgut des latein. Mittelalters („Mönchslatein“, 1909; „Klaret und sein Glossator. Böhmische Volks- und Mönchsmärlein im Mittelalter“, 1936), aber auch der französ., italien. („Die Legende um Dante“, 1921; „Angelo Polizianos Tagebuch …“, 1929) sowie fläm. („Flämische Volkslieder …“, 1917), dt. („Heinrich Bebels Schwänke“, 1907) und türk. („Der Hodscha Nasreddin“, 1911) Novellistik sowie Schwänken und Redensarten in der frühen Neuzeit. Ein weiteres seiner Arbeitsfelder lag in der vergleichenden Mythen- und Märchenforschung („Deutsche Märchen vor Grimm“, 1938). Viele seiner Feuilletons und wiss. Beitrr. erschienen in der „Deutschen Arbeit“, dem „Prager Tagblatt“, der „Neuen Freien Presse“, der „Sudetendeutschen Zeitschrift für Volkskunde“, dem „Schweizerischen Archiv für Volkskunde“, den „Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins“, der „Zeitschrift für Volkskunde“, dem „Archiv orientální“ (ebd. ab 1932 Mithrsg.), den „Hessischen Blättern für Volkskunde“ usw. Hoch geschätzt waren auch seine Übers. aus dem Französ. (Charles de Coster), Italien. (u. a. Giovanni Boccaccios „Dekameron“, Poggio Bracciolinis „Facezien“) sowie Sanskrit („Somadevas Kathasaritsagara oder Ozean der Märchenströme“, 1914). Ende 1934 suchte er bei der phil. Fak. der Univ. Graz um die Venia legendi für vergleichende Literaturwiss. mit bes. Berücksichtigung des dt. volkstüml. Erzählguts an, die im Sommer 1935 bestätigt wurde. Daneben war er im Ver.wesen der böhm. (1913 Obmann-Stellv. des Ver. Dt. Presse in Böhmen), gesamtösterr. (1913 in der Verbandsleitung des Reichsverbands der dt. Presse Österr.) und später tschechoslowak. Presse (Verband der dt. Journalisten in Böhmen) aktiv. W. war Mitgl. der Dt. Akad. der Wiss. und Künste in der Tschechoslowakei, der Dt. Morgenländ. Ges., des Berliner Ver. für Volkskde. (Berlin), des Orientální ústav in Prag, der finn. Suomalainen Tiedeakatemia sowie der erste Obmann-Stellv. des Schutzverbands Dt. Schriftsteller in der Tschechoslowakei (1921); 1931 Dr. h. c. der dt. Univ. Prag. Seine umfangreiche Bibl. ist heute Tl. der Univ.bibl. Wien.

Weitere W. (s. auch Archiv orientální): Märchen des Mittelalters, 1925; Versuch einer Theorie des Märchens, 1931; Der Sinn der Sinne, 1934.
L.: Innsbrucker Nachrichten, 4. 9. 1931; Lidové noviny, 3. 2. 1939, 3. 9. 1941; Prager Tagbl., 4. 2. 1939; Masaryk; Wer ist’s?, 1935; F. Jaksch, Lex. sudetendt. Schriftsteller und ihrer Werke … 1900–29, 1929; J. Rypka, in: Archiv orientální 11, 1939, S. 155ff. (m. B. u. W.); E. E. Kiefer, A. W. and Recent Folktale Theories, 1947; E. Leitner, Die neuere dt. Philol. an der Univ. Graz 1851–1954, 1973, s. Reg.; C. Henderson, in: Fabula 37, 1996, S. 216ff.; Editor. Leistungen am Grazer Inst. für Germanistik (1851–1996), ed. A. Hofmeister, Graz 1996 (Kat.); Kdo byl kdo. Čeští a slovenští orientalisté, afrikanisté a iberoamerikanisté, ed. J. Filipský u. a., 1999; Lidová kultura. Národopisná enc. Čech, Moravy a Slezska 1, ed. St. Brouček – R. Jeřábek, 2007, S. 257; Enz. des Märchens 14, 2014; Pfarre St. Ulrich, UA, beide Wien.
(V. Petrbok)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 154f.
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