Wickhoff, Franz (1853–1909), Kunsthistoriker

Wickhoff Franz, Kunsthistoriker. Geb. Steyr (OÖ), 7. 5. 1853; gest. Venedig (Venezia, I), 6. 4. 1909; röm.-kath. Sohn des Eisengroßhändlers und Abg. zum oö. LT sowie zum RR (jeweils 1867–85) Franz W. (geb. Steyr, 12. 6. 1827; gest. Wien, 20. 11. 1885) und dessen Frau Rosina W., geb. Zayer (1823–1895), Schwager von →Joseph Anton Böhm; unverheiratet. – Nach dem Besuch der Gymn. in Kremsmünster, Seitenstetten und Krems, wo er 1874 die Matura ablegte, stud. W. ab 1875 an der Univ. Wien Geschichte, Kunstgeschichte und Archäol. (1880 Dr. phil.). Schon in seiner unter →Mori(t)z Thausing verf. Diss. „Eine Zeichnung Dürers nach der Antike“ (1880) wandte er sich Themen zu, die ihn zeitlebens beschäftigen sollten, näml. der Kunst Italiens im 16. Jh., dem Nachleben der Antike sowie künstler. Migrationsbewegungen. Nach Absolv. des Inst. für österr. Geschichtsforschung (1877–79), wo er insbes. von →Theodor v. Sickel und →Rudolf v. Eitelberger-Edelberg gefördert wurde, arbeitete W. 1879–85 als Kustos am Österr. Mus. für Kunst und Ind. Gleichzeitig war er auch für die Albertina tätig und erstellte ein krit. Verzeichnis ihrer italien. Handzeichnungen. Nach seiner Habil. (1882) wirkte W. bis 1883 als Stipendiat am Österr. Hist. Inst. in Rom. 1885 wurde er zum ao., 1890 zum o. Prof. an der Univ. Wien ernannt. Im Schaffen W.s, dem „Haupt“ und eigentl. Begründer der Wr. Schule der Kunstgeschichte, werden die Grundsätze und Leitlinien jener wirkmächtigen Denktradition deutl. sichtbar. Sein stetiges Bemühen, die Kunstgeschichte vom Vorwurf des Schwärmertums zu befreien und als streng wiss. Disziplin zu etablieren, ließen ihn für die weitere Entwicklung des Fachs zentrale Forderungen stellen. Dazu zählten die Sichtung und method. Auswertung der Schriftquellen sowie die Schulung des Auges, was ihn veranlasste, die sog. Morelli-Methode – benannt nach →Giovanni Morelli, mit dem W. in Kontakt stand – in den Unterricht einzuführen. Weiters propagierte er die konsequente Auseinandersetzung mit den Werken selbst, weshalb er Seminare und Übungen zumeist in den Wr. Smlgg. vor den Originalen abhielt, und schließl. die vorurteilsfreie Beschäftigung mit moderner Kunst und den Werken sog. Verfallsepochen. Als sein Hauptwerk gilt die „Wiener Genesis“ (1895, als „Römische Kunst“ 1912 neu aufgelegt, engl. 1900, italien. 1947), womit er die wiss. Rehabilitierung der spätantiken Kunst einleitete – ein Thema, das i. d. F. zu einem zentralen Forschungsfeld der Wr. Schule wurde. In dieser Schrift machte sich W. Gedanken über eine spezif. Erzählweise spätantiker Codices und prägte hierfür den Begriff des kontinuierenden Stils, bei dem „die jeweiligen Helden der Erzählung in continuierlich sich aneinander reihenden Zuständen“ gezeigt werden. W. verwies damit auf eine geschichtl. weit zurückreichende Form der Narration, die später in modernen Bildmedien (z. B. Comicstrips) wieder zur Anwendung kam. Größere Bekanntheit erlangte W. 1900 durch sein Eintreten für →Gustav Klimt im Streit um die Fak.bilder der Univ. Wien. Unter dem Titel „Was ist häßlich?“ erinnerte er in einem öff. Vortrag an die Relativität des ästhet. Urteils und sprach sich gegen normative Wertsetzungen in der Kunst aus. Seine Interessen waren weit gestreut: Er widmete sich, eventuell angeregt durch Böhm, botan. Stud., war literar. tätig (u. a. vollendete er Goethes „Pandora“, posthum 1932 erschienen), schwärmte für die Musik Richard Wagners und nahm noch im reifen Alter Mal- und Zeichenunterricht. Er erlag während eines Stud.aufenthalts in Venedig einem langen Leiden. W. hatte zahlreiche Funktionen inne: So war er Mitgl. der Sachverständigen-Komm. für Bilderrestaurierungen bei der Gemälde-Galerie des Allerhöchsten Kaiserhauses, des Kunstrats des Min. für Kultus und Unterricht in Angelegenheiten der bildenden Künste sowie des Österr. archäolog. Inst. in Wien und Korrespondent des Österr. Mus. für Kunst und Ind. Ab 1898 war er k. M., ab 1903 w. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien, sein Nachlass liegt im Archiv des Inst. für Kunstgeschichte der Univ. Wien.

Weitere W. (s. auch Johns): Die Schriften F. W.s, 2 Bde., ed. M. Dvořák, 1912–13.
L.: NFP, 7. (Abendbl.), 8. 4. 1909; Almanach Wien 59, 1909, S. 358 (m. B.); M. Dvořák, in: Biograph. Jb. 14, 1912, S. 317ff.; J. Schlosser, in: NÖB 8, S. 190ff. (m. B.); H. Tietze, in: Kunstchronik, NF 20, 1908/09, Sp. 369ff.; O. Oberwalder, in: Oö. Männergestalten aus dem letzten Jh., ed. E. Straßmayr, 1926, S. 212ff. (m. B.); K. Clausberg, Die Wr. Genesis, 1984, S. 29ff.; A. Rosenauer, in: G. Morelli e la cultura dei conoscitori 2, ed. G. Agosti, 1993, S. 359ff.; U. Rehm, in: Wr. Jb. für Kunstgeschichte 53, 2004, S. 161ff. (m. B.); K. Johns, in: Austriaca. Cahiers universitaires … 72, 2011, S. 117ff. (m. W.); UA, Wien; Stadtpfarre Steyr, OÖ.
(G. Vasold)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 175f.
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