Wieselthier, Vally (Valerie) (1895–1945), Keramikerin und Graphikerin

Wieselthier Vally (Valerie), Keramikerin und Graphikerin. Geb. Wien, 25. 5. 1895; gest. New York City, NY (USA), 1. 9. 1945; bis 1921 mos. Tochter des Rechtsanwalts Dr. Wilhelm W. (gest. 12. 8. 1936) und von Rosa W., geb. Winkler (gest. 23. 8. 1929); unverheiratet. – W. besuchte 1912–14 die Kunstschule für Mädchen und Frauen und setzte 1914–20 ihre Ausbildung an der Wr. Kunstgewerbeschule fort. Sie besuchte die Kl. für Textilkunst und Malerei, ab 1917 die Keramikkl. unter Michael Powolny. Während des 1. Weltkriegs leistete sie freiwillige Arbeit als Krankenschwester. Bereits 1917 holte sie Josef Hoffmann als freie Mitarb. in die Künstlerwerkstätten der Wr. Werkstätte unter →Dagobert Peche. W. schuf Entwürfe für Textilien und Glas, arbeitete aber hauptsächl. als Keramikerin und fertigte überwiegend kleine Gebrauchskeramiken an, bald aber auch skulpturale Köpfe, wobei der künstler., dekorative und spieler. Aspekt in Weiterführung der kunsthandwerkl. Tradition des Barock und des Rokoko von Beginn an dominierend war. Herausragendes Kennzeichen ihrer Arbeiten sind expressive, frei fließende Farben von großer Leuchtkraft sowie eine humorvolle bis karikierende Formensprache. W., die zumeist ohne Drehscheibe arbeitete, entwarf auch für andere Werkstätten (z. B. Gmundner Keramik). 1922 trat sie wegen der notwendigen Reformen aus der Wr. Werkstätte aus und gründete die Keram. Werkstätte Vally Wieselthier in Wien 6, die bis 1927 bestand. I. d. F. lieferte sie Kommissionsware an die Wr. Werkstätte und es entstanden die ersten über 1 m hohen Skulpturen, deren exaltierte Haltungen und stark geschminkte Gesichter an Mode und Tanz der Epoche erinnern. Mit ihren Werken nahm sie an internationalen Ausst., u. a. in Leipzig, Frankfurt am Main, München und 1925 auf der Exposition internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris (Gold- und Silbermedaille), teil. 1925–32 hielt sich W. regelmäßig in Paris in einem eigenen Atelier auf und es begann ein wachsender Handel mit amerikan. Sammlern. 1927–29 fungierte sie als Leiterin der Keramikwerkstätte der Wr. Werkstätte; zu ihren Schülerinnen zählte u. a. Gudrun Baudisch. Nach 1925 erfolgte in ihrem Œuvre eine stilist. Reduktion mit geometr. klaren Formen und größeren monochromen Flächen. 1928 beteiligte sie sich erfolgreich an der International Exhibition of Ceramic Art im Metropolitan Mus. in New York, präsentierte ihre erste über 2 m hohe weibl. Skultpur und übersiedelte schließl. 1932 nach New York, wo sie enge Kontakte zu der aus Europa emigrierten Künstlerszene unterhielt. Sie eröffnete ein eigenes Atelier, in dem sie auch Schüler ausbildete, und arbeitete u. a. mit der Sebring Pottery Company und der Cowan Pottery zusammen. Mit ihren Werken, die sich stilist. dem amerikan. Art déco anpassten, übte sie in den Folgejahren großen Einfluss auf die amerikan. Keramik aus. W., u. a. Mitgl. der Contempora Group, war eine der prägendsten Keramikerinnen der Wr. Werkstätte und des frühen 20. Jh., die das Kunsthandwerk in eine neue moderne Richtung führte und die Grenze zur Bildhauerei überwand. Ihre Arbeiten finden sich in internationalen Privatsmlgg., dem MAK – Mus. für angewandte Kunst, der Galerie bei der Albertina (beide Wien), dem Grassimus. (Leipzig) und dem Bröhan-Mus. (Berlin). Tle. ihres Nachlasses werden im MAK aufbewahrt, tw. befindet er sich in Privatbesitz (New York City).

W.: s. Hörmann, 1999.
L.: Thieme–Becker; Vollmer; V. Wieselthier, in: Dt. Kunst und Dekoration 50, 1922, S. 237f., 58, 1926, S. 259ff.; V. Wieselthier, in: Keramik-Design 31, Nr. 5, 1929, S. 101f.; R. Canfield, in: Design 31, 1929, S. 103ff.; M. Hörmann, V. W. …, 1999 (m. W.); M. Hörmann, in: Jh. der Frauen, ed. I. Brugger, Wien 1999, S. 166ff. (Kat.); M. Brandow-Faller, in: Woman’s Art Journal 35, 2014, Nr. 2, S. 28ff.; M. Brandow-Faller, in: Design dialogue: Jews, Culture and Viennese Modernism, ed. E. Shapira, 2018, S. 229ff.; Wien Geschichte Wiki (Zugriff 11. 9. 2019).
(M. Hussl-Hörmann)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 192
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