Wieser, Johannes Evangelist (Johann) (1831–1885), Theologe, Ordensmann und Schriftsteller

Wieser Johannes Evangelist (Johann) SJ, Theologe, Ordensmann und Schriftsteller. Geb. Völlan, Tirol (Völlan/Foiana, I), 24. 3. 1831; gest. Bozen, Tirol (Bozen/Bolzano, I), 22. 4. 1885; röm.-kath. Sohn des Bauern Josef W. (vulgo Weinreich) und dessen Frau Maria W., geb. Unterholzner, Bruder von Josef W. (s. u.) sowie des Volksmissionars Matthias W. SJ (geb. Völlan, 14. 11. 1838; gest. Steyr, OÖ, 22. 6. 1907). – Nach Abschluss des Benediktinergymn. in Meran absolv. W. ein Theol.stud. an den Priesterseminaren in Brixen (unter →Vinzenz Ferrer Gasser, →Franz Josef Rudigier und →Josef Fessler) und Trient; Ordination 1854. 1858 trat W. ins Noviziat der Ges. Jesu im oö. Baumgartenberg ein und vollendete die Ausbildung mit einem Theol.stud. in Innsbruck; Dr. theol. 1864. Es folgte eine Berufung als Prof. für Kirchengeschichte und Einführung in die Hl. Schrift an das bischöfl. Priesterseminar in Sathmar. Ab 1868 war W. Mitarb. des „Sendboten des göttlichen Herzens“ in Innsbruck, ehe er 1870 die phil.-theol. Propädeutik an der theol. Fak. ebd. übernahm, zunächst als ao. Prof., ab 1884 als erster o. Prof. W.s Stärke lag weniger im Vortrag, sondern in seinen Publ., mit denen er sich im zeitgenöss. theol. Diskurs zu Wort meldete, etwa gegen den Altkatholizismus („Der ‚jesuitische Krankheitsstoffʻ in der Kirche“, 1872) oder zum 1. Vatikan. Konzil („Die Unfehlbarkeit des Papstes und die Münchner ‚Erwägungenʻ“, 1870), wobei er sich – anders als die Mehrheit des dt.-österr. Klerus – für das Dogma der Unfehlbarkeit des Papsts aussprach. Populärwiss. schrieb W. gegen den Darwinismus bzw. die Abstammungslehre Ernst Haeckels an. Sein umfassender theol. Horizont und sein prononcierter Stil prädestinierten ihn für die Schriftleitung der 1877 gegr. „Zeitschrift für katholische Theologie“. Diese sollte in der bewegten nachkonziliaren Phase und vor dem Hintergrund des Kulturkampfs in Dtld. sowie des Liberalismus in Österr. (der u. a. versuchte, die Jesuitenfak. in Innsbruck zu Fall zu bringen) den Innsbrucker Prof. eine publizist. Plattform zur Verteidigung bieten. W. veröff. in den ersten Jgg. sowohl phil. als auch dogmat., spirituelle und exeget. Abhh., verblieb dabei aber stets in einer defensiv-apologet. Haltung gegenüber den Erscheinungen, die aus kath. Sicht als Irrtümer des Modernismus bewertet wurden (vgl. seinen programmat. Beitr. „Die Aufgabe der katholischen Wissenschaft in ihrem Verhältnis zur protestantischen Theologie“, ebd. 1, 1877). Krankheitsbedingt gab W. die Schriftleitung Anfang 1885 ab und übersiedelte nach Bozen. Er hinterließ unvollendete Stud. über die Geschichte der Offenbarung und eine scharfsichtige Analyse der Krise der Kirche im 16. Jh., dargestellt anhand der Persönlichkeiten von Martin Luther und Ignatius v. Loyola. Sein Bruder, der Theologe und Priester Josef W., Ps. Winrich an der Volt (geb. Völlan, 12. 11. 1828; gest. Bozen, 8. 2. 1899; röm.-kath.), trat nach Besuch des Benediktinergymn. in Meran 1847 in das Noviziat der Ges. Jesu in Graz ein. Als die Jesuiten während der Märzrevolution 1848 aus Graz vertrieben und in Österr. verboten wurden, verließ W. den Orden und absolv. ein Theol.stud. an den Priesterseminaren in Brixen und Trient; Ordination 1854. Nach mehreren Jahren in der Seelsorge in verschiedenen Südtiroler Gmd. übernahm er 1857 für 15 Jahre die Professur für Neues Testament (1870–72 zusätzl. jene für Fundamentaltheol.) am Priesterseminar in Trient, zunächst als prov., ab 1860 als o. Prof. In dieser Zeit entstanden seine wiss. Arbeiten, auch wenn sie (wie die Abh. „Pauli Apostoli doctrina de iustificatione“, 1874) z. Tl. erst später gedruckt wurden. 1873 wurde W. als infulierter Propst, Dekan und Stadtpfarrer von Bozen installiert und übernahm einen Sitz der Prälatenkurie im Tiroler LT (1877–83). Als Abg. der Tiroler Großgrundbesitzer (1879–85) im RR gehörte er zuerst dem Klub des rechten Zentrums an (Obmann-Stellv.), später – nach einer fraktionslosen Phase – ab Ende 1882 dem Zentrum-Klub. Wie sein Bruder bezog Josef W. vehement Stellung gegen den als kirchenfeindl., weithin naturalist. und materialist. empfundenen Zeitgeist, trat etwa für ein kirchl. Mitspracherecht beim Religionsunterricht ein und machte sich mit Beschwerden bis zum Verwaltungsgerichtshof für seine konservative Auffassung gegenüber staatl. Behörden und liberalem Recht stark. Eine plötzl. Erblindung 1884 beendete seine polit. Karriere, nicht aber seine Tätigkeit in Bozen, da die Trienter Kurie seine Rücktrittsgesuche nicht annahm.

Weitere W.: Tirol und die Aufklärung, 1869 (anonym); Die Bedeutung der Herz-Jesu-Andacht und des Gebetsapostolates für unsere Zeit, 1869; Mensch und Thier, 1875; Die Döllinger’sche Dreikirchenidee, 1875; mehrere Beitrr. in: Wetzer und Welteʼs Kirchenlex. … 1–3, 1882–84; M. Luther und Ignatius von Loyola gegenüber der kirchl. Krise des 16. Jh., in: Z. für kath. Theol. 7–8, 1883–84; Zum Charakterbild Luthers, ebd. 14, 1890. – Josef W.: Die Gesandtschaft des Täufers an Christus, in: Österr. Vjs. für Kath. Theol. 4, 1865; Sterne in der Nacht, (1883/84, unter Ps.).
L.: Jesuitenlex.; Sommervogel; Wurzbach; Z. für kath. Theol. 9, 1885, S. 385*ff.; E. Bülow, Hundert Lebensbilder aus der Österr.-Ung. Prov. der Ges. Jesu, 1902; E. Coreth, in: Z. für kath. Theol. 80, 1958, S. 142ff.; Diccionario histórico de la Compañía de Jesús 4, 2001. – Josef W.: Adlgasser; Brümmer; Wurzbach; R. Lantschner, in: Der Schlern 54, 1980, S. 528ff. (m. B.); J. Nössing, ebd. 69, 1995, S. 492ff.
(M. Lehner)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 194f.
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