Wiesner, Adolf; bis 1833 Adolph Angelus Wiener (1806–1867), Journalist

Wiesner Adolf, bis 1833 Wiener Adolph Angelus, Journalist. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 1806; gest. New York City, NY (USA), 23. 9. 1867; mos., ab 1833 röm.-kath. Sohn von Hermann Wiener, Kaufmann aus Horschitz, und Juliane Wiener, geb. Frankel; ab 1804 verheiratet. – W. stud. ab 1828 Rechtswiss. an der Univ. Wien (1838 Absolutorium, 1840 Dr. iur.). Anfang der 1840er-Jahre erhielt er eine Anstellung bei einer Versicherung, war daneben als Hausmeister bei der Fa. Brüder Wartfeld tätig und versuchte sich kurzzeitig literar. (Drama „Inez de Castro“, Urauff. am Hofburgtheater, angebl. durch Empfehlung von →Franz Anton Gf. v. Kolowrat-Liebsteinsky, im Juli 1840). Ab 1841 war er Mitarb. des „Oesterreichischen Morgenblatts“, publ. zu den Themen Literatur, Geschichte und Volkswirtschaft in „Der Humorist“ und in den „Sonntags-Blättern“ und setzte sich eingehend mit der österr. Zensur auseinander. 1842 trat er dem Leipziger Literatenver. bei und zählte 1845 zu den Unterzeichnern der „Denkschrift über die gegenwärtigen Zustände der Zensur in Oesterreich“. Anfang 1847 ging W. nach Leipzig, im Sommer des Jahres erschien in Stuttgart „Denkwürdigkeiten der Oesterreichischen Zensur …“. Er verwies darin auf die „Austrocknung“ der österr. Presselandschaft als Folge der repressiven Zensurpraxis, auf den Import von ausländ. Ztg., gab einen Überblick über weitere zensurierte Bereiche des Kulturlebens und nannte die wichtigsten Initiativen, die zur Abschaffung der Zensur zuletzt unternommen wurden. Das Buch wurde auf Weisung von →Josef Gf. Sedlnitzky v. Choltitz sogleich mit dem schärfsten Zensurvermerk belegt. W., damals Mitarb. u. a. der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, des „Grenzboten“ und der „Deutschen Zeitung“, kehrte nach Ausbruch der März-Revolution nicht nach Österr. zurück. Von April 1848 an red. er die „Frankfurter Oberpostamts-Zeitung“, wurde aber schon im Juni wegen seiner polit. Haltung gekündigt. W., der damals in Dtld. sehr populär war, nahm im März des Jahres an der Heidelberger Versmlg. teil und wurde in das Frankfurter Vorparlament entsandt, das ihn neben →Franz Schuselka und →Ignaz Kuranda in den 50er-Ausschuss berief. Danach fungierte er als Mitgl. des Rumpfparlaments, der Konstituante und des Frankfurter Parlaments, wo er zuerst der linken Fraktion Dt. Hof und dann der ultralinken Donnersberg-Fraktion angehörte, die beide für eine Fortführung der Revolution auf demokrat. Grundlage eintraten. W. sprach sich für ein Selbstbestimmungsrecht der Völker und gegen eine Teilung Polens aus, forderte die Solidarität Dtld. ein, wo er die Grenzen der dt.sprachigen Gebiete Österr. bedroht sah, und war ein Verfechter des allg. Wahlrechts. Nach der Auflösung des Parlaments forderte ihn die österr. Regierung zur Rückkehr auf, widrigenfalls ihm die Staatsbürgerschaft entzogen würde. W. flüchtete in die Schweiz, wo er sich in Bern und Zürich im Centralkomitee für dt. Flüchtlinge engag. Hier verf. er 1850 die Streitschrift „Herr Heinrich Laube gegen Friedrich Hecker … Streiflichter über das Pamphlet: ‚Das erste deutsche Parlamentʻ“. Später ließ er sich in Genf nieder, wurde im Frühjahr 1852 ausgewiesen, kehrte kurzfristig nach Bern zurück, ehe er nach endgültiger Ausweisung nach New York übersiedelte. Hier war er vorerst für Eisenbahn- und Schifffahrtsges. tätig und gründete 1859 die kurzlebige WS „Geist der Weltliteratur“. Auch in den USA betätigte sich W. im Rahmen der dt. Turnerbewegung polit. und wurde Ende der 1850er-Jahre in Baltimore in die Führung des dortigen Turnver. gewählt. Im Oktober 1860 übernahm W. die Red. der „Turnzeitung“, die Abraham Lincoln im Wahlkampf unterstützte. W. nahm als Angehöriger einer San.einheit am amerikan. Bürgerkrieg teil, ging 1866 nach Chicago und übernahm die Red. der „Illinois Staats-Zeitung“, die er nach Einlangen der Amnestie für polit. Verfolgte 1867 niederlegte, um nach Österr. zurückzukehren, was ihm jedoch krankheitshalber nicht mehr gelang.

Weitere W.: Russ.-polit. Arithmetik …, 2 Bde., 1844.
L.: Tägl. Illinois Staats-Ztg., 28. 9., NFP, 11. (Abendbl.), 13., NWT, 12., Wr. Stadt- und Vorstadt-Ztg., 12., 13. 10. 1867; Jew. Enc.; Wurzbach; Dt. Auswanderer-Ztg. 16, 1867, S. 170; Jb. der Grillparzer-Ges. 21, 1912, S. 97f.; D. Cunz, The Maryland Germans, 1948, S. 272f., 304ff.; C. Wittke, Refugees of Revolution, 1952, S. 207, 212f., 274; H. Neumann, Die dt. Turnbewegung in der Revolution 1848–49, 1968, S. 126f.; G. Hildebrandt, Parlamentsopposition auf Linkskurs …, 1975, s. Reg.; Ph. S. Foner – R. Schultz, Das andere Amerika, 2. Aufl. 1983, S. 74f.; Wegbereiter der Publizistik in Österr., ed. M. Schmolke, 1992, S. 252ff.; H. Best – W. Weege, Biograph. Hdb. der Abg. der Frankfurter Nationalversmlg. 1848/49, 1996; St. Herrenkind, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 54, 2001, S. 188ff.; V. F. v. Andrian-Werburg, Österr. wird meine Stimme erkennen lernen … 2, ed. F. Adlgasser, 2011, S. 107, 113; AVA, Pfarre Mariahilf, UA, alle Wien.
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 197f.
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