Wilde, Joseph (1778–1831), Musiker, Kapellmeister und Komponist

Wilde Joseph, Musiker, Kapellmeister und Komponist. Geb. Friedewalde, Preußen (Skoroszyce, PL), 9. 6. 1778; gest. Wien, 2. 12. 1831; röm.-kath. Sohn des Lehrers Franz W. und seiner Frau Maria W., geb. Wenesk; ab 1804 verheiratet mit Agnes Buch (geb. Budweis, Böhmen / České Budějovice, CZ, 6. 12. 1776; gest. Wien, 12. 6. 1814). – W. kam mit seiner Familie in den 1790er-Jahren nach Wien. 1806 trat er der Wr. Tonkünstler-Societät bei, wo er als „Kirchen-Musikus“ geführt wurde, über diese Tätigkeit ist jedoch nichts bekannt. Ab 1799 war er als Musiker im Veranstaltungslokal Mehlgrube am Neuen Markt tätig und spielte hier zunächst vermutl. Geige in der Kapelle von Franz Martin Pechátschek, 1809 wurde er dessen Nachfolger als Musikdir. Darüber hinaus nahm W. auch Aufträge für private Tanzveranstaltungen an. In den folgenden Jahren entwickelte er sich zum führenden Kapellmeister und Komponisten für Tanzmusik. 1814 wurde er zum Musikdir. im Kleinen Redoutensaal ernannt und leitete während des Wr. Kongresses zahlreiche Hofbälle. 1817 trat W. mehrmals mit einem 80 Mann starken Orchester im Augarten auf. Auch bei Tanzfesten der Hocharistokratie fungierte er als Musikdir., wie bei den Fürsten Metternich-Winneburg und Rasumovsky oder bei den Gf. Bellegarde, Stuart, Stackelberg und Caramann. 1818, nach dem Tod von Joachim Höllmayer, avancierte W. zum Musikdir. im Großen Redoutensaal. Darüber hinaus leitete er Tanzveranstaltungen wie z. B. im Mondscheinsaal in der Vorstadt Wieden und 1823–25 die Bälle im Lokal (bzw. sommers im Gartensalon) Zum guten Hirten in der Vorstadt Weißgärber. 1824 feierte er seine 25-jährige Tätigkeit in der „Mehlgrube“, die er jedoch 1829 beendete. Im selben Jahr wurde →Joseph Lanner zu seinem Nachfolger als Musikdir. der Redoutensäle ernannt, W. blieb aber bis zu seinem Tod alleiniger Leiter der Hofbälle. Er schrieb zahlreiche Tanzmusik-Werke, von denen 33 verlegt wurden (fast ausschließl. von der Wr. k. k. priv. Chem. Druckerey und ihren Nachfolgefirmen S. A. Steiner & Co. und T. Haslinger). Im Verlagsverzeichnis →Tobias Haslingers von 1826 ist W. der mit Abstand erfolgreichste Komponist für Tanzmusik. Bes. Berühmtheit erlangten „Alexander’s Favorit-Tänze“ (1814), die dem tanzfreudigen Zaren Alexander I. gewidmet waren, der W. dafür mit einem Brillantring beschenkte. Viele seiner Melodien wurden ungemein populär, wie sein „Fopp-Ländler“ (1818), der bald als „Volkslied“ gesungen wurde. Wilhelm Klingenbrunner, →Maximilian Joseph Leidesdorf und →Joseph Gelinek schrieben Variationen und Bearb. seiner Werke, W. schuf aber auch selbst Tänze nach berühmten Melodien anderer Komponisten wie Gioacchino Rossini, Carl Maria v. Weber und Carl Blum. Er gilt als der erste markante Vertreter des Wr. Walzers, dessen Form und Instrumentation er wesentl. weiterentwickelte. Zudem führte er mit seinen „Pressburger Hofballtänzen“ (1825), deren Abschluss ein „Ungarischer Tanz“ bildet, den Csardas in die Wr. Tanzmusik ein.

Weitere W.: s. A. Weinmann, Vollständiges Verlagsverzeichnis Senefelder, Haslinger 1, 1979; A. Weinmann, Vollständiges Verlagsverzeichnis Senefelder, Steiner, Haslinger 2, 1980.
L.: WZ, 7. 1. 1809, 26. 7. 1817; MGG I; oeml; Allg. Musikal. Anzeiger 3, 1831, S. 196; C. F. Pohl, Denkschrift ... Tonkünstler-Societät, 1871, S. 109; H. Krenn, in: Flugschriften. Dt. Johann Strauss Ges. Mitt.bl. 17, 1994, S. 30ff.; N. Linke, in: Die Fledermaus. Mitt. 9–10, 1995, S. 78ff.; HHStA, Pfarre Am Hof, Pfarre St. Stephan, WStLA, alle Wien.
(R. Müller)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 213f.
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