Wildgans, Anton (1881–1932), Schriftsteller und Theaterdirektor

Wildgans Anton, Schriftsteller und Theaterdirektor. Geb. Wien, 17. 4. 1881; gest. Mödling (NÖ), 3. 5. 1932 (Ehrengrab: Wr. Zentralfriedhof); röm.-kath. Sohn des Min.rats Friedrich W. (geb. Jägerzeile, NÖ/Wien, 11. 5. 1847; gest. Wien, 3. 1. 1906) und der Therese W., geb. Charvat (Charvát) (gest. Wien, 5. 6. 1885), Vater des Komponisten und Klarinettisten Friedrich W. (geb. Wien, 5. 6. 1913; gest. Mödling, 7. 11. 1965); ab 1909 verheiratet mit Lilly W., geb. Würzl (geb. Hinterbrühl, NÖ, 22. 5. 1886; gest. Mödling, 21. 3. 1968). – Früh zum Halbwaisen geworden, besuchte W. das Piaristengymn. (Matura 1900) und stud. 1900–05 Jus an der Univ. Wien; 3. Staatsprüfung 1908. In seine Stud.jahre fallen das Debüt als Lyriker („Vom Wege“, 1903), eine ausgedehnte Seereise gem. mit →Arthur Trebitsch nach Portugal, den Kanaren, Nordafrika, Italien, Indien und Australien (1904–05) sowie Tätigkeiten als Hilfsred. und Privatsekr. Während seines richterl. Vorbereitungsdiensts (1909–11) veröff. er weitere Ged.bde., die hohe Aufl. erzielten („Herbstfrühling“, 1909; „Und hättet der Liebe nicht“, 1911), ehe er schließl. 1912 die im Sinne des Vaters begonnene Juristenkarriere abbrach und sich als freier Schriftsteller betätigte. 1913 erschien neben dem Lyrikbd. „Die Sonette an Ead“ ein dramat. Debüt mit dem von eigenen Erfahrungen beeinflussten Gerichtseinakter „In Ewigkeit Amen“, der die Objektivierbarkeit menschl. Schuld hinterfragt. Bei Ausbruch des 1. Weltkriegs zeigte W. Begeisterung, die auch in entsprechenden, die Kriegstugenden religiös überhöhenden Ged. wie „Das große Händefalten“ (in: Österr. Ged., 1915) zum Ausdruck kam. 1914 veröff. er mit dem Stück „Armut“ den 1. Tl. einer von Sozialkritik getragenen bürgerl. Tragödientrilogie, welchem das von der Phil. →Otto Weiningers beeinflusste Trauerspiel „Liebe“ (1916) und das um den Selbstmord eines Studenten kreisende „Dies irae“ (1918) folgten. Eine geplante Ser. von Menschheitsdramen („Kain“, „Moses“, „Christus“) blieb bis auf den ersten (1920) und ein Fragment des zweiten Tl. unausgeführt. Angesichts seiner großen Popularität als Dramenautor wurde W. 1921 die Dion. des Wr. Burgtheaters angeboten, die er aus Pflichtgefühl annahm, jedoch aufgrund von Intrigen 1922 zurücklegte („Mein Kampf gegen die Bundestheaterverwaltung“, in: NFP, 25. 3. 1923). Eine schwere persönl., künstler. und finanzielle Krise war die Folge, der W. zunächst durch Vortragsreisen und Übers.arbeit („Sonette aus dem Italienischen“, 1924) zu entkommen suchte. Unter wachsenden Gesundheitsproblemen entstand das Hexameter-Epos „Kirbisch oder Der Gendarm, die Schande und das Glück“ (1927), das die Auswirkungen des 1. Weltkriegs auf ein nö. Dorf zeigt, für welches W.ʼ jahrzehntelanges Schreibrefugium Mönichkirchen Modell stand. In dem Wr. Heimatbuch „Musik der Kindheit“ (1928) legte W. autobiograph. Erinnerungen nieder. Im selben Jahr folgten „Gedichte um Pan“. Eine Vortragsreise durch Skandinavien musste W. aus gesundheitl. Gründen absagen, die dafür verf., berühmt gewordene „Rede über Österreich“ wurde von ihm am Neujahrstag 1930 auf Radio Wien verlesen und mit Begeisterung aufgenommen. Eine davon provozierte zweite Periode als Burgtheaterdir. (1930–31) verlief anfangs erfolgreich, wurde dann jedoch von der Wirtschaftskrise und erneuten Anfeindungen überschattet. Bei der Demission, wenige Monate nach dem unter großen Feierlichkeiten begangenen 50. Geburtstag, war W. bereits vom Tod gezeichnet. In seinem Mödlinger Haus ebenso wie briefl. („Ein Leben in Briefen“, 3 Bde., ed. Lilly W., 1947) pflegte W. Austausch mit vielen Größen der Zeit, u. a. mit Gerhart Hauptmann, →Arthur Schnitzler, →Emil Reich und Stefan Zweig. Baudelaire, →Rainer Maria Rilke und →Hugo Hofmann v. Hofmannsthal waren frühe Vorbilder für W.ʼ Lyrik. Die erst naturalist., dann expressionist. geprägten Dramen nehmen klassizist. Anleihen. Die Eignung zum Nationaldichter, dessen Werke lange zum Kanon der Schulliteratur gehörten, gründet weniger auf dichter. Originalität als auf dem bedingungslosen Eintreten für die nationale Eigenständigkeit Österr. in der 1. Republik. HR (1923) W. wurde vielfach geehrt und ausgez. (u. a. 1916 Volkstheaterpreis, 1918 Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens, 1919 Ferdinand-Raimund-Preis, 1923 Ehrenzeichen der Univ. Wien, 1923 Ehrenmitgl. der ABK, 1932 Ehrenmitgl. des Wr. Burgtheaters). Seit 1962 wird von der österr. Industriellenvereinigung ein nach W. benannter Literaturpreis verliehen.

Weitere W.: Gesammelte Werke, 6 Bde., 1930–33; Sämtl. Werke, 7 Bde., ed. L. Wildgans, 1948–54. – Nachlass: Österr. Nationalbibl. (Hss.smlg.), Wien.
L.: WZ, 20. 11. 1955; AZ, 5. 5. 1957; Die Presse, 17. 4. 1981; Killy; L. Wildgans, in: NÖB 9, S. 154ff. (m. B.); R. Heger, A. W. als Dramatiker, phil. Diss. Wien, 1947; Kleines österr. Literaturlex., ed. H. Giebisch, 1948; L. Wildgans, A. W. und das Burgtheater, 1955 (m. B.); W. Bortenschlager, Dt. Dichtung im 20. Jh., 1966; H. Gerstinger, Der Dramatiker A. W., 1981; Gero v. Wilpert, Dt. Dichterlex., 3. Aufl. 1988; F. Hadriga, Drama Burgtheaterdion. Vom Scheitern des Idealisten A. W., 1989 (m. B.); C. Friedel, Der junge A. W., 2. Aufl. 1999; K. Kastberger, in: Volltext, 2018, H. 1, S. 6ff.; Homepage der A.-W.-Ges. (Zugriff 16. 1. 2020); Pfarre St. Othmar unter den Weißgerbern, UA, beide Wien; Pfarre Mödling-St. Othmar, NÖ.
(St. Winterstein)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 215f.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>