Wilhelm, Franz Joseph Karl Erzhg.von Österreich; genannt Vasyl Vyshyvany (Vyshyvannyi, Wyschiwanni) (1895–um 1948), Offizier

Wilhelm Franz Joseph Karl, Erzherzog von Österreich, genannt Vasyl Vyshyvany (Vyshyvannyi, Wyschiwanni), Offizier. Geb. Pola, Istrien (Pula, HR), 10. 2. 1895; gest. Kiew, Sowjetunion (Kyjiv, UA) oder Lager Wladimir, Sowjetunion (Vladimir, RUS), um den 18. 8. 1948; röm.-kath. Sohn des Admirals Erzhg. Karl Stephan (geb. Großseelowitz, Mähren / Židlochovice, CZ, 5. 9. 1860; gest. Żywiec, PL, 7. 4. 1933) und von Erzhgn. Maria Theresia (geb. Altbunzlau, Böhmen / Brandýs nad Labem-Stará Boleslav, CZ, 18. 9. 1862; gest. Żywiec, 10. 5. 1933), Cousin von Kgn. Maria v. Jugoslawien (geb. Gotha, Dt. Reich/D, 6. 1. 1900; gest. London, GB, 22. 6. 1961); unverheiratet. – W. wuchs an der Adriaküste auf und lernte Dt., Italien., Französ., Engl. und Poln. Nach kurzem Besuch eines Realgymn. in Wien zog er 1907 mit seiner Familie nach Galizien. Ab 1909 absolv. er die Militär-Oberrealschule in Mähr. Weißkirchen. Mit 17 Jahren lernte er auf einer Reise in die Karpatenukraine die dortige Bevölkerung, die bei den poln. Aristokraten tendenziell verachtet wurde, ihre Volkskde. sowie Geschichte kennen und schätzen. 1915 wurde W., nachdem er ab 1913 die Theresian. Militärakad. besucht hatte, dem Ulanenrgt. Nr. 13 zugeteilt. 1917 erhielt er als Rtm. das Kmdo. über einen ruthen. Truppenteil und wurde bald zum Idol dieser Soldaten, deren Sprache er sprach und die er gegen poln. Vorgesetzte verteidigte. Sein gutes Verhältnis zu den einfachen Menschen und sein Einsatz für die Zivilbevölkerung, auch mit Unterstützung seines Mentors →Andrej Szeptycki v. u. z. Szeptyce, trugen ihm den Beinamen „Roter Prinz“ ein. Daher nutzte K. →Karl W. auch als Verbindungsmann in die Ukraine, v. a. als es 1916 Überlegungen gab, dieses Gebiet als dritten Reichsteil Österr.-Ungarn anzugliedern. W.s Pläne zur Umgestaltung der Monarchie sahen hingegen einen österr., einen böhm., einen ung. und einen poln. Reichsteil, mit jeweils einem Erzhg. an der Spitze, vor. Dem poln. Reichsteil angeschlossen hätte ein Fürstentum Ukraine unter seiner Führung entstehen sollen. Mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk 1918 schien er der Umsetzung seiner Ziele nahe. So wurde die 4.000 ruthen. Soldaten umfassende Kampfgruppe Erzhg. W. aufgestellt, die während der Besetzung der Ukraine durch die Mittelmächte v. a. in den südl. Landestle. operierte. Das Dt. Reich hatte jedoch Vorbehalte gegen W.s Bestrebungen, Fürst der Ukraine zu werden, und erzwang seinen Rückzug aus dem Land. Nach Kriegsende kehrte W. mit einer kleinen Streitmacht zurück, besetzte im November 1918 Czernowitz, musste sich jedoch aufgrund des Vorrückens der Rumänen zurückziehen. Im Juni 1919 wurde er von diesen verhaftet und nach Bukarest gebracht. Nach seiner Freilassung schloss er sich der Armee der Ukrain. Volksrepublik an und versah als Obst. Dienst im Verteidigungsmin. in Kiew. Nachdem Polen den ukrain. Machthaber Symon Petljura 1920 zu einem für die Ukraine nachteiligen Friedensschluss gezwungen hatte, trat W. von seinen Ämtern zurück und floh in die Karpaten. Aufgrund einer Erkrankung nach Budapest gebracht, wurde er dort inhaftiert, kam aber auf Intervention seiner Cousine frei. W. zog nach München und errichtete dort ein Agitationsbüro zur Anwerbung ukrain. Freiwilliger. Das Projekt scheiterte aus finanziellen Gründen. Daraufhin ging er nach Spanien, wo er als Immobilienmakler arbeitete, später zog er nach Paris. 1935 wurde er in einen Finanzskandal verwickelt, der möglicherweise vom sowjet. oder tschechoslowak. Abwehrdienst inszeniert war. Um der französ. Justiz zu entgehen, floh er über die Schweiz nach Wien, wo er wieder Kontakt zu ukrain. Nationalisten aufnahm. Er verbündete sich zudem mit bayer. Rechtsradikalen, bediente sich in den 1930er-Jahren antisemit. Argumente und neigte zu faschist. Konzepten nach dem Vorbild Benito Mussolinis. Nach dem „Anschluss“ 1938 hoffte er, einen unabhängigen ukrain. Staat errichten zu können. Als jedoch offensichtl. wurde, dass Hitlerdtld. an einer unabhängigen Ukraine nicht interessiert war, begann er von Wien aus, für den brit. und französ. Geheimdienst gegen das Dt. Reich zu arbeiten, eine Tätigkeit, die er nach dem Krieg gegen die Sowjetunion gerichtet fortsetzte. Nach dem 2. Weltkrieg wurde W., der kurz zuvor eine Stelle als Geschäftsführer eines Chemiekonzerns erhalten hatte, im August 1947 vor dem Wr. Südbahnhof vom sowjet. Geheimdienst entführt, zunächst in das Internierungslager in Wr. Neustadt (bzw. Baden) gebracht, von dort nach Kiew transferiert und Ende Mai 1948 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Ab 1915 Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, nötigte ihn später Otto v. Habsburg aufgrund seines ausschweifenden Lebensstils zum Austritt aus diesem. W.s Leben wurde 2018 verfilmt.

L.: WZ, 14., 15. 2. 1895; Der Spiegel, 10. 1. 1948; Die Presse, 9. 9. 2009; V. Rasevyč, in: Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie, ed. A. Gottsmann, 2007, S. 223ff.; T. Snyder, The Red Prince, 2008 (m. B.); Kameradschaft Aktiv, 2014, Nr. 3/4, S. 2f.
(G. Vavra)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 219f.
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