Winder, Ludwig; Ps. G. A. List, Herbert Moldau (1889–1946), Schriftsteller und Journalist

Winder Ludwig, Ps. G. A. List, Herbert Moldau, Schriftsteller und Journalist. Geb. Schaffa, Mähren (Šafov, CZ), 7. 2. 1889; gest. Baldock (GB), 16. 6. 1946; mos. Sohn des Kantors und Oberlehrers an der jüd. Schule mit dt. Unterrichtssprache in Holleschau Max (Maximilian) W. (geb. Kolin, Böhmen / Kolín, CZ, 24. 7. 1854; gest. Kroměříž, Tschechoslowakei/CZ, 25. 10. 1920; begraben: Holešov, CZ), tschech.sprachiger Autor des Lustspiels „Feuilleton“ (1878) und des Ged.bd. „Básně“ (1898), und von Fanny W., geb. Loew, Vater der Germanistin, Med.historikerin und Archivarin Marianne W. (geb. Teplitz, Böhmen / Teplice, CZ, 10. 9. 1918; gest. London, GB, 6. 4. 2001); verheiratet mit Hedwig W. – 1895 übersiedelte W. mit seiner Familie nach Holleschau. 1903–07 besuchte er die dt. Handelsakad. in Olmütz und ging nach der Matura nach Wien, um für „Die Zeit“ als Berichterstatter zu arbeiten. 1909–11 wirkte er als Feuilletonred. und Schauspielreferent des „Bielitz-Bialaer Anzeigers“ in Bielitz. Danach folgten ähnl. Anstellungen in Böhmen bei der „Teplitzer Zeitung“ (1911–12) bzw. beim „Pilsner Tagblatt“ (1912). Ende 1912 wurde W. Privatsekr. des Gf. Königsegg in Wien. Kurz vor Kriegsausbruch ging er als Red. der „Bohemia“ nach Prag und hatte diese Stelle bis 1938 inne. Er nahm am kulturellen Leben des dt.sprachigen und zunehmend auch des tschech. Prag im Sinn einer konstruktiven dt.-tschech. Zusammenarbeit teil. So gründete er 1922 gem. mit →Oskar Baum und Johannes Urzidil den Schutzverband dt. Schriftsteller in der Tschechoslowakei und gehörte nach dem Tod →Franz Kafkas zum engeren Prager Kreis. Daneben war er auch mit →Egon (Erwin) Kisch befreundet und fungierte als Mentor Franz Carl Weiskopfs. Für das Feuilleton der „Bohemia“ konnte er bedeutende Autoren, nach 1933 verstärkt auch Emigranten, gewinnen. 1934 erhielt W. für das Ms. des Romans „Steffi oder Familie Dörre überwindet die Krise“ (publ. 1935) bzw. für sein literar. Lebenswerk den Staatspreis für Literatur der Tschechoslowak. Republik. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten gelang es ihm erst im Juni 1939, zusammen mit seiner Frau und einer Tochter, aus dem Protektorat Böhmen und Mähren über Polen nach England zu fliehen, zuerst nach London, später nach Reigate. Anfang 1941 ließ sich die Familie in Baldock in North Hertfordshire nieder. Trotz einer Erkrankung und großer psych. Belastung war er weiterhin literar. und publizist. tätig (Anthol. „Stimmen aus Böhmen“, 1944), u. a. in der dt.sprachigen Exilpresse („Die Zeitung“, „Einheit“), unterstützte die Arbeit des Czechoslovak-British Friendship Club und korrespondierte mit Prager Freunden und Bekannten (Rudolf Fuchs, Urzidil). W. schrieb anfangs naturalist. und impressionist. Ged. im Stil Richard Dehmels. Bekanntheit erlangte er jedoch als Autor psycholog. Romane und Erz., in denen er mit feinem Sinn für Charakterisierung der Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Ges. (bes. der Rolle der Macht, z. B. in „Der Thronfolger“, 1937) nachgeht, oft einhergehend mit einer Reflexion über die jüd. Identität, die er in der Moderne als gespalten ansah („Die jüdische Orgel“, 1922; „Hugo, Tragödie eines Knaben“, 1924). Eine bes. Stellung nehmen in seinem Werk sozialkrit. Romane ein („Die nachgeholten Freuden“, 1927) sowie solche, die das Dilemma zwischen Passivität und Widerstand behandeln („One manʼs answer“, 1944, dt. als „Die Pflicht“, 1949). W. schrieb daneben auch Dramen (u. a. „Doktor Guillotin“, 1924, Urauff. am Wr. Burgtheater 1925).

Weitere W.: Ged., 1906; Das Tal der Tänze, 1910; Die rasende Rotationsmaschine, 1917; Kasai, 1920; Die Reitpeitsche, 1928; Dr. Muff, 1931; Der Kammerdiener, ed. J. Serke, 1988; Die Novemberwolke, ed. D. Sudhoff, 1996; Geschichte meines Vaters, ed. D. Sudhoff, 2000. – Nachlass: Dt. Literaturarchiv, Marbach am Neckar, D; Leo Baeck Inst., London, GB.
L.: Giebisch–Gugitz; Hdb. der Emigration; Jüd. Lex.; Killy; Kosch; F. Jaksch, Lex. sudetendt. Schriftsteller … 1900–29, 1929; P. Reimann, in: Tvorba 15, 1946, S. 429f.; W. Sternfeld, in: Aufbau 12, 1946, Nr. 26, S. 10; Zpravodaj muz. Kroměřížska, 1990, Nr. 3, S. 13ff., 1991, Nr. 2, S. 34f.; Lex. dt.mähr. Autoren, ed. I. Fiala-Fürst – J. Krappmann, 2002; A. A. Gassmann, Lieber Vater, lieber Gott?, 2003, S. 31ff., 37ff., 206ff.; J. Broukalová, L. W. als Dichter der menschl. Seele und der Wirklichkeit, 2008; Ch. I. Spirek: Von Habsburg bis Heydrich, 2008; R. Grebeníčková, O literatuře výpravné, ed. M. Špirit, 2015, s. Reg.; K. Krolop, L. W., ed. J. Krappmann – J. Czmero, 2015.
(V. Petrbok)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 242f.
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