Windisch-Graetz (Windisch-Grätz, Windischgrätz), Alfred Fürst zu (1851–1927), Politiker und Großgrundbesitzer

Windisch-Graetz (Windisch-Grätz, Windischgrätz) Alfred Fürst zu, Politiker und Großgrundbesitzer. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 31. 10. 1851; gest. Tachov, Tschechoslowakei (CZ), 23. 11. 1927 (begraben: Kladruby, CZ); röm.-kath. Enkel von →Alfred Candidus Ferdinand Fürst zu W.-G., Sohn des FML und Ritters des Ordens vom Goldenen Vlies (1868) Alfred Joseph Fürst zu W.-G. (geb. Wien, 28. 3. 1819; gest. Tachau, Böhmen / Tachov, CZ, 28. 4. 1876) und von Hedwig Fürstin zu W.-G., geb. Prinzessin v. Lobkowitz (geb. Lemberg, Galizien / L’viv, UA, 15. 9. 1829; gest. Tachau, 19. 10. 1852), Vater von Vincenz Alfred Prinz zu W.-G. (s. u.), Cousin von Ludwig Alfred Victorin Prinz zu W.-G. (geb. Krakau, Galizien / Kraków, PL, 20. 10. 1882; gest. Wien, 4. 2. 1968), Onkel von Ludwig Aladár Fürst zu W.-G. (geb. Sárospatak, H, 4. 12. 1908; gest. Lindenberg im Allgäu, D, 3. 5. 1990); ab 1877 verheiratet mit Maria Gabriela Eleonore Fürstin zu W.-G., geb. Prinzessin v. Auersperg (geb. Wien, 21. 2. 1855; gest. Tachov, 1933). – W.’ frühe Erziehung und Ausbildung standen unter der Leitung des Prager Priesters Wenzel Schmid. Anschließend besuchte er das Wr. Schottengymn. und stud. Jus an der Univ. Bonn (1869–71) sowie an der Univ. Prag (1871–77); 1877 Dr. iur. ebd. 1879 nahm W. den erbl. Sitz in der Kammer der Standesherren in Württemberg sowie im HH des RR ein, wo er als Mitgl. der Rechten 1892/93 als 2. Vizepräs. und 1897–1918 als letzter Präs. tätig war. 1883 erfolgte seine Ernennung zum ständigen Mitgl. des Reichsgerichts. Im selben Jahr Mitgl. des böhm. LT, vertrat W. eine ausgeprägte nationale Konsenspolitik. Aus Protest gegen die Verschleppung eines Ausgleichs durch die Tschechen legte er 1892 sein Mandat nieder. Durch sein vielseitiges Engagement und seine profunden jurid. Kenntnisse stieg er in die Elite des österr. Parlamentarismus auf. Seine Haltung war bestimmt von ausgeprägtem Rechtsgefühl, bedingungsloser Loyalität gegen K. und Staat sowie von tiefer Religiosität. Pedanterie, begrenzter Initiativgeist und geringe Durchschlagskraft bildeten häufige Kritikpunkte. 1893–95 war W. Ministerpräs. einer Koalitionsregierung aus Vereinigter Dt. Linken, Konservativen (Hohenwartklub), Polenklub und drei weiteren kleinen Fraktionen. Trotz einer Zweidrittelmehrheit und einer Ausgrenzungspolitik gegenüber den Jungtschechen konnte W. wegen der divergierenden Interessen der Regierungsparteien nur wenige Vorhaben durchbringen (Budget, Wehrvorlage, Fortsetzung des Ausnahmezustands mit Aufhebung der Geschworenengerichte in Prag, Reform der Zivilprozessordnung). Die Verwirklichung seines wichtigsten Anliegens, der Einführung eines allg., wenn auch nicht gleichen Wahlrechts durch Bildung einer neuen Wählerkl., scheiterte ebenso wie die seit Jahren forcierte Reform des Strafgesetzes und des Steuerwesens. Zum unvermuteten Sturz des Kabinetts führte schließl. die budgetäre Bewilligung der bereits 1888 zugesagten Einrichtung von slowen. Parallelkl. am dt. Untergymn. in Cilli, woraufhin die Linke die Koalition verließ. Obwohl vom Militärdienst befreit, meldete sich W. 1887 zur Landwehr, wurde im selben Jahr Lt., 1889 Oblt., 1895 Hptm. 2. Kl., 1901 Mjr.; im 1. Weltkrieg freiwillige Kriegsdienstleistung als Ordonnanzoff. in Serbien und Kmdt. der Militärstrafanstalt Theresienstadt, 1915 Obstlt., 1916 Titel und Charakter eines Obst. W.’ polit. Tätigkeit drängte seine Mitwirkung an der Verwaltung der Besitzungen des Hauses in den Hintergrund. Diese umfassten rund 30.000 ha und lagen in Böhmen (Tachau, Stěkna, Kladrau), in der Stmk. (Rohitsch) und in Ungarn (Korlátkő). Dazu kamen die ehemalige Standesherrschaft Eglofs in Württemberg sowie je ein Palais in Prag und Wien. 1910 rangierte W. zwar auf Platz 99 der 929 Wr. Millionäre, hatte aber Schulden von rund fünf Mio. Kronen. Nach 1918 verlor er im Zuge der Bodenreform in der Tschechoslowakei ein Drittel seines sanierungsbedürftigen Grundbesitzes (rund 9.500 ha). W., der die tschechoslowak. Staatsbürgerschaft ablehnte, übertrug die Verwaltung des Besitzes seinen drei Schwiegersöhnen und seinem Vetter Ludwig. Dessen Verurteilung (und Begnadigung) wegen der Francs-Fälschungsaffäre sowie komplizierte testamentar. Verfügungen des greisen W. schufen in der Familie eine angespannte Atmosphäre und bildeten für seinen Neffen und Erben Ludwig Aladár, den Sohn Ludwigs, eine große Herausforderung, bis 1946 die staatl. Beschlagnahme seines gesamten Besitzes in der Tschechoslowakei und in Ungarn erfolgte. W. erhielt 1884 den Orden vom Goldenen Vlies. Sein Sohn, der Diplomat Vincenz Alfred Prinz zu W.-G. (geb. Tachau, 3. 9. 1882; gest. Rom/Roma, I, 28. 3. 1913, Suizid, begraben: Kladruby, CZ; röm.-kath.), wurde 1907 wegen einer unstandesgemäßen Liaison und hoher Schulden als prov. Attaché nach Washington entsandt. Als Lt. der Res. des Dragonerrgt. Nr. 14 traf er im März 1908 dort ein. 1909 wurde er als Gesandtschaftsattaché nach Sofia dienstzugeteilt und schließl. 1911 nach Rom versetzt, wo er wegen seiner unglückl. Liebe seinem Leben ein Ende setzte.

L. (tw. auch für Vincenz zu W.-G.): NFP, 24. 11. 1927; Habsburgermonarchie 7/1, s. Reg.; Wurzbach; P. v. Radics, in: Österr.-Ung. Revue 16, 1894, S. 95ff.; E. Mack, A. Fürst zu W.-G. 1851–1927, 1929; A. J. Rességuier, in: Jb. der Vereinigung kath. Edelleute in Österr., 1929, S. 57ff.; H. Stekl – M. Wakounig, W.-G., 1992, s. Reg. (m. B.); AVA, Wien.
(H. Stekl)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 243f.
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