Winiwarter, Georg Ritter von (1822–1902), Fabrikant

Winiwarter Georg Ritter von, Fabrikant. Geb. Lemberg, Galizien (L’viv, UA), 21. 7. 1822; gest. Graz (Stmk.), 2. 7. 1902; röm.-kath. Sohn von →Joseph Ritter v. W. und Franziska Winiwarter, geb. v. Holfeld (geb. Lemberg, ca. 1792; gest. Wien, 3. 11. 1833), Bruder von →Joseph Maximilian Ritter v. W. (s. u. Joseph Ritter v. W.), Onkel von →Julius v. Hochenegg und →Carl Hochenegg; ab 1858 mit der Engländerin Elisabeth Andrews (geb. 20. 3. 1830; gest. Graz, 28. 6. 1909), Nichte und Teilerbin des Mitbegründers der Ersten k. k. privilegierten Donau-Dampfschiffahrts-Ges. John Andrews, verheiratet. – W. absolv. die phil. Jgg. an der Univ. Wien und stud. 1840–44 an der Techn. Abt. des polytechn. Inst. ebd. Da er sich ursprüngl. dem Maschinenbau widmen wollte, arbeitete er in verschiedenen Fabriken in Preußen, bis das Revolutionsjahr 1848 seine Pläne vereitelte. Im Juli jenes Jahres erhielt er die Lehrbefugnis für konstruktive Mechanik am polytechn. Inst. in Wien. Unter dem Eindruck der sozialen Missstände publ. W. die Schrift „Drei Vereine als Hilfsmittel für die gewerbetreibende und arbeitende Bevölkerung in jetziger bedrängter Zeit“ (1848), worin er die Gründung eines Schuldentilgungsver., einer Sparges. sowie eines Arbeiterver. vorschlug. Seine Berufslaufbahn begann er 1849 bei den Staatsbahnen, zunächst als Ing.ass., dann als Ing. II. Kl. in der Gen.baudion. Daneben war er in der Verwaltung des neu gegr. Österr. Ing.-Ver. tätig (ab 1850 Mitred., 1851 verantwortl. Red. der Ver.-Z., Mitgl. bis 1877). Mit Jahresende 1850 verließ er den Staatsdienst, um eine eigene Fabrik zu gründen. Er erwarb ein Werksgelände in Gumpoldskirchen und gewann als Geschäftspartner seinen Bruder sowie den Chemiker Friedrich Hermann Raphael Frh. v. Gersheim, während er selbst die techn. Leitung übernahm. 1851 erhielten sie die Landesfabriksbefugnis. In der Anfangszeit des als Fa. Winiwarter & Gersheim protokollierten Unternehmens wurden sog. Perkussionszünder – Gewehrzünder ohne Metallhülle, eine Erfindung Gersheims – sowie „galvanisiertes“ Eisen und Eisenblech erzeugt. W.s Werk stellte als erstes der Monarchie verzinkte Bleche her, ein Verfahren, das W. 1849 auf der Pariser Weltausst. kennengelernt hatte. Es erlaubte die Herstellung von Blechdächern ohne Dachstuhl, Schornsteinen aus verzinktem Eisenblech oder Kesseln. Nachdem W. die Bleiwarenfabrik von Ludwig Ritter v. Bohr in Kottingbrunn erworben und mit dem Gumpoldskirchner Werk vereinigt hatte, kam 1856 als Produktionszweig die Erzeugung von Bleirohren, Bleiplatten und verzinkten Eisendrähten hinzu. Nach dem Ausscheiden Gersheims 1859 firmierte die Fabrik als J. & G. Winiwarter (ab 1865 G. Winiwarter), und W. bewarb in Ztg. zusätzl. ein Ziviling.-Büro in Wien. Erfolgreich beteiligten sie sich 1862 an der Londoner Weltausst., u. a. mit einem feuer- und einbruchssicheren „Comptoir“, einem Häuschen aus verzinktem Eisenblech, das vollständig eingerichtet und für Kaufleute in den Kolonien gedacht war. Eine von ihm konstruierte Lochmaschine brachte W. eine ehrenvolle Erwähnung, und weitere Produkte wie Blechtafeln, Geschirre, Nägel etc. eine Medaille. Die zahlreichen Patente W.s umfassten u. a. einen Eisenbahnwagen aus Eisenblech, Dampfkessel sowie die Winiwarter’schen Bogendächer, die bei zahlreichen Nutzbauten in der Monarchie verwendet wurden. Neben Spenglerwaren wie Wassereimern, Gießkannen oder Sitzbadewannen lieferte die Fa. aber auch Kesselanlagen, Öfen und Herde. Wiederholt beschäftigte W. die Reform der Technikerausbildung, da die polytechn. Inst. die zur Berufsausübung nötigen handwerkl. Fähigkeiten nicht vermittelten. 1861 bewarb er schließl. in Ztg. eine mit seiner Fabrik in Zusammenhang stehende gewerbl. Fachschule für Metallarbeiter und Maschinenbauer, doch gibt es keine Hinweise, dass diese den Betrieb aufgenommen hat. Hingegen machte er sich 1870–72 als Gmd.rat und Obmann des Ortsschulrats um die Verbesserung der Schulsituation in Gumpoldskirchen verdient (Schule im Adlerhof). Aus seiner Fa. zog er sich ab 1872 krankheitsbedingt schrittweise zurück und lebte zuletzt als Privatier in Graz. Firmeninhaber wurde 1890 der langjährige Prokurist →Johann Baptist Ulrich. Ein Freund der Familie war →Joseph John Ruston (I.), dem W. aus Dankbarkeit für seine Unterstützung eine Publ. widmete.

Weitere W.: Galvanisirtes Eisen, dessen Ursprung und Verwendung …, 1852; Gewerbl. Hantierungen in der Jugend zu erlernen ist ein Bedürfniss unserer Zeit, 1861; Mnemosyna. Ein Lesebuch für Realschulen, 1881, 2. Aufl. unter dem Titel Gesammelte Aufsätze techn. Inhalts, 1881; Zweite Ser. … Beitrr. zu einer rationellen Haushaltungskde. für Mädchenschulen, 1883.
L.: Wurzbach (s. u. Joseph v. W.); ZÖIAV 3, 1851, S. 8, 4, 1852, S. 44, 54, 1902, S. 499; A. Demarteau, Verzinktes Eisenblech und dessen mannigfache Verwendung …, 1862; Die k. k. TH in Wien 1815–1915, 1915, s. Reg.; R. Granichstaedten-Cerva u. a., Altösterr. Unternehmer, 1969; J. Hagenauer, in: Heimatkundl. Beil. zum Amtsbl. der Bez.hptm.schaft Mödling 24, 1988, F. 3 (m. B.); J. Hagenauer, Gumpoldskirchen, 2000, S. 53 (m. B.); TU, Wien; Pfarre Graz-St. Leonhard, Stmk.
(E. Offenthaler)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 248f.
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