Winkler, Emil Oskar (1835–1888), Bautechniker

Winkler Emil Oskar, Bautechniker. Geb. Falkenberg, Preußen (Niemodlin, PL), 18. 4. 1835; gest. Friedenau, Dt. Reich (Berlin, D), 27. 8. 1888; evang. Sohn des Revierförsters Leberecht W. und seiner Frau Juliane Wilhelmine W., geb. Beckmann; ab 1863 mit Clara Helene W., geb. Crentz, verheiratet. – W. besuchte das Gymn. in Torgau, das er jedoch vorzeitig verließ, um eine Maurerlehre zu beginnen. Danach bezog er die Baugewerkschule Holzminden und begann im Frühjahr 1854 ein Stud. am Polytechnikum Dresden; 1856 Reifezeugnis. Nach Absolv. des Polytechnikums 1858 publ. W. noch im selben Jahr über die Festigkeit gekrümmter Körper, trat als Hilfsing. in die sächs. Wasserbaudion. zu Dresden ein und wurde 1861 von der Univ. Leipzig mit einer Diss. über ein Thema aus der Erddrucktheorie prom. 1861–65 Ass. am Dresdner Polytechnikum, lehrte W. ab 1863 bei Johann Andreas Schubert den Entwurf von Ing.bauten. Während seiner Ass.zeit publ. er 1862 über Durchlaufträger und errechnete Tabellen (Winklersche Zahlen), unterrichtete Mathematik und Physik an der neu gegr. Gewerbeschule in Dresden und dann an der Lehr- und Erziehungsanstalt für Knaben in Friedrichstadt – Dresden. Im Herbst 1865 wurde er zum Prof. für Ing.baukde. am Prager Polytechn. Inst. berufen. Dort entstand mit „Die Lehre von der Elasticität und Festigkeit …“ (1867) sein theoret. Hauptwerk, das die Baustatik elastizitätstheoret. fundieren und deren klass. Phase (1875–1900) vorbereiten sollte. W. publ. in Prag u. a. die Grundlagen der Theorie des elast. gebetteten Balkens (Winklersche Bettung) und die Theorie der Einflusslinien. Letztere bildete den Kristallisationskern der klass. Theorie des Brückenbaus, die W. nach seiner 1868 erfolgten Ernennung zum o. Prof. für Eisenbahnbau und konstruktive Tle. des Brückenbaus am polytechn. Inst. in Wien daselbst mit seinen „Vorträgen über Brückenbau“ vorantrieb. Mit dem im selben Jahr zum Prof. für Brückenbau und Theorie des Brückenbaus berufenen →Georg Rebhann verfügte Wien über ein in produktiver Konkurrenz wirkendes Duo, das die Wr. Schule des Brückenbaus begründete, der W.s Ass. →Joseph Melan später zum internationalen Durchbruch verhelfen sollte. Die als Ms. gedruckten „Vorträge über Brückenbau“ erschienen 1869–77. 1872 begann W. mit deren Publ. – ein Vorhaben enzyklopäd. Rangs, das W. aufgrund des enorm expandierenden Brückenbaus im Übergang von seiner Etablierungs- (1850–75) zur Vollendungsphase (1875–1900) nicht im Alleingang umsetzen konnte (von zwölf geplanten He. veröff. er ledigl. fünf), zumal er noch seine Vorträge über Eisenbahn- und Tunnelbau sowie – aus Anlass der Wr. Weltausst. 1873 – seinen umfangreichen „Technischen Führer durch Wien“ veröff. Die disziplinäre Ausdifferenzierung des Bauing.wesens ging auch an W. nicht spurlos vorüber. Da sich das Kollegium an der TH Wien weigerte, den Eisenbahnbau vom Brückenbau zu trennen, nahm er 1877 den Ruf auf die Professur für Statik der Baukonstruktionen und Brückenbau der Berliner Bauakad. (ab 1879 TH Berlin-Charlottenburg) an. Dort führte er sein Publ.projekt über Brückenbau fort und ed. seine „Vorträge über Statik der Baukonstruktionen“ als gedrucktes Ms. In seinen 1879 und 1880 gehaltenen Vorträgen im Architekten-Ver. zu Berlin über die Lage der Stützlinie im Gewölbe vollendete W. die Elastizitätstheorie der Gewölbe (Winklerscher Satz). 1881 wurde er für ein Jahr zum Rektor der TH Berlin-Charlottenburg gewählt. Mitte der 1880er-Jahre verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends, sodass W. Ende 1886 seine Lehr- und Publ.tätigkeit aufgeben musste. 1888 verlieh ihm die Univ. Bologna die Ehrendoktorwürde.

Weitere W. (s. auch Knothe, 2004): Beitrr. zur Theorie der continuirl. Brückenträger, in: Der Civiling. 8, 1862; Vortrag über die Berechnung der Bogenbrücken, in: Mitth. des Architekten- und Ing.-Ver. für Böhmen 3–4, 1868–69; Neue Theorie des Erddruckes …, 1872; Wahl der zulässigen Inanspruchnahme der Eisenconstructionen mit Rücksicht auf die Wöhler’schen Festigkeits-Versuche …, in: ZÖIAV 29, 1877; Deformationsversuche mit Kautschuk-Modellen, in: Der Civiling. 24, 1878.
L.: J. Melan, in: ZÖIAV 40, 1888, S. 186f.; H. Zimmermann, in: Zentralbl. der Bauverwaltung 8, 1888, S. 387f.; A. Goering, in: Z. des Architekten- und Ing.-Ver. zu Hannover 34, 1888, Sp. 701ff.; N. Belelubsky, in: Rigasche Ind.-Ztg. 14, 1888, S. 205ff., 217ff.; Die k. k. Dt. TH in Prag 1806–1906, red. F. Stark, 1906, S. 54, 372 (m. B.); 150 Jahre TH in Wien 1815–1965, ed. H. Sequenz, 1, 1965, S. 247ff. (m. B.); K. Knothe – D. Tausendfreund, in: 1799–1999. Von der Bauakad. zur TU Berlin, ed. K. Schwarz, 2000, S. 164ff. (m. B.); K. Knothe, Fiedlerbriefe und Bibliographie E. W.s, 2004; K.-E. Kurrer, The History of the Theory of Structures, 2018, S. 465ff., 1081 (m. B.).
(K.-E. Kurrer)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 253f.
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