Winkler, Franz (1890–1945), Politiker und Funktionär

Winkler Franz, Politiker und Funktionär. Geb. Zwickau, Böhmen (Cvikov, CZ), 20. 3. 1890; gest. Graz (Stmk.), 16. 10. 1945. Aus einer Bauernfamilie stammend; verheiratet mit Anna W. – W. besuchte die Ackerbauschule in Böhm. Leipa und die landwirtschaftl. Mittelschule in Kaaden. Zunächst Gutsbeamter in Böhmen, war er 1913–18 Beamter im Tiroler Landeskulturrat und ab 1918 Pflanzeninsp. des Landes Stmk. in Graz. Nach dem Kriegsdienst engag. sich W. im Dt. Bauernbund für Stmk. und war aktiv am Aufbau der 1922 gegr. agrar.-ständ. Partei Landbund für Österr. beteiligt. 1920–30 Landesrat in der stmk. Landesregierung und LT-Abg., präsentierte er beim Reichsparteitag des Landbunds in Klagenfurt 1925 das neue Organisationsstatut. 1930–34 Nationalratsabg., trat W. nach den letzten freien Nationalratswahlen in Österr. im Dezember 1930 für den Landbund als Innenminister in die Regierung von →Otto Ender ein. Im Juni 1931 weigerte sich W., die Haftung der Bundesregierung für die Schulden der Creditanstalt zu akzeptieren, und stürzte sie damit. In der folgenden Regierung von Bundeskanzler →Karl Buresch übernahm er neuerl. das Innenmin. Im Kabinett Buresch II wurde er 1932 zusätzl. noch Vizekanzler. Unter neuerl. Androhung des Regierungsaustritts konnte W. seine Forderungen nach einem umfassenden Zollschutz für die einheim. Viehproduktion durchsetzen. Nach dem Rücktritt der Regierung übernahm er im Mai 1932 im Kabinett Dollfuß I die Ämter des Vizekanzlers und des Innenministers, zeitweise auch die wirtschaftspolit. Agenden. Er erwies sich als verlässl. Koalitionspartner und stimmte mit dem Landbund für die Lausanner Anleihe. 1933 beim 9. Reichsparteitag des Landbunds in Eisenstadt zum Parteiobmann gewählt, sah W. den Landbund als Mittelweg zwischen Nationalsozialismus und Heimwehrfaschismus. Nach der in der sog. Trabrennplatzrede von →Engelbert Dollfuß im September 1933 angekündigten Schaffung eines christl.-ständ.-autoritären Staats und der Gründung der Vaterländ. Front weigerte sich W. mit seinem Landbund, diesem korporativ beizutreten, und wollte mit der Schaffung der Nationalständ. Front (1933) einen eigenständigen Weg beschreiten. Er war zwar für den Kampf gegen die Nationalsozialisten, aber auch für die prinzipielle Beibehaltung eines demokrat.-parlamentar. Systems, ergänzt durch ständ. Elemente. Durch die Ablehnung der Maiverfassung kam es zum Bruch mit Dollfuß. Im Zuge der Regierungsumbildung im September 1933 mussten die Parteienvertreter W., →Carl Vaugoin und Vinzenz Schumy aus der Regierung Dollfuß ausscheiden. Im Mai 1934 wurde unter dem Vorsitz W.s von der Reichsparteileitung die Auflösung des Landbunds als Partei beschlossen. Nach dem Scheitern der Nationalständ. Front entschied sich W. mit der Mehrzahl der Landbündler für die nationale, Schumy und seine Gefolgsleute für die ständ. Richtung. Mit dem Großteil der Reste des Landbunds schloss W. – obwohl lange Jahre ein scharfer Kritiker →Adolf Hitlers – ein Abkommen mit der NSDAP, in dem der Landbund in dieselbe überführt wurde. Nach einem Treffen mit dem Chefkoordinator des nationalsozialist. Putschs, Rudolf Weydenhammer, reiste W. nach Prag, um dort für diplomat. Flankenschutz zu sorgen. Er erklärte in der Tschechoslowakei, dass es bei seiner Abreise keinerlei Anzeichen für Unruhen gegeben habe. Den Vorwurf der Involvierung in die Vorbereitungen des gescheiterten Juliputschs wies er mehrfach öff. zurück, obwohl sein Name auf einer angebl. Ministerliste der Putschisten für eine Regierung unter einem Bundeskanzler →Anton Rintelen d. J. zu finden war. 1935 wegen Verdachts auf Hochverrat angeklagt, blieb W. in der Tschechoslowakei und veröff. während eines kurzfristigen Aufenthalts in der Schweiz 1935 sein Buch „Die Diktatur in Österreich“. 1936 aus Österr. ausgebürgert, kehrte er erst nach dem „Anschluss“ zurück. 1938 geschäftsführender Verw.R. der Wr. Ankerbrotwerke, wurde W. noch im selben Jahr wegen eines Korruptionsskandals seines Amts enthoben und schließl. Betriebsleiter einer Fabrik für wärmetechn. Apparaturen in Groß-Enzersdorf.

L.: Kleine Volksztg., 25. 2., Prager Tagbl., 26., Neues Wr. Journal., 28. 7., 1. 8. 1936; Grazer Volksztg., 21., Wr. Kurier, 25. 10. 1945; H. Scheuch, F. W., phil. Diss. Wien, 1987; Biograph. Hdb. der österr. Parlamentarier 1918–93, 1993; F. Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie, 1993, S. 152f.; A. Haas, Die vergessene Bauernpartei, 2000, s. Reg.; R. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, 2001, S. 514ff.; K. Bauer, Hitlers zweiter Putsch, 2014, S. 19; Ch. Klösch, Zerrieben zwischen Nationalsozialismus und Austrofaschismus (online, Zugriff 27. 10. 2019).
(F. Schausberger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 255f.
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