Winter, Gustav (Franz Ferdinand) (1846–1922), Archivar und Rechtshistoriker

Winter Gustav (Franz Ferdinand), Archivar und Rechtshistoriker. Geb. Znaim, Mähren (Znojmo, CZ), 27. 2. 1846; gest. Wien, 30. 5. 1922; röm.-kath. Enkel des Znaimer Wundarztes und Numismatikers Franz Rinnerer (1790–1864), Sohn des Gymn.prof. Ignaz W. (gest. 1881); ab 1875 verheiratet mit Leopoldine W. (s. u.). – W. besuchte nach privatem Elementarunterricht 1855–63 das Gymn. der Theresian. Akad. in Wien, an dem sein Vater seit 1851 unterrichtete. Nebenbei erlernte er im Selbststud. Stenographie sowie Französ. und Engl. Auf Wunsch seines Vaters stud. er 1863–67 Rechtswiss. an der Univ. Wien, wobei die Vorlesungen →Heinrich Siegels zum dt. Recht und seiner Geschichte für W.s späteres wiss. Wirken bestimmend waren. Seinen breit gefächerten Interessen ging er in germanist. Vorlesungen von →Franz Pfeiffer, →Wilhelm Scherer und →Karl Tomaschek, med. Vorlesungen bei →Karl Frh. v. Rokitansky und →Josef Hyrtl und geolog. bei →Eduard Sueß nach. 1870 wurde er an der Univ. Graz zum Dr. iur. prom. W. betätigte sich auch als Kammerstenograph des nö. LT, des österr. AH und der Delegationen. Mit seinem Eintritt in das HHStA 1871 fand W. seine ideale Wirkungsstätte. 1888 Staatsarchivar, 1892 Sektionsrat und Vizedir., 1897 Dir. des HHStA, erwarb er sich Verdienste bes. um den Neubau des Archivs am Minoritenplatz, der nach seinen Vorstellungen 1899–1902 ausgeführt wurde. 1907 Sektionschef, trat er 1909 i. d. R., um sich gänzl. seiner wiss. Arbeit zu widmen. Hierbei befasste sich W. vornehml. mit rechtsgeschichtl. Quellen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, so dem „Urbar des Passauischen Domcapitels von c. 1230“ (Archiv für österr. Geschichte 53, 1875), den „Urkundlichen Beiträgen zur Rechtsgeschichte ober- und niederösterreichischer Städte, Märkte und Dörfer vom XII. bis zum XV. Jahrhundert“ (1877) und dem „Wiener-Neustädter Stadtrecht des XIII. Jahrhunderts“ (Archiv für österr. Geschichte 60, 1880), wobei ihm der Nachweis gelang, dass dieses nicht ein Privilegium Hg. Leopolds VI. war, sondern eine in der Stadt selbst entstandene, nicht sanktionierte Kompilation. Im Auftrag der k. Akad. der Wiss. in Wien übernahm W. 1875 die Hrsg. der nö. Weistümer, welche er in 4 Bde. 1886–1913 ed. 1886 wurde er zum k. M. und 1898 zum w. M. der k. Akad. der Wiss. gewählt, wirkte 1902–14 als Obmann der Komm. zur Hrsg. der Nuntiaturberr. aus Dtld. und der Trienter Konzilskorrespondenz und 1908–22 als Obmann der Vereinigten Weistümer- und Urbarkomm. sowie als Mitgl. zahlreicher weiterer Komm. W. war ab 1876 Mitgl. der rechtshist. Staatsprüfungskomm. der Univ. Wien, ab 1877 Mitgl. der Central-Comm. für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und hist. Denkmale sowie ab 1864 Mitgl., 1878–1902 Mitgl. des Ausschusses und 1914 Ehrenmitgl. des Ver. für Landeskde. von NÖ. Er wurde mit dem Kleinkreuz des St. Stephan-Ordens (1904) und dem Großkreuz des Franz Joseph-Ordens (1909) ausgez. Seine Frau Leopoldine W. (geb. Graz, Stmk., 1. 10. 1854; gest. Wien, 12. 2. 1945; röm.-kath.) war die Tochter des Oberinsp. der k. k. priv. Südbahnges. Leopold Winter. Sie wirkte ab 1884 als Vorstandsmitgl. und von 1922 bis zur Auflösung des Ver. 1938 als Präs. des Wr. Frauen-Erwerb-Ver. sowie 1923–35 als Vors. des Verbands der Schul-Erhalter gewerbl. Frauenberufsschulen Österr. Für ihre Verdienste um die Förderung des Mädchenbildungswesens wurde sie 1926 mit dem Österr. Silbernen Ehrenzeichen geehrt.

Weitere W.: Die Gründung des k. und kgl. Haus-, Hof- und Staatsarchivs. 1749–62, in: Archiv für österr. Geschichte 92, 1903; Das neue Gebäude des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs zu Wien, 1903. – Teilnachlässe: HHStA, ÖAW, beide Wien.
L.: H. Voltelini, in: Almanach Wien 73, 1923, S. 192ff. (m. B.); H. Voltelini, in: NÖB 4, S. 121ff.; H. Voltelini, in: Monatsbl. des Ver. für Landeskde. von NÖ 21, 1922, S. 46ff.; H. Voltelini, in: Z. des Ver. für die Geschichte Mährens und Schlesiens 26, 1924, S. 83ff.; H. Voltelini, in: Aus dt. Gauen 4, 1924, S. 102ff., 125ff.; L. Groß, in: Archival. Z. 35, 1925, S. 299ff.; F. Huter, in: L. Bittner, Gesamtinventar des Wr. Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1, 1936, S. 157ff.; W. Leesch, Die dt. Archivare 1500–1945, 2, 1992; F. Fellner – D. A. Corradini, Österr. Geschichtswiss. im 20. Jh., 2006; ÖAW, Wien. – Leopoldine W.: NWT, 4. 4. 1945; Emődi; BiografiA. Lex. österr. Frauen 3, 2016.
(D. A. Corradini)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 260f.
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