Winterberg, Heinrich (1867–1929), Gynäkologe, Pathologe und Kardiologe

Winterberg Heinrich, Gynäkologe, Pathologe und Kardiologe. Geb. Reichenberg, Böhmen (Liberec, CZ), 11. 5. 1867; gest. Wien, 24. 1. 1929; mos. Sohn des Wilhelm W. (1837–1914), Besitzer der Zuckerfabriks-AG in Wegstädtl, und der Karoline W., geb. Heller (1843–1918), Bruder u. a. von Klara W. (geb. 1866; gest. Ghetto Theresienstadt, Protektorat Böhmen und Mähren/CZ, 1943), die mit dem Fabrikanten Alfred Urbach verheiratet war, und der Photographin Marie W., verheiratete Reiser (geb. 1873; gest. Vernichtungslager Treblinka, Gen.gouvernement/PL, 1942), Vater des Hausbesitzers Gustav W. (geb. 1902; gest. KZ Auschwitz, Dt. Reich/PL, 1942); verheiratet mit der Fabrikantentochter Irma W., geb. Hirsch (1877–1941). – W. stud. ab 1886 Med. an der dt. Univ. Prag; 1892 Dr. med. Danach übersiedelte er nach Wien, wo er ab 1893 an der I. Geburtshilfl.-gynäkolog. Univ.-Klinik unter →Rudolf Chrobak zum Facharzt für Gynäkol. ausgebildet wurde. Ab 1895 führte er eine eigene Praxis in Wien. Daneben forschte er auf dem Gebiet der experimentellen Pathol. und war an der med. Abt. der Krankenanstalt Rudolfstiftung unter Rudolf v. Limbeck und später am dortigen patholog.-chem. Laboratorium unter Ernst Freund sowie bei →Richard Paltauf tätig. 1898 begann seine über eineinhalb Jahrzehnte andauernde fruchtbare Zusammenarbeit mit →Karl Julius Rothberger. Beide waren mit rein bakteriolog. Arbeiten bald nicht mehr zufriedengestellt und wechselten an das Inst. für allg. und experimentelle Pathol. der Univ. Wien zu →Philipp Knoll. Dieser beauftragte W. mit der Untersuchung des Zungenflimmerns, das beim Hund nach der Durchschneidung des Nervus hypoglossus auftritt, ein Thema, das für W.s spätere kardiolog. Pionierarbeit richtungsweisend war. 1902 habil. er sich als Priv.Doz. für allg. und experimentelle Pathol.; 1912 tit. ao. Prof. Ab 1915 war W. an der von →Karel Frederik Wenckebach geleiteten I. Med. Univ.-Klinik tätig, wo er ab 1915 eine Herzambulanz und ab 1920 die kardiolog. Abt. führte und experimentelle Forschungen an erkrankten Menschenherzen ausführte. 1921 ao. Prof. für allg. und experimentelle Pathol., wurde er zuletzt zum Abt.vorstand an Wenckebachs Klinik ernannt. In den 1890er-Jahren setzte W. sich mit dem Ammoniakgehalt des Bluts auseinander und erforschte dessen Auswirkungen auf Säure-Intoxikation, Harnstoffbildung, Ammonämie und Urämie. Weiters betrieb er grundlegende Forschungen auf dem Gebiet der Arrhythmie des Herzens. 1909 hielt er gem. mit Rothberger in der Ges. der Ärzte einen vielbeachteten Vortrag über Vorhofflimmern und Arrhythmia perpetua, worin sie darlegten, dass Ersteres Letztere bedingt. Mit Hilfe des 1908 entwickelten Saitengalvanometers, eines Vorläufers des heutigen Elektrokardiogramms, gelang es W., die Veränderung der Herzstromkurve bei Vorhofflimmern bildl. festzuhalten. Im Rahmen seiner Forschungen zur Therapie von Herzkrankheiten sind insbes. seine Stud. über die Beeinflussung der paroxysmalen Tachykardie durch Chinin hervorzuheben. Von seinen Publ. verdient sein mit Wenckebach 1927 veröff. Standardwerk „Die unregelmässige Herztätigkeit“ Erwähnung. Zudem war W. für die Teilnahme an Schachturnieren bekannt.

Weitere W.: s. Stumpf.
L.: NFP, 7. 4. 1914, 24., 29. 1. 1929 (Parte); Der Tag, Die Stunde, Neues Wr. Journal, Prager Tagbl., 25. 1. 1929; Czeike; Inauguration Univ. Wien 1929/30, 1929, S. 24f.; Wr. klin. Rundschau 11, 1897, S. 193; Wr. Schach-Ztg. 1, 1898, S. 2, 18, 1915, S. 40; P. Saxl, in: WMW 79, 1929, Sp. 198f.; (A. v.) Decastello, ebd., Sp. 382; J. Stumpf, Personalbibliographien von Prof. und Doz. der Inneren Med. ... Univ. Wien ... 1885–1935, med. Diss. Erlangen-Nürnberg, 1972, S. 106ff. (m. W.); H. Wyklicky, Wr. Experimentalkardiol. am Beginn des 20. Jh., 1974, S. 26f., 34ff., 41ff., 81ff.; UA, Wien (m. B.); UA, Praha, CZ.
(G. Vavra)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 266f.
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