Winternitz Moriz, Indologe und Ethnologe. Geb. Horn (NÖ), 23. 12. 1863; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 9. 1. 1937; mos. Sohn des aus Böhmen stammenden Gemischtwarenhändlers Bernhard W. (geb. 1821; gest. Sigmundsherberg, NÖ, 17. 11. 1900) und der Theresia W. (geb. 1827; gest. Sigmundsherberg, 7. 5. 1896), Vater des Mathematikers Artur W. (geb. Oxford, GB, 16. 6. 1893; gest. Scuol/Schuls / Scuol, CH, 9. 7. 1961), der Kinderärztin Ida W. (geb. Oxford, GB, 1894; gest. Chicago, IL, USA, 1958), des Ökonomen und KPD-Funktionärs Josef W. (geb. Oxford, 18. 2. 1896; gest. London, GB, 21. 3. 1952), des Bankfachmanns Georg W., ab 1949 Jíří Vít (geb. Oxford, 1898; gest. Praha, 1988), sowie des Kardiologen Max W. (geb. Oxford, 1900; gest. Praha, 1952); in 1. Ehe mit Fanny W., geb. Reik (geb. Hotzenplotz, Schlesien / Osoblaha, CZ, 1865; gest. Prag, Böhmen / Praha, CZ, 1905), in 2. Ehe mit Berta W., geb. Nagel (1862–1932), verheiratet. – W. besuchte ab 1872 das Gymn. und ging nach der Matura 1880 zum Stud. der klass. Philol., Indol., Sprachwiss., Völkerkde. und Phil. nach Wien. Unter dem Einfluss →Georg Bühlers verlagerte sich sein Interesse zusehends auf die Indol. 1886 wurde er mit einer Arbeit über das altind. Hochzeitsritual nach den Āpastambīns prom. (publ. als „The Āpastambīya Gṛhyasūtra with extracts from the commentaries of Haradatta and Sudarśanārya“, 1887, und „Das altindische Hochzeitsrituell nach dem Āpastambīya-Gṛihyasūtra …“, 1892). Ab 1888 folgte ein zehnjähriger Forschungsaufenthalt an der Univ. Oxford, wo er mit Friedrich Max Müller bis 1892 an einer Neuausg. des Rigveda arbeitete. In Oxford war W. darüber hinaus verschiedentl. als Privatlehrer für Dt. und Sanskrit tätig, so als German lecturer to the Association for Promoting the Higher Education of Women (1891–98) und als Librarian of the Indian Inst. at Oxford (1895). Weiters wurde er häufig als Prüfer für Dt. und Sanskrit sowohl an der Univ. als auch für den Indian Civil Service bestellt. 1899 ging W. an die dt. Univ. in Prag, wo er sich für Indol. und Ethnol. habil. und als Priv.Doz. wirkte, bis er 1902 zum ao. Prof. und 1911 zum o. Prof. bestellt wurde; er folgte →Alfred Ludwig auf den Lehrstuhl für Sanskrit nach, den er bis 1934 innehatte. In dieser Zeit pflegte er auch freundschaftl. Kontakt zu Albert Einstein, der für drei Semester in Prag war. 1920/21 Dekan der phil. Fak., empfing W. 1921 den ind. Dichter, Autor, Philosophen und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore als Gast an der Univ. 1922 war W. auf Einladung Tagores an dessen Schule in Santiniketan, wo er 1922/23 Sanskrit und alte ind. Literatur unterrichtete. Im Rahmen dieser freundschaftl. Beziehung besuchte Tagore Prag 1926 ein weiteres Mal (W.s Monographie „Rabindranath Tagore. Religion und Weltanschauung des Dichters“ erschien 1936). Bekannte Studenten aus seiner Prager Zeit sind Vincenc Lesný, Wilhelm Gampert und →Otto Stein. Das mehr als 450 Publ. umfassende wiss. Werk W.’ behandelt weitgestreute Themen der Ethnol., v. a. aber der Indol.: so seine Arbeiten zu ved. Literatur, Religion und Brahmanismus, zum altind. Epos, bes. zum Mahābhārata und zu den Purāṇas, weiters zu den Dharmaśastras und Arthaśastras, zum Buddhismus, Hinduismus und Jainismus sowie zur ind. Religionsgeschichte. Bedeutend ist seine dreibändige Geschichte der ind. Literatur (1905–22, Nachdruck 1968; engl. „A History of Indian Literature“, 1927), in der W. nicht nur die ved. Literatur, die Epen und Purāṇas, sondern auch die buddhist. und Jaina-Texte sowie Lyrik und Texte der Wiss. behandelt. Er befasste sich zudem mit der Stellung der Frau im alten Indien, wie Aufsätze zur Brautwahl und zum Witwenstand im Veda oder die Monographie „Die Frau in den indischen Religionen“ (1920) zeigen. Wichtig war W. die Arbeit mit den Quellen. So publ. er Kat. von Mss. diverser Bibl. („A Catalogue of South Indian Manuscripts … belonging to the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland“, 1902; „Catalogue of Sanskrit Manuscripts in the Bodleian Library“ 2, fortgeführt von Arthur Berriedale Keith, 1905). In seiner Zusammenarbeit mit Müller zum Rigveda kollationierte er Hss. und schlug zahlreiche neue Lesungen vor. Ferner war er Wegbereiter für eine krit. Ausg. des Mahābhārata, v. a. unter Einbeziehung der südind. Hss., die ihm bes. wichtig erschienen („Promemoria über die Nothwendigkeit einer kritischen Ausgabe des Mahābhārata …“, in: Almanach Wien 51, 1901). Dieses Projekt des Bhandakar Oriental Research Inst. in Pune begleitete er ab 1919 maßgebl. als Mitgl. des Hrsg.gremiums; 1966 erfolgte dessen Fertigstellung („Critical Edition of the Mahābhārata“, 19 Bde.).