Wiszniewski, Michał (Michael); Ps. James William Whitecross, Livius (1794–1865), Literaturwissenschaftler, Historiker und Philosoph

Wiszniewski Michał (Michael), Ps. James William Whitecross, Livius, Literaturwissenschaftler, Historiker und Philosoph. Geb. Ferlejow, Galizien (Lypivka, UA), 27. 9. 1794; gest. Nizza (Nice, F), 22. 12. 1865. Sohn von Aleksander W. und Marianna W., geb. Borzek, Vater des Publizisten Adam W. (geb. Kremenez, Russland / Kremenecʼ, UA, 1826); verheiratet mit Elżbietą W. – W. besuchte 1808–15 das Gymn. in Kremenez und stud. später in Italien, Paris (1820) und Edinburgh (1821–22) Phil., Geschichte und Ökonomie. 1822–24 unterrichtete er am Kremenezer Gymn., ehe er Erzieher bei Konstantin Fürst Czartoryski wurde. 1831 erhielt er eine Professur für allg. Geschichte und 1833 eine weitere für allg. Geschichte der Literatur an der Univ. Krakau; 1839–41 Dekan. 1836–39 fungierte er daneben als Dir. des St. Anna-Gymn. in Krakau. Während des Aufstands von 1846 setzte W. im Rahmen einer Gegenrevolte →Jan Józef Tyssowski ab und erklärte sich selbst zum Diktator der Freien Stadt Krakau. Nach seiner Flucht und einer zwischenzeitl. Rückkehr nach Krakau ging er 1848 nach Genua, wo er sich i. d. F. gem. mit seinem Sohn Adam dem Bankgeschäft widmete und ein ansehnl. Vermögen erwirtschaftete, das er später durch Fehlinvestitionen jedoch großteils wieder verlor. In Italien war er daneben auch als Korrespondent für poln. Bll. tätig. W. hinterließ ein umfangreiches wiss. Werk. Als Anhänger des engl. Empirismus eines Francis Bacon und Gegner des dt. Idealismus veröff. er mit „Bacona metoda tłumaczenia natury“ 1843 die erste umfangreiche poln. Arbeit zu diesem Thema. Er erhoffte sich von Bacons Methode, die von einer Nachahmung fremder Muster befreie, Anregungen zur Entwicklung einer eigenständigen Literatur sowie originärer wiss. Erfindungen in Polen. W. befasste sich jedoch auch mit Psychol. und publ. 1837 eine charakterolog. Stud. zur menschl. Intelligenz, deren Eigenschaften ihm zufolge individuell variieren und sich von Nation zu Nation unterscheiden („Charaktery rozumów ludzkich“, engl. 1853 unter Ps. als „Sketches and Characters or The Natural History of the Human Intellects“). W. stützte sich dabei u. a. auf die Analyse der Beschreibung psycholog. Zustände in der Umgangssprache. 1848 folgte „O rozumie ludzkim, jego siłach, przymiotach i sposobach kształcenia“, das sich der Psychol. des menschl. Verstands widmete und auf den „Elements of the Philosophy of the Human Mind“ von Dugald Stewart sowie auf sprachphil. Stud. Joseph Marie Degérandos gründet. 1835–37 erschien W.s vierbändige, u. a. Tagebücher, Chroniken und Briefe enthaltende Quellensmlg. zur poln. Geschichte und Literatur „Pomniki historii i literatury polskiej“. Deren krit. Auswertung erfolgte in W.s Hauptwerk, einer zehnbändigen poln. Literaturgeschichte von den vorchristl. Anfängen bis zur Gegenwart („Historia literatury polskiej“, 1840–57). Den roten Faden von W.s Synthese des gesamten poln. Schrifttums (in Literatur, Geistes- und Naturwiss.) bildet das Ringen zwischen dem fremden (v. a. latein.) und dem slaw. Element, in dem die heim. Tradition nach 1815 def. die Oberhand gewinnt. W.s Darstellung verrät dabei nicht zuletzt eine gewisse romant. Tendenz des Autors. Bes. interessant sind die Kapitel über die Entwicklung der poln. Sprache, der religiösen Lieddichtung sowie die Bibliographie zur poln.-ruthen. polem. Literatur über die Union von Brest. W.s Grundlagenwerk stellt auch heute noch einen bedeutenden biobibliograph. Fundus dar. Seine Schilderung von Reisen durch Italien sowie nach Sizilien und Malta („Podróż do Włoch, Sycylii i Malty“, 1848) wurde ebenfalls intensiv rezipiert. W., der die italien. Staatsbürgerschaft annahm, erhielt vom sardin. Kg. den Fürstentitel verliehen.

Weitere W.: s. Bibliografia literatury polskiej.
L.: Wurzbach; Złota przędza poetów i prozaików polskich 2, 1885, S. 433ff.; J. Bańka, Poglądy filozoficzno-społeczne M. W., 1967; J. Dybiec, M. W., 1970; Filozofia w Polsce. Słownik pisarzy, ed. B. Baczko, 1971 (m. B.); Bibliografia literatury polskiej. Nowy Korbut 9, 1972 (m. W.); Słownik psychologów polskich, red. E. Kosnarewicz u. a., 1992.
(K. Sadkowska)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 281f.
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