Wittenbauer, Ferdinand (1857–1922), Techniker, Physiker und Schriftsteller

Wittenbauer Ferdinand, Techniker, Physiker und Schriftsteller. Geb. Marburg, Stmk. (Maribor, SLO), 18. 2. 1857; gest. Graz (Stmk.), 16. 2. 1922; röm.-kath. Sohn des Rgt.arztes Ferdinand W., Neffe des Mjr. Hermann v. Baravalle, Vater des Dipl.Ing. Ferdinand (Ferry) W. (1886–1922, Suizid); ab 1882 verheiratet mit Hermine W., geb. Weiß (gest. 1914). – Früh verwaist, wuchs W. bei seinem Onkel in Graz auf. Nach dem Besuch der dortigen Landesoberrealschule, wo er 1872 maturierte, absolv. er bis 1878 die Ing.schule an der TH, unterbrochen durch sein Einjährig-Freiwilligen-Jahr bei der Genietruppe in Wien 1876–77 (1878 Lt. der Res.); 1879 Ing.diplom. W. erhielt eine Ass.stelle an der Lehrkanzel für Straßen- und Eisenbahnbau, die er 1881 auch kurzfristig suppl. Bereits 1880 habil. er sich für Theoret. Mechanik an der TH Graz. 1883–84 vertiefte er seine Kenntnisse an den Univ. Berlin, u. a. bei Hermann v. Helmholtz, und Freiburg im Breisgau. Nach Graz zurückgekehrt, wurde seine venia legendi 1884 auf Graph. Statik ausgeweitet. 1885 sammelte W. prakt. Erfahrungen in der Brückenbauanstalt der Alpine-Montan-Ges. 1887 zum ao. Prof. und 1891 zum o. Prof. für Allg. und Techn. Mechanik an der Lehrkanzel für reine und techn. Mechanik und theoret. Maschinenlehre an der TH ernannt, fungierte er 1894–96 und 1903–05 als Dekan der Maschinenbauschule sowie 1911/12 als Rektor. Er setzte sich für die Gleichstellung der TH mit den Univ. und für die Zuerkennung des Prom.rechts für die TH ein, das 1901 eingeführt wurde. W., der vorwiegend als Theoretiker galt, befasste sich zunächst mit kinemat. Geometrie, wobei er Problemstellungen nicht nur durch Berechnung, sondern auch durch Zeichnen löste und damit zum Begründer der graph. Dynamik als neuem Zweig innerhalb der techn. Mechanik wurde. Seine Methode zur graph. Ermittlung des Schwungradgewichts verlieh ihm internationales Ansehen. In „Graphische Dynamik“ (1923) widmete er sich u. a. dieser für die Getriebetechnik wichtigen Thematik. Sein Massen-Wucht-Diagramm trug zur Kenntnis über den Zusammenhang zwischen dem Trägheitsmoment des Schwungrads, der mittleren Drehzahl und dem Ungleichförmigkeitsgrad des Maschinenlaufs bei. Erwähnenswert ist weiters sein dreibändiges Werk „Aufgaben aus der technischen Mechanik“ (1907–11, 4. Aufl., ed. Theodor Pöschl, 1931), das lange Zeit als Standardwerk auf dem Gebiet der Mechanik galt und in mehrere Sprachen, darunter noch 1965 ins Span., übers. wurde. Seine Arbeiten zur Knicklast lieferten wichtige Ergebnisse für die Bautechnik. Weitere Beitrr. erschienen in den „Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse“ und in der „Zeitschrift für Mathematik und Physik“. Nach ihm benannt ist das W.-Parallelogramm, das eine einfache Berechnung des Flächenschwerpunkts eines beliebigen Vierecks ermöglichte. Daneben verf. W. dramat., ep. und lyr. Werke. Die Bühnenstücke „Filia hospitalis“ (1903, uraufgef. 1906 am Wr. Bürgertheater), in das er eigene Erfahrungen aus seiner Mitgl.schaft bei der Burschenschaft Allemannia Graz (1876–79) einfließen ließ, „Der Privatdozent“ (uraufgef. Dresden 1905) sowie „Der weite Blick“ (1907) wurden mehrfach aufgef. HR W. war Mitgl. des Naturwiss. Ver. für Stmk.; 1917 Dr. h. c. der dt. Univ. Prag.

Weitere W.: s. Cerwinka, 1993.
L.: NWT, 18., Sbg. Volksbl., 20. 2. 1922; Marburger Ztg., 17. 2. 1944; Südost-Tagespost, 18. 2. 1977; E. Leimdörfer, F. W., ein Neu-Romantiker aus Österr., (1904); D. Leon, F. W., der Techniker als Dichter, 1922; K. Federhofer, in: Österr. Naturforscher, Ärzte und Techniker, ed. F. Knoll, 1957, S. 172ff.; G. Cerwinka, Filia hospitalis ..., 1993 (m. B. u. W.); G. Cerwinka – K. Wohlhart, in: Die Technik in Graz, ed. J. W. Wohinz, 2002, S. 167ff.; G. Cerwinka, in: Der Schlern 81, 2007, H. 9, S. 54ff.; Naturwiss., Med. und Technik aus Graz, ed. K. Acham, 2007, s. Reg. (m. B.); H. Dvorak, Biograph. Lex. der Dt. Burschenschaft 2, 2018; Pfarre Herz Jesu, TU, UA, alle Graz, Stmk.
(D. Angetter)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 292f.
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