Wolf, Adam (1822–1883), Historiker

Wolf Adam, Historiker. Geb. Eger, Böhmen (Cheb, CZ), 12. 7. 1822; gest. Graz (Stmk.), 25. 10. 1883; röm.-kath. Sohn des Rotgerbermeisters Joseph W. und dessen Frau Anna Magdalena W., geb. Götz; ab 1877 verehel. mit Ida W., geb. v. Hillebrand. – Nach Besuch des Gymn. absolv. W. ab Herbst 1839 an der Univ. Prag die phil. Jgg. und stud. dort anschließend Rechtswiss. Daneben vervollständigte er seine Sprachkenntnisse (Italien., Französ.) und befasste sich intensiv mit den Werken Jean Pauls und Johann Wolfgang v. Goethes sowie den Klassikern der Antike. Beeinflusst wurde er v. a. von →Franz Serafin Exner, der ihn mit der Phil. Johann Friedrich Herbarts und Immanuel Kants vertraut machte. Über die literar. Freundschaft zu →Franz Klutschak und die Anregungen →Josef Ranks entwickelte er ein Interesse an Volkskde. und i. d. F. an Geschichte. 1844 wechselte er an die Univ. Wien, wo er das vierte Jahr seines Jusstud. absolv. und sich mit Geschichte, v. a. aber mit Sprach- und Literaturwiss. beschäftigte; 1846 Dr. phil. ebd. 1845–47 war W., der sich auch an den Schulreformdiskussionen der Zeit beteiligte, Hofmeister von →Karl Gf. Choteks Sohn Boguslaw. Anschließend erlangte er eine Ass.stelle für Weltgeschichte an der Univ. Wien. Seinem erfolgreich durchgeführten Habil.verfahren verweigerte das Min. jedoch die Bestätigung, vermutl. weil W. der Akadem. Legion angehört hatte. →Joseph Alexander Frh. v. Helfert riet ihm daraufhin, seine österr. Gesinnung in mehreren Publ. zu dokumentieren. Nach Erscheinen seiner „Geschichte der pragmatischen Sanction bis 1740“ (1850) erlangte W., unterstützt von →Wilhelm Heinrich Grauert, 1851 die Lehrbefugnis für österr. Geschichte. An den Geschehnissen von 1848 nahm er als Anhänger einer großdt. Lösung lebhaft Anteil, war jedoch nur kurz polit. aktiv und widmete sich zunehmend seinen Stud. und dem Privatunterricht in Kreisen des Adels und des gehobenen Bürgertums. So unterrichtete er die Töchter →Anton v. Schmerlings, und einige seiner Schüler wurden später im diplomat. Dienst tätig. W. verkehrte im Salon der Berta Pratobevera, nahm an den an die Sitzungen der k. Akad. der Wiss. in Wien anschließenden Tischges. teil, knüpfte Kontakte zu →Johann v. Perthaler und →Rudolf Kink und wurde von Luise Fürstin Schönburg, der Schwester des Ministerpräs. →Felix Prinz zu Schwarzenberg, gefördert. Auch unterhielt er Freundschaften zu Paul Heyse und Hermann Lingg. Ab 1851 Juristenpräfekt am neu organisierten Theresianum, zählte er zum Kandidatenkreis für die vakant gewordene Grazer Professur für Weltgeschichte und österr. Staatengeschichte, die jedoch mit →Johann Baptist Edler v. Weiß besetzt wurde. 1852 ging W. als ao. Prof. an die Univ. Pest und wirkte 1857–64 als Erzieher der Töchter von Erzhg. →Albrecht. Anlässl. der Errichtung der Professur für österr. Geschichte an der Univ. Graz zählte er neuerl. zum Kandidatenkreis, doch fiel die Entscheidung zugunsten →Franz Krones v. Marchlands. W. wurde in Graz hingegen 1865 zum ao. Prof. für allg. Geschichte mit vorzugsweiser Berücksichtigung der neueren Geschichte und 1867 ad personam zum o. Prof. der allg. Geschichte ernannt. Daneben war er 1869–75 Mitgl. des stmk. Landesschulrats sowie 1870/71 Dekan der phil. Fak. und wirkte 1880–81 in Wien als prov. Leiter und Vizedir. der Theresian. Akad. Zu seinen Bekannten und Freunden zählten u. a. →Karl Adolf Constantin v. Höfler, →Alfons Huber, →Theodor v. Sickel und →Eduard Hanslick, v. a. jedoch →Eduard Gf. Taaffe. W. förderte junge Talente wie →Heinrich Gradl und stand in Schriftstellerkreisen wegen seiner Vertrautheit mit Prosodie und Metrik in hohem Ansehen. So überließ ihm →Josefine Freiin v. Knorr ihre Ged. zur Einsicht und die junge →Marie Freifrau Ebner v. Eschenbach erbat seinen Rat. Als Historiker sah sich W. dem „objektiven“ Standpunkt verpflichtet, stützte sich aus dem Wiss.verständnis des Vormärz heraus aber hauptsächl. auf autobiograph. Quellen, Memoiren und Briefe, wenig auf Akten. Seine in literar. Stil verf. Werke fanden in der Historiographie der zweiten Jh.hälfte wenig Resonanz, wenngleich W. erstmals einzelne Epochen der österr. Geschichte näher darstellte. Neben seiner Erstlingsschrift über die Pragmat. Sanktion, die bis zu →Gustav Turbas Stud. und Ed. ein halbes Jh. lang verbindl. blieb, ragten speziell die Arbeiten „Oesterreich unter Maria Theresia“ (1855), „Aus dem Hofleben Maria Theresia’s“ (1858), „Die Aufhebung der Klöster in Innerösterreich“ (1871) und insbes. zahlreiche Biographien hervor. Zu der von Helfert angeregten „Oesterreichischen Geschichte für das Volk“ steuerte er Bd. 16, „Kaiser Franz ... 1804–1811“ (1866), bei. Reg.Rat W. wurde 1870 k. M. und 1873 w. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien.

Weitere W.: s. Kernbauer.
L.: Grazer Tagespost, 31. 1. 1933; ADB; Wurzbach; H. v. Zeißberg, in: Almanach Wien 34, 1884, S. 162ff.; F. v. Krones, Geschichte der Karl Franzens-Univ. in Graz, 1886, S. 567f.; E. Forstner, A. W., phil. Diss. Wien, 1936; W. Höflechner, Das Fach „Geschichte“ an der phil. resp. geisteswiss. Fak. der Univ. Graz, 2015, S. 269ff.; A. Kernbauer, Das historiograph. Werk Grazer Historiker, 2015, S. 20, 551f. (m. W.); AVA, UA, beide Wien; Stadtarchiv, UA, beide Graz, Stmk.; Pfarre Cheb-sv. Mikuláš, CZ.
(A. Kernbauer)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 318f.
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