Wolf, Ferdinand (Joseph) (1796–1866), Romanist und Bibliothekar

Wolf Ferdinand (Joseph), Romanist und Bibliothekar. Geb. Wieden, NÖ (Wien), 8. 12. 1796; gest. Wien, 18. 2. 1866; röm.-kath. Entstammte väterlicherseits einer Müllerfamilie und mütterlicherseits einer Familie von Steinmetzmeistern. Sohn von Joseph W. (geb. Wien, 10. 9. 1769; gest. ebd., 9. 4. 1801) und Rosalia W., geb. Steinböck (geb. Wien, 17. 6. 1778; gest. ebd., 9. 2. 1839), Stiefsohn des Hof- und Gerichtsadvokaten Joseph Schwamberger (geb. Gasselberg, Stmk., 3. 12. 1772; gest. Graz, Stmk., 27. 10. 1850), Vater der Schriftstellerin und Übersetzerin Hedwig W. (geb. Wien, 15. 4. 1831; gest. ebd., 3. 1. 1893); ab 1822 verheiratet mit seiner Cousine Josepha W., geb. Eglauer (geb. Wien, 24. 11. 1794; gest. ebd., 18. 10. 1866). – W. besuchte ab 1806 das Akadem. Gymn. in Wien und setzte seine schul. Ausbildung in Graz fort, wohin seine Mutter und sein Stiefvater 1809 übersiedelt waren. Er stud. dort 1813–15 an der phil. Fak. (Prom. nicht nachweisbar) und erhielt 1819 eine Anstellung als Konzeptspraktikant bei der Hofbibl. in Wien. 1827 wurde er dritter, 1838 zweiter Skriptor und 1853 dritter Kustos. Als solcher stand er bis zu seinem Tod dem Hss.-Dep. vor. W. gehörte zu den ersten von K. →Ferdinand I. ernannten Mitgl. der 1847 gegr. k. Akad. der Wiss. in Wien und wurde als ihr Sekr. Teil des vierköpfigen Präsidiums; das arbeitsintensive Amt als Sekr. der Akad. übte er nach mehrfacher Wiederwahl bis zu seinem Tod aus. W. beschäftigte sich früh mit Sprachen und Literatur, dichtete auch selbst, widmete sich jedoch schon bald schwerpunktmäßig der Romanistik, die in dieser Zeit in Österr. noch kein eigenständiges Fach war. Seine Arbeiten zur mittelalterl. span. und portugies. Literatur, aber auch zu den Anfängen der brasilian. Literatur und zum Altfranzös. entstanden, ohne dass W. jemals eines dieser Länder besucht hätte. Dennoch beeindruckten seine Publ. und führten zu zahlreichen Ehrungen im In- und Ausland, nicht zuletzt in jenen Ländern, denen sein wiss. Interesse galt. Es ist geradezu ein Charakteristikum seiner Tätigkeit, dass sie sich zumeist in ausführl. und weiterführenden Rezensionen entfaltete und weniger in eigenen Monographien. Seine zweibändige „Floresta de rimas modernas Castellanas“ (1837) setzte bestehende Werke anderer fort, ergänzte sie und führte sie bis in seine Gegenwart. Daneben widmete W. sich der Smlg. und Hrsg. von zumeist nur handschriftl. überlieferten span. und portugies. Romanzen, die er in den 1840er- und 1850er-Jahren veröff. Von dem hohen Wert und der großen Wertschätzung seiner Forschungen zeugen zahlreiche wichtige Beitrr. in Enz. und Lex. Eine seiner bekanntesten Arbeiten ist jene musiktheoret. „Über die Lais, Sequenzen und Leiche. Ein Beitrag zur Geschichte der rhythmischen Formen und Singweisen der Volkslieder und der volksmäßigen Kirchen- und Kunstlieder im Mittelalter“ (1841). Einige seiner unveröff. Materialsmlgg. bzw. Mss. sowie Tle. seiner Bibl. gelangten nach seinem Tod in die Hss.smlg. der Österr. Nationalbibl. W. war Mitgl. zahlreicher wiss. Einrichtungen, darunter der Real Acad. de la Historia (1833), der Ges. der Altertumsforscher von Frankreich (1834), des Inst. français (1834), der Kongelige Danske Selskab for Fædrelandets Historie og Sprog (1836), der Ges. der Altertumsforscher in Edinburgh (1838) und London (1838), der Ges. für dt. Sprache zu Berlin (1838, Annahme vom Obersthofmeisteramt abgelehnt) sowie der Akad. der Wiss. in München (1855) und Berlin (1860). Er war u. a. Ritter des span.-amerikan. Ordens Isabellas der Katholischen (1837) und der Légion d’honneur (1844), Dr. h. c. der Univ. Göttingen (1846), Träger des kgl. dän. Dannebrog-Ordens (1846), Kommandeur des kgl. span. Ordens Karls III. (1851), Besitzer des kgl. bayer. Maximiliansordens (1853) und Ritter des Franz Joseph-Ordens (1856).

Weitere W.: s. A. Mussafia, in: Almanach Wien 16, 1866.
L.: Neues Fremden-Bl., 21. 2. 1866; ADB; F. Miklosich, in: Almanach Wien 16, 1866, S. 171ff.; A. Wolf, in: Sbb. Wien, phil.-hist. Kl. 77, 1874, S. 97ff.; Wurzbach; L. Lemcke, in: Allg. Ztg. (Augsburg), 1866, S. 1549ff.; A. Ebert, in: Jb. für roman. und engl. Literatur 8, 1867, S. 271ff.; A. Habel, F. W., phil. Diss. Wien, 1980; W. N. Mair, in: Geschichte der österr. Humanwiss. 5, ed. K. Acham, 2003, S. 257ff. (m. B.); ÖAW, UA, beide Wien; UA, Graz, Stmk.
(St. Sienell)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 321f.
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