Wolfrum, Carl Georg (1813–1888), Politiker und Fabrikant

Wolfrum Carl Georg, Politiker und Fabrikant. Geb. Hof, Bayern (D), 17. 11. 1813; gest. Aussig, Böhmen (Ústí nad Labem, CZ), 30. 5. 1888; evang. AB. Sohn von Christian Ludwig W. (geb. 25. 7. 1784; gest. 22. 1. 1824) und Johanne Friederike W., geb. Joerdens (geb. 1. 1. 1791; gest. 27. 6. 1864), Bruder des Mitbegründers des frühsozialist. Dt. Volksver. Hermann W. (geb. Hof, 1812; gest. Paris, F, 17. 4. 1834); ab 1840 verheiratet mit der Bürgerstochter Emilie W., geb. Gräfe (geb. 22. 2. 1822; gest. 30. 6. 1889). – Aufgrund der materiellen Not nach dem Tod des Vaters musste W. seine Gymn.stud. abbrechen und begann eine Färberlehre. Die im Anschluss daran angetretene Gesellenwanderung führte ihn 1832–35 zunächst über Süddtld., die Schweiz und das Rheinland bis ins postrevolutionäre Paris. Sie diente gleichermaßen der fachl. wie der polit. und kulturellen Weiterbildung. Insbes. in Paris lernte W. wesentl. handwerkl. Innovationen kennen, u. a. anlässl. eines Besuchs bei dem Farbenchemiker Michel Eugène Chevreuil. Er kam dort über seinen Bruder auch in Berührung mit Vertretern des Jungen Dtld., für dessen radikale Ideen er sich aber nicht begeistern konnte. Nach der Rückkehr erwarb er nach kurzem Aufenthalt in seiner Geburtsstadt 1836 den Meistertitel im sächs. Meerane und machte sich selbstständig, nachdem es ihm gelungen war, dank seines Erfahrungswissens Zutritt zu den gebildeten liberalen Kreisen der Stadt zu erlangen. Die finanzielle Unterstützung der Verwandtschaft seiner Frau ermöglichte W. 1843 in Aussig die Gründung einer Weberei und Färberei: Bereits vor dem März 1848 war er auf Märkten in Brünn und Wien vertreten, 1855/56 erhielt der Betrieb im Rahmen der Pariser Ind.ausst. eine ehrenvolle Erwähnung und beschäftigte in der krisengeschüttelten 1. Hälfte der 1860er-Jahre 40 Personen, die an 400 Webstühlen jährl. Waren im Wert von ca. 400.000 fl erzeugten. Nach 1848 begann W. nicht nur im sich formierenden informellen Netzwerk Aussigs eine immer prominentere Rolle zu spielen, sondern wurde auch von der Reichenberger HGK zu polit. Aufgaben herangezogen, nachdem er zur Zeit des Krimkriegs die österr. Staatsbürgerschaft erworben hatte. Im Oktober 1859 entsandte sie ihn in die Komm. zur Durchführung des Gmd.gesetzes von 1859 in Böhmen und 1862 zum 2. Dt. Handelstag in München, wo die österr. Delegierten (vergebl.) für eine bessere Anbindung an den Zollver. und gegen den Abschluss des freihändler. Handelsvertrags Preußens mit Frankreich auftraten. Drei Jahre zuvor war er von der Prager Statthalterei (noch im Neoabsolutismus) in den Aussiger Gmd.ausschuss und Stadtrat bestellt worden, denen er dann – ab 1861 gewählt – bis 1886 angehörte (bis 1883 als für den Gmd.haushalt verantwortl. Stadtrat und stellv. Bgm.). 1865–75 fungierte er zudem als Obmann der Aussiger Bez.vertretung. Ab 1861 vertrat W. zunächst den Städtewahlkreis Teplitz-Aussig als Abg. im böhm. LT. 1878 in diesem Wahlkreis nicht wiedergewählt, übernahm er ein Mandat der Reichenberger HK, das er bis zu seinem Rücktritt aus allen polit. Ämtern 1885 behielt. Im LT gehörte er stets der Budgetkomm. an (1868–83 Berichterstatter). 1867–85 war W. darüber hinaus Abg. im RR, 1867 noch vom LT entsandt, danach direkt gewählt. Der Altliberale schloss sich den gemäßigten Clubs der dt. Linken an und entwickelte v. a. 1873–79 im Plenum und in den Ausschüssen eine rege und einflussreiche Tätigkeit. U. a. war er seit Beginn seines parlamentar. Wirkens über lange Jahre Mitgl. des Verfassungs- und v. a. des Finanz-/Budgetausschusses, als dessen Gen.berichterstatter er ab 1873 agierte. 1868–82 gehörte W. zudem regelmäßig der Delegation des RR an. Im Zuge seiner polit. Tätigkeit geriet W. in immer größeren Gegensatz zu lokalen Vertretern der „schärferen Tonart“. Anlässl. der LT-Wahlen 1872 regte sich erstmalig eine Opposition gegen seine Kandidatur, die ihren Vertreter bei den Folgewahlen 1878 durchbringen konnte. 1879 glückte ihm trotz heftiger Agitation der Gegner die neuerl. Wahl ins AH, in dem die dt. Linke nun allerdings die Oppositionsrolle einnahm. Deren radikaler Flügel trat in den Folgejahren massiv gegen die regierungsseitig beabsichtigte Verlängerung der Konzession für die Betreiber der Nordbahn auf, was in der Wählerschaft der dt. Parteien auf zunehmende Resonanz stieß, von den Altliberalen und somit auch von W. aber nicht mitgetragen wurde. Er beteiligte sich 1885 nicht bei der entscheidenden Abstimmung im AH, wofür ihm der Aussiger Gmd.ausschuss nach heftiger Debatte das Misstrauen aussprach. Daraufhin legte W. alle seine polit. Funktionen zurück. Dem durch seine zeitaufwendigen Funktionen überaus beanspruchten W. – seit 1869 war er auch Angehöriger und ab 1871 Präs. des Verw.R. der Aussig-Teplitzer Eisenbahnges. – gelang es letztl. dank seiner Familienangehörigen, das eigene Unternehmen erfolgreich weiterzuführen. Die darin einbezogenen Kinder waren in der 2. Hälfte der 1860er-Jahre zunehmend in der Lage, das Geschäft eigenständig zu führen, aus dem W. 1876 ausschied. 1872 erhielt er den Orden der Eisernen Krone III. Kl.

L.: Adlgasser; Wurzbach; Erinnerungen an C. W. 1–2, ed. C. Wolfrum u. a., 1893; O. Wolfrum, Die Nachkommen des C. G. W. …, 1966 (Typoskript, Österr. Nationalbibl., Wien); H. Stekl – H. P. Hye, in: Hist. Betriebsanalyse und Unternehmer, ed. H. Matis, 1997, S. 33ff.; H. P. Hye, in: Občanské elity a obecní samospráva 1848–1948, ed. L. Fasora u. a., 2006, S. 254ff.
(H. P. Hye)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 331f.
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