Wolfsohn (Wolffsohn), Sigmund (Sigismund, Siegmund) (1764–1852), Wundarzt und Techniker

Wolfsohn (Wolffsohn) Sigmund (Sigismund, Siegmund), Wundarzt und Techniker. Geb. London (GB), 1. 6. 1764; gest. Wien, 30. 12. 1852; röm.-kath. Sohn des Sigismund W. und der Theresia W., geb. Wildson, Vater u. a. des Wundarztes Joseph W. (geb. Wien, 4. 11. 1795); ab 1827 in 2. Ehe verheiratet mit Josepha Veronika W., geb. Wosner. – Der gelernte Mechaniker kam um 1795 nach Wien und absolv. eine Ausbildung zum Wundarzt; 1798 Dr. chir. an der Univ. Wien. 1795 begründete W. die k. k. privilegirte chirurg. Maschinen- und Bandagen-Fabrik in Wien 1 (später k. k. landesprivilegirte Fabrik chirurg. Maschinen und Verbandstücke), wo er u. a. chirurg. Instrumente, Orthesen, Herniengürtel und Bandagen vertrieb. Ab 1797 stattete er das k. Heer mit Bruchbändern zur Stabilisierung der Bauchdecke bei Leisten- und Nabelbrüchen sowie mit Schienungsmaterial aus. Bekanntheit erreichte er durch die Erfindung und Konstruktion zahlreicher chirurg. und orthopäd. Med.produkte. Für die Entwicklung von chirurg. Apparatekästen mit Instrumenten, Bruchbändern und Bandagen als Demonstrationsobjekte für die Ausbildung von Wundärzten erhielt er 1801 in Berlin die Goldene Medaille und 1803 von Zar Alexander I. einen Brillantring sowie 1.000 Golddukaten. Zu den meistverwendeten seiner Instrumente zählten Hörhilfen wie die sog. Kopfmaschine für Schwerhörige, metallene Resonanzrohre, Gehörhörner, -schnecken, -muscheln oder apparate zur Erleichterung der Aufnahme des Schalls und der Befreiung von Nebengeräuschen, aber auch eine Dunst- und Schwitzbadmaschine. Auf dem orthopäd. Sektor entwarf er Anfang der 1820er-Jahre Spann- und Streckmaschinen (Rachiorte), mit denen man Verkrümmungen der Wirbelsäule korrigieren konnte. Weiters konzipierte er Gesundheitsbetten, die aus mit Rentierfellen bespannten Matratzen bestanden und in wenigen Minuten mit Luft gefüllt werden konnten. Mit seinen künstl. Gliedmaßen gelang es Patienten, die Verrichtungen des Alltags, wie Ankleiden, Essen usw., auszuführen, aber auch zu schreiben und sogar zu fechten. Für Personen, die an Obstipation litten, baute er mechan. Stühle, um deren Verdauung anzuregen. Darüber hinaus befasste sich W. mit der Behandlung von Hühneraugen, Frostbeulen und eingewachsenen Nägeln. 1835 meldete er ein Patent auf einen ringförmigen Schwammgummi (Universal-Kränze) zur Druckentlastung für den Fußballen und zur Behandlung von Hühneraugen an. Bemerkenswert sind zudem seine luft- und wasserdichten Produkte: 1831 erhielt er u. a. Privilegien für zum Tauchen geeignete Kleidungsstücke, aber auch für solche zum Betreten von mit Rauch gefüllten Räumlichkeiten, weiters für Schwimmgurte, sowohl für Nichtschwimmer als auch für Rettungskräfte. Daneben vertrieb er wasserdichte Socken aus gummielast. Materialien. Zu seinen sicherheitstechn. Erfindungen zählen zudem die um 1840 konstruierten und patentierten Feuerlöschkränze. Für die gehobene Ges. erfand er Schönheitsmaschinen mit den eigentüml. Namen Kiliocremastre und Emenadochium sowie das Celosphinge, eine Form des Bruchbands. Seine kurioseste Erfindung war wohl die bereits 1801 entwickelte Maschine zur Verhütung der Onanie. Die ihm bisweilen zugeschriebenen zahnmed. Publ. stammen allerdings von dem preuß. Hofzahnarzt Samuel Wolffsohn. W. war auch als Philanthrop bekannt und verkaufte seine Waren oft zu einem sehr günstigen Preis. Dennoch gelang es ihm, ein beträchtl. Vermögen zu erwirtschaften. Seine größte Investition war der von →Karl Moreau gestaltete Apollosaal in Wien 7 als Vergnügungsetablissement. Für die Eröffnungszeremonie 1808 komponierte →Johann Nep. Hummel auf W.s Ersuchen eine Ser. von zehn Walzern, die zu den ersten Konzertwalzern in der Geschichte der Tanzmusik zählen. Aufgrund des Bankozettelsturzes 1811 und der daraus resultierenden Geldentwertung wurde über W. 1812 ein Konkursverfahren verhängt und er verlor den Großteil seines Vermögens. Es gelang ihm jedoch, seine Fa. und zumindest für einige Jahre den Apollosaal zu retten.

W.: Verzeichniß der neuesten und brauchbarsten Bruchbänder, chyrurg. Maschinen und Verbandstücke ..., 1798; Descriptio CCCVII. in technophio methodico contentarum machinarum fasciarumque chyrurgicarum …, 1800; Abh. über den Inhalt eines vollständigen Nothkastens zur Wiederbelebung …, 1800; Der Apollo-Saal, 1809; Beschreibung von einem erfundenen Kasten … zum Gebrauche bey Vorlesungen auf chirurg. Akad., o. J.
L.: WZ, 7. 1. 1853; Wurzbach; H. E. Jacob, J. Strauss und das neunzehnte Jh., 1937, S. 43ff.; A. Ohry, in: Vesalius 16, 2010, S. 91ff.; Pfarre Am Hof, UA, beide Wien.
(A. Ohry)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 334f.
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