Wotawa, August Ritter von (1876–1933), Politiker, Funktionär und Lehrer

Wotawa August Ritter von, Politiker, Funktionär und Lehrer. Geb. Wien, 21. 12. 1876; gest. Linz (OÖ), 23. 5. 1933; röm.-kath. Sohn des Min.sekr. August Ritter v. W. – W. stud. Geschichte und Geographie an der Univ. Wien; 1901 Dr. phil. Neben seiner Tätigkeit im Lehramt trat er als Verf. von Artikeln zu „Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft“ in Erscheinung. 1911–18 fungierte W. als Obmannstellv. des Dt. Schulver., wo er die Leitung der Z. „Der getreue Eckart“ übernahm. Während er 1914–23 als Dir. des Realgymn. im Landeserziehungsheim Wien-Hietzing tätig war, nahm er 1914 als Mitgl. der Dt.radikalen Partei →Karl Hermann Wolfs an den gescheiterten Verhh. mit den Christl.sozialen wegen eines Wahlkompromisses teil. 1918 an der Gründung des von →Rudolf Geyer geleiteten Dt. Volksrats für Österr. beteiligt, wurde er als Schriftführer in den Vorstand gewählt. Im Herbst des Jahres in die Staatskanzlei berufen, leitete er dort bis zum Abschluss der Friedensverhh. 1919 die Abt. für dt. Minderheitsangelegenheiten. Zur selben Zeit war W. Mitbegründer der großdt. orientierten Nationaldemokrat. Partei, die bei den Wahlen zur Konstituante 1919 den Einzug in den Nationalrat nur knapp verfehlte. 1920 ging unter W.s Federführung die gesamte Partei in der neu gegr. Großdt. Volkspartei auf, die sich den sofortigen Anschluss an Dtld. zum obersten Ziel setzte. Als W. 1921 zum 2. Landesparteivors. für Wien und NÖ gewählt wurde, gelang gleichzeitig →Johannes Schober die Bildung eines Beamtenkabinetts mit dem Großdt. →Leopold Waber als Innenminister. Der Rücktritt Wabers und mangelnde Unterstützung Schobers durch W. führten 1922 zu einer Kabinettsumbildung. 1923 wurde W. als Nachfolger von →Raphael Pacher zum Präs. des Österr. Schulbücher-Verlags (ab 1925 Österr. Bundesverlag für Unterricht, Wiss. und Kunst) ernannt. Im Zuge der schweren Niederlage bei der Nationalratswahl 1923 fungierte W. als prov. geschäftsführender Reichsparteiobmann der Großdt. anstelle des zurückgetretenen Hermann Kandl, bevor er 1924 auf dem Parteitag – als Kompromisskandidat – bestätigt wurde. W. betrachtete den österr. Staat als eine Übergangslösung, an deren Ende der Anschluss an Dtld. und damit auch die Behebung aller wirtschaftl. Probleme erwartet wurde. Die Bankenskandale 1926 führten aufgrund der Verwicklung des großdt. Ministers für Handel und Verkehr →Hans Schürff zum Bruch innerhalb der Partei. W. legte daraufhin die Reichsparteileitung Ende 1926 zurück, ließ sich aber Anfang 1927 von Nationalratspräs. Waber umstimmen und kehrte auf die polit. Bühne zurück. Bei der Nationalratswahl 1927 setzte sich W. für eine antimarxist., antisemit. nationale Einheitsfront ein, scheiterte aber am Nichtbeitritt des Landbunds und der Nationalsozialisten. Schließl. kam eine solche unter →Ignaz Seipel zustande und W. konnte gem. mit elf weiteren großdt. Abg. in den Nationalrat einziehen. Erneut Teil der Bundesregierung, gelang es den Großdt. kaum, sich von den Christl.sozialen zu lösen. Entscheidungen wie jene des großdt. Justizministers Franz Dinghofer, den nach Wien geflüchteten ung. kommunist. Revolutionsführer Belá Kun nicht an Ungarn auszuliefern, ließen die parteiinternen Streitigkeiten nicht abreißen. V. a. Überschneidungen zum Programm der Heimwehren brachten W. in ständige Rechtfertigungsnöte. Nach der Verfassungsreform von 1929, bei der W. der ausarbeitenden Komm. vorsaß, versuchten die Großdt. mit der erneuten Übernahme des Bundeskanzleramts durch Schober sich aus der christl.sozialen Umklammerung zu lösen. W. trat jedoch noch vor dem Sturz Schobers von allen Parteifunktionen zurück.

L.: Dt. Volksbl., 9. 4. 1911 (Beil.), Sbg. Volksbl., 26. 5. 1933; Adlgasser; Alpenländ. Rundschau, 1933, F. 503, S. 16; L. Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, S. 344; R. Kriechbaumer, Die großen Erz. der Politik, 2001, passim; L. Höbelt, Die Erste Republik, 2018, S. 99f., 172; M. Wladika, in: Antisemitismus in Österr. 1933–38, ed. G. Enderle-Burcel – I. Reiter-Zatloukal, 2018, S. 291, 313f.; L. Höbelt – Ch. Reiter, in: OÖ 1918–38, 6, 2020, S. 273ff.; UA, Wien; Pfarre Linz-Hl. Familie, OÖ.
(M. Wladika)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 346f.
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