Wrabetz, Karl (Carl) (1846–1924), Politiker und Photograph

Wrabetz Karl (Carl), Politiker und Photograph. Geb. Wien, 24. 4. 1846; gest. ebd., 29. 8. 1924; röm.-kath., nach 1876 evang. AB. Sohn des Maschinenschmieds und Altwarenhändlers Andreas W. (geb. Hohendorf, Böhmen / Otěvěk, CZ, 30. 11. 1813; gest. Wien, 5. 4. 1887) und der Maria Elisabeth W., geb. Reifenauer (geb. Eferding, OÖ, 26. 10. 1817; gest. Wien, 19. 9. 1885), Bruder des Lithographen und Steindruckers August W. (geb. Wien, 30. 7. 1848; gest. ebd., 13. 8. 1909), Vater des Photographen und Privatbeamten Hans W. (geb. Wien, 8. 5. 1869; gest. ebd., 10. 1. 1933), des Sekr. der Kammer für Handel, Gewerbe und Ind. in Wien Karl W. (geb. Wien, 14. 4. 1870; gest. ebd., 7. 6. 1936), des Malers Anton W. (geb. Wien, 3. 12. 1876; gest. ebd., 22. 4. 1946) und des Elektroing. August W. (geb. Wien, 1881); ab 1869 in 1. Ehe verheiratet mit Emma W., geb. Guth (geb. Schöneberg, Preußen / Berlin, D, 12. 11. 1845; gest. Wien, 7. 11. 1912; evang. AB), ab 1916 in 2. Ehe mit Paula W., geb. Richter. – Nach dem Besuch der Unterrealschule und einer Ausbildung zum Lithographen eröffnete W. 1869 ein Photoatelier zunächst in Wien 7, ehe er 1879 in die Innere Stadt übersiedelte. Früh engag. er sich in der Genossenschaftsbewegung und der Standespolitik. 1872–90 leitete er die Allg. Vorschusskasse in Wien (zuvor Erste Ottakringer Vorschusskasse) als Dir. 1872 war er Mitbegründer des Allg. Verbands der auf Selbsthilfe beruhenden dt. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Österr., der Dachorganisation der gewerbl. Genossenschaften nach dem System Schulze-Delitzsch (ab 1877 im engeren Ausschuss). 1892 übergab W. das Photoatelier seinem Sohn Hans, um nach dem Tod von Hermann Ziller als Verbandsanwalt die Leitung des Genossenschaftsverbands zu übernehmen, die er bis 1920 innehatte. Gleichzeitig red. er dessen Z. „Die Genossenschaft“ und gab die Jahresberr. sowie die Mitt. über die jährl. Verbandstage heraus. 1878 beteiligte er sich an der Gründung des Genossenschaftl. Clubs in Wien (1886–92 Obmann). 1878–84 war er Mitgl. der Wr. HGK und 1895–1900 des Gewerbeförderungsbeirats des Handelsmin. Von 1890 bis zur Übernahme der Wr. Stadtverwaltung durch die Christl.sozialen 1897 leitete er als Sekr. die K. Franz Joseph-Stiftung zur Unterstützung des Kleingewerbes Wiens (ab 1881 Mitgl. des Kuratoriums). 1898–1920 saß W. in der Dion. des Wr. Gewerbl. Credit-Inst. (ab 1919 Wr. Gewerbe- und Genossenschafts-Bank AG). In das AH des RR wurde W. als Dt.liberaler erstmals 1885 in Wien-Alsergrund gewählt. Dieses Mandat behielt er bis 1897. Anschließend vertrat er bis 1907 als Dt.fortschrittlicher die Innere Stadt im Parlament. Während er sich 1885 überraschend gegen den Demokraten Franz Löblich durchsetzte, siegte er in den folgenden Wahlen gegen antisemit. bzw. christl.soziale Gegner. 1896 erfolgte seine Wahl in den Wr. Gmd.rat, wo er bis zum Austritt der liberalen Fraktion 1900 einer der schärfsten Gegner der christl.sozialen Mehrheit war. Seine entscheidenden Leistungen liegen im Aufbau sowie in der Ausgestaltung und Professionalisierung des gewerbl. Genossenschaftswesens. In den liberalen und fortschrittl. Parlamentsklubs hatte er keine führende Rolle, ab 1901 war er sog. wilder Abg. Die polit. Gegner verunglimpften ihn als kleingewerbl. Feigenblatt des liberalen Großkapitals, während in den eigenen Reihen seine mangelnde Konsens- und Kompromissbereitschaft kritisiert wurde. Er gehörte zunächst dem Gewerbe- und ab 1897 dem volkswirtschaftl. und dem sozialpolit. Ausschuss an. Sein bedeutendster parlamentar. Erfolg war die Verabschiedung des Genossenschaftsrevisionsgesetzes (verpflichtende unabhängige Prüfung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften) 1903, das er bereits 1891 mit einem Initiativantrag angeregt hatte. W., ab 1867 Mitgl. der Photograph. Ges., war der erste österr. Schätzmeister für Photographie sowie Lobbyist der Berufsphotographie; seine Arbeiten präsentierte er u. a. auf Ausst. in London (Internationale Kunst- und Ind.ausst. 1874), München (Kunstgewerbl. Ausst. 1876) und Wien (1873, 1875, 1888). 1875 erhielt er den Voigtländer-Preis der Photograph. Ges., 1909 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens.

W.: Die Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften in Oesterr. und ihre Bedeutung für die Gewerbetreibenden. Vortrag …, 1884; Das Gesetz betreffend die obligator. Revision der Erwerbs- und Wirtschafts-Genossenschaften, 1903; Genossenschaftl. Grundsätze …, 2. Aufl. 1904.
L.: NFP, 24. 4. 1906, 31. 8. 1924; Adlgasser; Geschichte der Fotografie in Österr. 2, ed. O. Hochreiter – T. Starl, Bad Ischl 1983 (Kat.); J. Brazda u. a., Selbsthilfe oder politisierte Wirtschaft, 1997, S. 85ff.; T. Starl, Lex. zur Fotografie in Österr. 1839 bis 1945, 2005; P. Wrabetz, K. W. Genossenschaftsanwalt und Politiker, 2007 (m. B.); Pfarre St. Johann Nepomuk, Luther. Stadtkirche, beide Wien.
(F. Adlgasser)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 350f.
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